Spanien vor RegierungsbildungSánchez’ Pakt mit den Separatisten sorgt für Proteste, aber er sichert ihm wohl das Amt
Premier Pedro Sánchez strebt eine Regierung mit den Katalanen an. Seine Gegner sehen das Land bedroht und gehen in grosser Zahl auf die Strassen.
Nach wochenlangen Diskussionen beginnt am Mittwoch in Madrid die Debatte über eine Neuauflage der Regierung um Pedro Sánchez. Erneut dürfte der geschäftsführende Premierminister seinem Ruf als Stehaufmännchen der spanischen Politik alle Ehren machen. Doch das Ausmass des Widerstands, der ihm dieses Mal entgegenschlägt, ist sogar für den schon oft totgesagten Politiker ungewöhnlich.
«Wir beginnen heute den verfassungsmässigen Prozess, der zur Bildung einer verfassungsmässigen Regierung führen wird», sagte Sánchez zum Auftakt der Parlamentsdebatte am Mittwoch. Der Sozialist stellte dort sein politisches Programm vor. Am Donnerstagmittag findet im Parlament die Abstimmung über eine weitere Amtszeit von Sánchez statt.
Pedro Sánchez hat damit erneut die Möglichkeit, zum Regierungschef gewählt zu werden. Für eine Amtseinführung benötigt er die Unterstützung der absoluten Mehrheit der Kammer mit mindestens 176 Ja-Stimmen. Nach ersten Schätzungen kann Sánchez mit 179 Ja-Stimmen bei insgesamt 350 Abgeordneten rechnen – und damit mit einer Amtsperiode für weitere vier Jahre. Sollte bis zum 27. November keine Mehrheit zustande kommen, wird die Regierung automatisch aufgelöst und Neuwahlen werden angeordnet.
Monatelanger Schlagabtausch
Würde dies passieren, wäre es das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass die Spanier und Spanierinnen zur Urne müssten. Nachdem das regierende Linksbündnis um Sánchez sozialistische Partei PSOE bei den Regionalwahlen im Mai 2023 stark eingebüsst hatte, rief Sanchez überraschenderweise vorgezogene Neuwahlen aus. Bei diesen ging eigentlich die konservative PP-Partei als stärkste Partei hervor. Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo wurde daraufhin von König Felipe VI. mit der Regierungsbildung beauftragt.
Doch Feijóo gelang es nicht, ausreichend Unterstützer im Parlament hinter sich zu bringen. Der König beauftragte daraufhin Anfang Oktober Sánchez mit der Bildung einer Regierung.
Höchst umstrittenes Abkommen
Dass Sánchez nun doch noch eine Regierung bilden dürfte, verdankt er einem höchst umstrittenen Deal mit Separatisten rund um den früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont. Sánchez sicherte sich die Unterstützung zweier katalanischer Parteien zu – und gewährte ihnen im Gegenzug eine umfassende Amnestie.
Im Rahmen des Abkommens sollen zahlreiche katalanische Politikerinnen und Politiker rehabilitiert werden, die 2017 eine aus Sicht Madrids illegale Volksabstimmung über die Abspaltung Kataloniens vom spanischen Zentralstaat durchgeführt hatten.
Ausserdem sicherte Sánchez den Katalanen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) einen Schuldenerlass zu: So sollen 15 Milliarden Euro Schulden der Region gestrichen werden.
Landesweite Proteste
Das Amnestie-Abkommen sorgte in den vergangenen zwei Wochen für Chaos auf Spaniens Strassen. Seit Anfang November versammeln sich täglich Tausende Protestierende auf den Strassen Madrids. Die Demonstrierenden sehen Sanchez’ Amnestiegesetz nur als Vorstufe zu einem erneuten Referendum über die Abspaltung Kataloniens, wie es die Separatisten bereits fordern. Sie fürchten, dass Spanien auseinanderfallen könnte.
