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Landwirtschaft in der Schweiz
Bauern sind empört über Zwangsabbau von Ackerland

Schweizer Bauern sollen einen Teil ihres Ackerlands zugunsten des Naturschutzes aufgeben – sehr zu ihrem Ärger: Ein Mähdrescher im Kanton Aargau.
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Die Warnung der UNO ist deutlich: Die Zahl der Menschen, die akut unter Hunger leiden, könnte von 193 Millionen weiter anwachsen – wegen des Kriegs in der Ukraine, der Kornkammer Europas. Nationalrat Martin Haab fragt den Bundesrat deshalb, ob es ethisch vertretbar sei, noch mehr Lebensmittel in die Schweiz zu importieren.

Am vergangenen Montag hat der SVP-Politiker eine Interpellation eingereicht. Damit reagiert Haab auf einen Entscheid, den der Bundesrat unlängst gefällt hat. Neu müssen die Bauern mindestens 3,5 Prozent des Ackerlandes als sogenannte Biodiversitätsförderfläche ausscheiden, etwa dreimal mehr als heute. Welche Folgen der Beschluss auf die Lebensmittelherstellung hat, zeigen Berechnungen des Schweizer Bauernverbands (SBV), die dieser Redaktion vorliegen.

Schweizer müssen Beitrag leisten 

Betroffen ist eine Fläche so gross wie 14’500 Fussballfelder. Würde man darauf Getreide anbauen, statt Naturschutz zu betreiben, könnte man damit den jährlichen Brotverbrauch von mindestens einer Million Menschen decken. Bei Kartoffeln ergäbe der Anbau auf derselben Fläche eine Menge von umgerechnet 388 Millionen Portionen Pommes frites von je 125 Gramm. 

«Der Bundesrat missachtet die Situation, die der Ukraine-Krieg hervorgerufen hat», resümiert SBV-Direktor Martin Rufer. Die Agrarmärkte würden verrückt spielen, es sei daher falsch, die inländische Lebensmittelproduktion zu schwächen. Natürlich könne sich die Schweiz jederzeit auf den internationalen Märkten eindecken, so Rufer. «Doch auch unser Land hat eine humanitäre Verpflichtung, einen angemessenen Beitrag zur globalen Versorgungssicherheit zu leisten.» Dass der Bundesrat die Massnahme wegen der angespannten Lage erst 2024 und damit ein Jahr später als geplant in Kraft setzen will, ist für den Bauernverband reine Kosmetik. 

In der EU geht der Trend in die andere Richtung: Die Mitgliedsstaaten dürfen heuer eine Fläche von der Grösse der Schweiz, die aus Umweltschutzgründen brach liegt, temporär zur Nahrungsproduktion nutzen. Auch in der EU wird nun über den richtigen Kurs der Landwirtschaft in Kriegszeiten gestritten. Der Schweizer Bauernverband seinerseits hat seinen Unmut letzte Woche in einem offenen Brief an den Bundesrat geäussert. 

Das Ausscheiden der Biodiversitätsförderflächen ist Teil eines Pakets, mit dem der Bundesrat auf dem Verordnungsweg die parlamentarische Initiative zur Pestizidreduktion umsetzt. Das Parlament will damit den Pestizideinsatz bis 2027 um 50 Prozent mindern – ein Ziel, das der Bauernverband weiter mitträgt, wie er betont. Mehr Biodiversitätsflächen hat das Parlament jedoch nicht vorgesehen. Eine Massnahme, die der Bundesrat jetzt in seinem Verordnungspaket umsetzt, hat das Parlament sogar explizit abgelehnt: Neu müssen die Bauern bis 2030 die Nährstoffverluste um mindestens 20 Prozent senken. Die Auflage zwingt sie dazu, deutlich weniger Nutztiere zu halten. Das Parlament will die Verluste jedoch bloss «angemessen» mindern. Der Bauernverband spricht von einer «unrealistischen Zielsetzung». 

Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz liegt heute bei circa 58 Prozent. Mit der Umsetzung der parlamentarischen Initiative zur Pestizidreduktion wird er in den nächsten Jahren um mehrere Prozentpunkte sinken, wie eine Studie des Bundes zeigt. Betroffen sind verschiedene Produkte, neben Brot- und Futtergetreide etwa auch Ölsaaten und Kartoffeln. 

So laut die Klage des Bauernverbands ist: Die Landwirte sind gespalten. Kilian Baumann, grüner Nationalrat und Präsident der Kleinbauern-Vereinigung, hält das Vorgehen des Bundesrats für richtig. Die intensive Produktion schädige jetzt schon die natürlichen Ressourcen. «Um den Artenschwund zu stoppen und eine landwirtschaftliche Produktion längerfristig zu erhalten, braucht es mehr Biodiversitätsflächen im Mittelland.» Das grosse Potenzial ortet Baumann bei jenen 43 Prozent Ackerflächen, die zurzeit für den Anbau von Tierfutter verwendet würden: «Eine vermehrt pflanzliche Ernährung würde den Selbstversorgungsgrad der Schweiz markant erhöhen.»

«Der Bundesrat lebt offenbar nicht in der gleichen Welt, wie wir sie wahrnehmen.»

Markus Ritter, Nationalrat Die Mitte

Ob der Bundesrat auf seinen Entscheid zurückkommt, ist fraglich. Dem Vernehmen nach war es Umweltministerin Simonetta Sommaruga, die sekundiert von Alain Berset auf die Verschärfung der parlamentarischen Initiative zur Pestizidreduktion gedrängt hatte – gegen den Willen von Agrarminister Guy Parmelin. Das SP-Duo konnte offenbar mindestens einen der beiden Freisinnigen im Gremium überzeugen, ebenso Viola Amherd, Vertreterin der Mitte-Partei – der auch Bauernpräsident und Nationalrat Markus Ritter angehört. 

Ritter sagt, er könne dazu nichts sagen, da er nicht wisse, wer wie abgestimmt habe. Er betont indes, er habe noch nie so viele Rückmeldungen von der Basis zu einem Bundesratsentscheid erhalten. In welcher Welt der Bundesrat lebe, wisse er, Ritter, nicht. «Offenbar aber nicht in der gleichen, wie wir sie wahrnehmen.»