Soll ich Viagra ausprobieren?
Ein Leser möchte die Wunderdroge aus purer Neugier testen. Sexualwissenschaftlerin Andrea Burri nennt die Vorzüge und Gefahren.
Liebe Frau Burri, ich habe keine Erektionsprobleme. Trotzdem nimmt es mich Wunder, wie Viagra wirkt. Sollte ich es mal ausprobieren?
Es spricht wenig dagegen, dass Sie Viagra mit dem Wirkstoff Sildenafil mal aus purer Neugierde ausprobieren. Auch ohne die medizinische Indikation einer erektilen Dysfunktion (ED). Gewisse Faktoren sollten sie dabei jedoch beachten: Zuerst einmal sollten Sie sich keine Luststeigerung erhoffen. Viagra und andere Phosphodiesterase-5-Hemmer (kurz: PDE-5) wirken in erster Linie physiologisch. Sie setzen lokal an, indem sie durch die Entspannung der Muskulatur zu einer erhöhten Durchblutung des Schwellkörpers des Penis und damit zu einer besseren Hydraulik führen.
Dies geschieht nicht aus dem Nichts, sondern bedarf einer sexuellen Stimulation, entweder durch Berührung des Penis oder durch sexuelle Fantasien. Zwar berichten einige Männer über vermehrtes Lustempfinden bei der Wahrnehmung einer Erektion – im Sinne einer psychophysiologischen Wechselwirkung –, doch setzt Sildenafil nicht neuronal an und greift dadurch auch nicht direkt in die chemischen Vorgänge im Hirn ein.
Es gibt zudem eine Reihe von Kontraindikationen zu beachten. Da Viagra und Co. den Blutfluss beeinflussen, sollte gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf das Medikament verzichtet werden. Ähnlich sieht es bei der gleichzeitigen Einnahme von bestimmten nitrathaltigen Medikamenten aus. Die Nichtbeachtung der Kontraindikationen ist auch der Grund für die einzelnen Todesfälle, über welche im Zusammenhang mit Viagra berichtet wurde. Zwar kann es zu einer Reihe von Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, verstopfter Nase oder Magenbeschwerden kommen, jedoch sind die wenigen Todesfälle lediglich in Zusammenhang mit bereits bestehenden schweren koronaren Herzerkrankungen entstanden.
Trotzdem sollte Viagra nicht regelmässig als Freizeit- oder Lifestyledroge eingesetzt werden. Dies birgt die Gefahr einer psychologischen Abhängigkeit. Mehrere wissenschaftliche Studien konnten aufzeigen, wie der Freizeitkonsum von ED-Medikamenten bei gesunden Männern zu signifikant weniger Vertrauen in die eigene erektile Funktionsfähigkeit führen kann. Dadurch entsteht schon mal ein Teufelskreis, bei dem ein anfänglich gesunder Mann im Laufe der Zeit eine psychogene ED entwickelt. Das heisst, aufgrund psychologischer Faktoren wie zum Beispiel reduziertem Selbstvertrauen keine Erektion mehr aufrechthalten kann.
Zudem rückt der Freizeitgebrauch von Viagra vermehrt den Leistungsaspekt innerhalb der Sexualität in den Vordergrund. Und dazu ist klar zu sagen: Durch Viagra wird man nicht zu einem besseren Liebhaber. Dafür bedarf es viel mehr als nur einer ultraharten, stundenlangen Erektion.
Dieser Artikel wurde erstmals am 24. Juni 2016 publiziert und am 26. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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