Die Demonstrationen erreichten am Wochenende ihren Höhepunkt: Am vergangenen Sonntag rief die konservative Volkspartei PP zu Kundgebungen gegen das geplante Amnestie-Gesetz im ganzen Land auf. Hunderttausende Menschen folgten dem Aufruf.
Auf der Puerta del Sol, Madrids zentralem Platz, versammelten sich nach Angaben der Behörden rund 80’000 Menschen. Die Demonstrierenden – mehrheitlich aus dem rechten Lager – trugen Schilder mit Aufschriften wie «Verräter Sánchez» oder «Nein zur Amnestie, Ja zur Verfassung».
Auch f¨ür die rechtspopulistische Vox ist Sánchez ein Landesverräter. Um ihrem Protest etwas Glamour zu verleihen, lud sie den ehemaligen Fox-News-Moderator Tucker Carlson nach Madrid ein, wo er sich zusammen mit Vox-Chef Santiago Abascal zeigte.
Die Stimmung wird dabei zunehmend gewaltbereiter: In den letzten Tagen warfen Ultrarechte immer wieder Flaschen und gar Feuerwerkskörper auf die Polizisten. Diese reagieren inzwischen mit Tränengas und Schlagstöcken. Seit mehreren Tagen kreisen Polizeihelikopter jede Nacht ständig über der Stadt, die Polizeipräsenz ist in der Madrider Innenstadt massiv erhöht.
Die beiden Lager gehen zunehmend auf Angriff
Das politische Klima hat sich über die vergangenen Wochen nochmals massiv zugespitzt. Die konservative Volkspartei PP und die sozialistische PSOE liefern sich seit Tagen einen immer gehässigeren Schlagabtausch. Am vergangenen Sonntag verkündete PP-Chef Alberto Núñez Feijóo, dass man «nicht still sein wird, bis es neue Wahlen gibt». Auf Twitter sprach Feijóo am Montag im Rahmen des Amnestie-Gesetzes gar von einem «Zerfall der Rechtsstaatlichkeit und der spanischen Demokratie».
Sanchez’ sozialistische PSOE wiederum beschuldigte die PP am Montag auf Twitter, Unwahrheiten zu verbreiten: «Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, dass das, was der rechte Flügel sagt, um die Bevölkerung zu verängstigen, einfach unwahr ist.» Die Sozialisten verteidigen das Amnestie-Gesetz und dessen Rechtsgültigkeit – und sehen darin eine Chance für «Dialog und Vergebung» mit den Katalanen.
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«Die Amnestie ist ein Mittel, um auf dem Weg der Harmonie und der Wiedervereinigung zwischen den Katalanen und dem Rest des spanischen Volkes voranzukommen», so Sánchez in einer Ansprache im Parlament vor zwei Wochen. In der Debatte am Mittwoch sagte der jetzige Regierungschef, dass die Amnestie «kein Angriff auf die Verfassung» sei, sondern «ein Zeichen ihrer Stärke». Auf Twitter forderte er von der PP «Vernunft und Zurückhaltung».
Grosses Polizeiaufgebot
Unterdessen geht die Parlamentsdebatte in Madrid weiter. Und dies unter massivem Polizeiaufgebot: Rund 1600 Polizisten stehen im Einsatz, um die Sicherheit in den Strassen rund um das Kongressgebäude in den nächsten Tagen zu gewährleisten.
Verschiedene PSOE-Parteimitglieder berichteten am Dienstag gegenüber der spanischen Zeitung «El Mundo» von Anfeindungen und Drohungen, die ihnen im Alltag entgegenschlagen. «Ich mache mir wirklich Sorgen. Man spürt in diesen letzten Tagen, in diesen letzten Wochen, eine angespanntere Atmosphäre», sagte etwa Olegario Ramón, Generalsekretär der PSOE von Ponferrada, gegenüber der Zeitung.
Selbst wenn Sánchez bei den Abstimmungen die Mehrheit erhält, ist fraglich, wie auf dieser Grundlage eine nachhaltige Politik gemacht werden kann.
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