Bei Reichsbürger untergetauchtSohn (5) entführt: Mutter und zwei Gehilfinnen verurteilt
Eine Frau aus der Region Basel entführte mit der Hilfe von zwei Komplizinnen im Herbst 2021 ihren Sohn nach Deutschland. Dafür wurden nun alle drei verurteilt.
- Lina Bauer brachte ihren Sohn im Herbst 2021 nach Deutschland zu einem mutmasslichen Rechtsterroristen.
- Bauer und ihre mutmasslichen Komplizinnen mussten sich wegen Entführung vor Gericht verantworten.
- Dafür wurde Bauer am Freitag zu einer bedingten Freiheits- und Geldstrafe verurteilt. Bedingte Strafen wurden auch gegen ihre beiden Komplizinnen ausgesprochen.
Das Richteramt Dorneck-Thierstein hat am Freitag eine 43-jährige Mutter wegen qualifizierter Entführung, Entziehens von Minderjährigen und weiterer Delikte zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 17 Monaten und einer bedingten Geldstrafe von 2550 Franken verurteilt. Die Frau aus der Region Basel entführte ihren damals fünfjährigen Sohn Noah (Name geändert) im Herbst 2021 nach Deutschland. Von einem Landesverweis für die deutsche Staatsangehörige wurde abgesehen.
Zwei weitere Frauen wurden wegen Gehilfenschaft ebenfalls zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt. Die Verfahrenskosten in der Höhe von 42’000 Franken trägt die Kindsmutter zu zwei Dritteln, je ein Sechstel wird ihren Komplizinnen auferlegt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Erfundene Anschuldigungen an Kindsvater
Lina Bauer (Name geändert) plante die Entführung ihres Sohnes minutiös, nachdem Anfang August 2021 das Zivilkreisgericht Basel-Landschaft West die elterliche Obhut von Noah an seinen Vater übertragen hatte. Der Kindsvater – so ist Bauer überzeugt – hat ihren Sohn sexuell misshandelt. Die Justiz entlastet ihn aber komplett von den Vorwürfen. Doch der Justiz traut Bauer sowieso nicht. Die Frau sei zu der Zeit wohl mit der gesamten Situation überfordert gewesen, vermutet Gerichtspräsidentin Georgia Marcionelli.
Im Verfahren habe man nun viel über ihre Befindlichkeiten gesprochen. Aber das eigentliche Opfer Noah sei kaum zur Sprache gekommen, so die Gerichtspräsidentin. «Die Täterinnen wurden zu Opfern gemacht und fühlten sich auch so. Das haben Sie sich aber selbst zuzuschreiben», sagte Marcionelli an Noahs Mutter gerichtet, die die Urteilseröffnung per Videokonferenz entgegennahm.
Im September lernte Bauer Angela Welti (Name geändert), die Mutter von Nathalie (Name geändert) kennen, die eine ähnliche Geschichte erzählt. Die Frau ist inzwischen eine Prominente in der deutschsprachigen Verschwörungsszene. Ihre Geschichte ist ein klassischer Fall von Satanic Panic. Das Mädchen soll durch den eigenen Vater im Rahmen von satanistischen Ritualen schwerst misshandelt worden sein. Für all das gab es keine Beweise, das Verfahren gegen Nathalies Vater wurde eingestellt, weil nicht der geringste objektive Hinweis für die erhobenen Anschuldigungen – die teilweise in offensichtlichem Widerspruch mit den Naturgesetzen standen – gefunden werden konnte. Vielmehr sah es die Justiz bis zum Bundesgericht als erwiesen an, dass dem Mädchen durch ihr engstes Umfeld Pseudoerinnerungen eingeredet wurden.
Verschwörungstheoretiker soll Beweise liefern
Welti machte Bauer mit Maximilan Eder bekannt. Einem ehemaligen Bundeswehr-Oberst, Rechtsextremisten und Reichsbürger. Eder weiss Bescheid über den «deep state» und andere Elemente der QAnon-Bewegung. Er soll nun das machen, was der Staat nicht tat: Beweise liefern, dass Noah durch den eigenen Vater missbraucht wurde. Es wird ihm natürlich nicht gelingen.
Am 6. Oktober 2021, zu Beginn der Herbstferien, setzte sich Bauer mit dem damals fünfjährigen Noah, Angela Welti und deren Bruder ins Auto und fuhr von Aesch ins bayrische Eppenschlag nahe der tschechischen Grenze. «Alles ist über sie gelaufen», kam Richterin Georgia Marcionelli zum Schluss. Sie wurde wegen Gehilfenschaft in einem qualifizierten Fall zu einer bedingten Geldstrafe von 14 Monaten bedingt verurteilt. Sie war von der Urteilseröffnung dispensiert worden, weil sie während der Verhandlung einen Kollaps erlitt. Eine weitere Freundin, die Bauer bei der Entführung half, kassierte zehn Monate bedingt. Sie half ihr mit einem Handy, einem Kleiderpaket und einer Falschaussage bei der Polizei.
In Eppenschlag wartet Maximilian Eder auf Lina und Noah Bauer. Er gewährt ihnen Unterschlupf und Schutz vor den vermeintlichen Satanisten. Die hygienischen Zustände sind katastrophal, Noah bekommt die Krätze und Warzen. Bauer, die sich in der Schweiz weigerte, eine Schutzmaske gegen Covid-19 zu tragen, kombiniert diese nun mit einer Perücke, wenn sie das Haus verlässt. Nach ihr wird international gefahndet. Sie muss schliesslich vor Eder zu dessen Nachbarn flüchten, nachdem ihr vermeintlicher Retter mehrfach nachts betrunken in ihrem Zimmer auftaucht.
Wochenlang wird nach den beiden gesucht. Der verzweifelte Vater wendet sich an die Medien. Weil eine weitere Komplizin von Bauer und Welti in der Schweiz einknickt, kommt es am 16. November 2021 zum Zugriff der Polizei, und Noah wird zu seinem Vater zurückgebracht, dem am 25. Oktober auch die elterliche Sorge vom Zivilgericht übertragen wurde.
Teil eines rechtsterroristischen Netzwerks
Gegen Eder erging im Dezember 2022 ein Haftbefehl der deutschen Generalbundesanwaltschaft. Als Teil der rechtsterroristischen «Patriotischen Union» soll er gemeinsam mit anderen Reichsbürgern geplant haben, die deutsche Regierung zu stürzen. Er steht deswegen aktuell in Deutschland vor Gericht. Im Entführungsfall Noah wurde das Verfahren gegen Eder von der zuständigen Staatsanwaltschaft Passau (D) vorläufig eingestellt. Sinngemäss, weil ihm wegen des Putschverfahrens eine Strafe erwartet, bei der die Beteiligung an der Kindesentführung nicht mehr ins Gewicht fällt.
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