Starke SozialdemokratenDie SP marschiert in der Romandie vorneweg
Nach den nationalen Wahlen zeigt sich ein unerwarteter Röstigraben. Während in der Deutschschweiz die SVP dominiert, ist in der Romandie die SP die wählerstärkste Partei. Nur, warum?
Die SVP dominiert die Deutschschweiz, die SP die frankofone Schweiz. Das ist eine Bilanz nach den nationalen Wahlen. In den Kantonen Genf, Waadt, Neuenburg und Jura erreichte die SP bei den Nationalratswahlen Wähleranteile zwischen 18 Prozent (Genf) und 29 Prozent (Jura), mehr als alle anderen Parteien. Die SP überholte auch die FDP, die 2019 noch wählerstärkste Partei war. In den zweisprachigen Kantonen Freiburg und Wallis sind hingegen weiter die SVP und die Mitte-Partei die stärksten Kräfte. Dennoch besetzt die SP über alle Westschweizer Kantone hinweg am meisten Nationalratssitze: 13 insgesamt, vor der SVP mit 11 und der FDP mit 9 Sitzen.
Urbane Romandie
Die Frage, warum die SVP in der Westschweiz deutlich unter 20 Prozent Wähleranteilen verbleibt und nicht annähernd so dominant ist wie in der Deutschschweiz, ist für Kevin Grangier, Präsident der SVP Waadt, schnell beantwortet. «Die Romandie ist in weiten Teilen sehr urban», sagt er. Der Genferseebogen sei von Montreux bis nach Genf praktisch durchgehend städtisches Gebiet, und in urbanen Gebieten habe die SVP bekanntermassen einen schweren Stand, so Grangier. Dazu komme eine kulturelle Differenz. «Die Westschweizer wollen einen starken Staat nach dem Vorbild des französischen Zentralstaats», beobachtet der Waadtländer SVP-Präsident. Ein solcher sei für die SVP aber keine Option, und sie könne sich darum wenig Gehör verschaffen. Als Beispiel nennt Grangier die Abstimmung über das Medienpaket im Februar 2022. Die Kantone Genf, Waadt, Neuenburg, Freiburg und Jura sprachen sich mit klarer Mehrheit für eine staatliche Medienförderung aus, die schliesslich am Deutschschweizer Nein scheiterte.
«Die Westschweiz ist kollektivistisch, die Deutschschweiz individualistisch geprägt.»
Dass die Sozialdemokratische Partei in der Romandie so dominant ist, führt auch der Waadtländer SP-Politiker Benoît Gaillard auf kulturelle Unterschiede zurück. Die Westschweiz sei kollektivistisch, die Deutschschweiz individualistisch geprägt, sagt er. Dass seine Partei die SVP bei der Wählerstärke hinter sich lässt, erklärt sich Gaillard auch damit, dass es seiner Partei gelungen ist, SVP-Themen wie Migration und Asyl in der Westschweiz zweitrangig erscheinen zu lassen. Stattdessen habe die SP vor den Wahlen ihre Kernthemen wie die sinkende Kaufkraft und steigende Krankenkassenprämien und Gesundheitskosten in die Diskussion gebracht.
«Die Westschweiz ist ganz allgemein progressiver, von der Familienpolitik bis zum Umwelt- und Klimaschutz, aber auch weltoffener», beobachtet Pascal Sciarini, Politologieprofessor der Universität Genf. Das nütze der Wählerstärke der SP und sei für andere Parteien ein Problem, gerade auch für die FDP. Freisinnige Kernthemen wie Wirtschaft und Europa hätten im Wahlkampf keine Rolle gespielt, stellt Sciarini fest. Und bei den Diskussionen rund um das Ende der Grossbank Credit Suisse sei die FDP erst noch krass in der Defensive gewesen. Darum sei auch die FDP hinter der SP zurückgeblieben.
Die Dominanz der SP in der Romandie, sie dürfte sich national spätestens bei der Abstimmung über die SRG-Halbierungsinitiative wieder bemerkbar machen. Doch da hofft SVP-Mann Kevin Grangier auf andere Kräfteverhältnisse. Er hält es für denkbar, dass Gegner und Befürworter sich nicht nach dem Schema der politischen Linken und Rechten aufteilen, sondern dass sich die Generationen zur Vorlage unterschiedlich positionieren: die Jungen dafür, Ältere dagegen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.