Zweiter Rücktritt in fünf JahrenStadler ist mitten im Sturm – und jetzt tritt Peter Spuhler ab
Ab Januar übernimmt der bisherige Stellvertreter Markus Bernsteiner als Firmenchef. Der Betrieb läuft rund, doch das Umfeld ist laut dem scheidenden Patron ein «toxischer Cocktail».
Peter Spuhler unternimmt einen zweiten Anlauf, seine Firma Stadler Rail in sichere Hände zu übergeben. Das Unternehmen teilte gestern im Rahmen der Präsentation seiner Halbjahreszahlen mit, dass ab Anfang kommenden Jahres mit Markus Bernsteiner einer von Spuhlers zwei bisherigen Stellvertretern die Rolle als Firmenchef ausüben werde. Spuhler wird sich dann wieder auf seine Rolle als Verwaltungsratspräsident beschränken.
Bernsteiner leitete bislang das Schweiz-Geschäft des Konzerns und die wichtigen Werke in Bussnang TG und St. Margrethen SG. Er ist 55-jährig und bereits seit über 20 Jahren bei Stadler tätig. Seine Karriere begann er als Maschinenmechaniker, später arbeitete er sich zum Manager hoch.
«Ich halte ihn für eine sehr gute Wahl, er hat unglaublich viel Erfahrung im Schienfahrzeugbau, ist unglaublich stark in der Abwicklung», sagte Spuhler an einer Telefonkonferenz mit Journalisten. «Und ich denke, gerade beim Auftragsbestand, den wir jetzt präsentieren können, ist es wichtig, dass wir nicht wieder in eine Problemsituation wie 2018 und 2019 reinfallen.»
Das ist eine deutliche Spitze gegen den geschassten Kurzzeitchef Thomas Ahlburg. Mit ihm war Spuhlers erster Versuch einer Stabsübergabe 2020 schiefgegangen. Ahlburg, der ab 2018 im Führerstand gewesen war, war im Feld der Auftragsabwicklung gescheitert, heisst es aus der Branche. Das heisst, dass es bei den Projekten unter anderem zu groben Verzögerungen gekommen war.
Spuhler entschied darum damals, neben seiner Rolle als grösster Aktionär und VR-Präsident auch wieder als Firmenchef ad interim zu übernehmen. «Ich war bereit, hier eine Zusatzschleife zu drehen», sagte Spuhler. «Es war mein Anspruch, dass wir wieder auf der alten Flughöhe sind, wenn ich das Amt als Gruppenchef übergebe. Jetzt sieht es gut aus.»
Das stimmt teilweise. So ist Stadler operativ tatsächlich sehr gut unterwegs: Zum Beispiel hat die Firma das Soll an Auftragseingängen für das Gesamtjahr von 5 Milliarden Franken bereits im ersten Halbjahr übertroffen. Stadler-Erzeugnisse sind also beliebt und konkurrenzfähig am Markt.
Auch könnte man unter dem Strich gute Ergebnisse präsentieren, wenn nur die vielen negativen externen Einflüsse nicht wären. «Wir leben aktuell in einer sehr schwierigen Phase», erklärte Spuhler und sprach von einem «toxischen Cocktail». Tatsächlich legte der Halbjahresumsatz um 4 Prozent auf 1,47 Milliarden Franken zu, der Gewinn jedoch schmolz auf 2,4 Millionen zusammen.
Frankenkurs setzt Marge unter Druck
Anders als oft sehe man sich gerade nicht mit einer, sondern mit mehreren makroökonomischen Herausforderungen konfrontiert, so Spuhler: Er nannte dabei unter anderem die Lieferkettenprobleme, die Forderung von Lohnerhöhungen durch die Arbeitnehmer und die Inflation. Auch der Ukraine-Krieg hat einen direkten Einfluss aufs Geschäft: Wegen Sanktionen musste Stadler das Werk im belarussischen Minsk beinahe komplett stilllegen.
Eine noch grössere Rolle für das Ergebnis von Stadler spielen jedoch die Schwankungen im Franken-Wechselkurs: Das Unternehmen beliefert Kunden auf der ganzen Welt, produziert aber nach wie vor einen gewichtigen Teil seiner Produkte in den Werken in der Schweiz.
Als die Schweizerische Nationalbank Mitte Juni den Leitzins überraschend um 0,5 Prozentpunkte erhöhte und damit den Franken in den Steigflug schickte, kritisierte Spuhler scharf: «Ich weiss nicht, was die geraucht haben», sagte er in einer TV-Sendung der «Bilanz».
Am Mittwoch kritisierte er daran vor allem den Zeitpunkt. Kurz vor Abschluss des Halbjahres habe seine Firma keine Korrekturgeschäfte mehr abschliessen können, um den Effekt abzumildern.
«Wir sind eine Ausnahme in der Industrie, weil wir auf einem sehr langfristigen Zyklus laufen.»
Langfristig das grössere Problem ist jedoch, dass der starke Franken auf die Marge drückt: Ein Euro kostet derzeit 98 Rappen. Beim aktuellen Ergebnis habe der Effekt dadurch 30 Millionen Franken betragen, so Spuhler. Die wichtigen Verträge in der Branche beinhalteten zwar teilweise sogenannte Gleitpreisklauseln, die das Weitergeben von höheren Selbstkosten erlauben. Abmachungen für Korrekturen an den Währungsmärkten würden aber in aller Regel nicht getroffen.
Stadler ist eine der wenigen Schweizer Industriefirmen, die spürbar unter dem starken Franken leiden. Für die meisten anderen Exporteure ist die aktuelle Gemengelage gar ein Vorteil, da die höhere Inflation im Ausland die dortigen Mitbewerber zwingt, ihre Preise schneller zu erhöhen, als sie es hierzulande tun müssen.
«Wir sind eine Ausnahme in der Industrie, weil wir auf einem sehr langfristigen Zyklus laufen», sagte Spuhler. Aufträge in der Bahnbranche laufen üblicherweise über mehrere Jahre, und oft besteht die Möglichkeit für die Käufer, in ferner Zukunft zu vorher festgelegten Preisen Optionen zu ziehen.
«Sicher werde ich bei der einen oder anderen Herausforderung helfen, wenn Not am Mann ist», kündigte Spuhler an. Sein Nachfolger Markus Bernsteiner dürfte es mit einem äusserst aktiven Vorgesetzten zu tun bekommen. Das äussert sich unter anderem darin, dass er den im deutschsprachigen Raum seltenen Titel des «exekutiven Verwaltungsratspräsidenten» führen wird.
Was sich genau hinter dieser Bezeichnung verbirgt? Spuhler wolle künftig die Strategie festlegen, sich um Übernahmen und Gemeinschaftsunternehmen kümmern, Offerten für Kunden begleiten und freigeben, die Kundenpflege intensivieren und sich um die Produktentwicklung kümmern. «Im Januar werde ich 64 Jahre alt. Es ist jetzt Zeit, kürzerzutreten», sagte Spuhler zwar. Er dürfte trotzdem noch oft von sich hören lassen.
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