US-Optimismus bei Covid-19So wünschen sich die Amerikaner die Krise schön
Trump feiert ein Comeback, die Wirtschaft wird bald raketengleich abheben, das Virus wird bald verschwinden: Die USA flüchten sich in Wunschdenken.
Wunschdenken ist etwas ganz und gar Amerikanisches, ein Nebenprodukt des amerikanischen Optimismus. Oft manifestiert es sich als hartnäckige Verleugnung von Tatsachen.
George W. Bushs Krieg im Irak war von Wunschdenken gekennzeichnet: Stets wurde das Licht am Ende des Tunnels beschworen. Der liberale Kolumnist Thomas Friedman etwa schrieb so oft über die «entscheidenden nächsten sechs Monate» während des Kriegs im Irak, dass sein Halbjahr bald als «Friedman-Einheit» verhöhnt wurde. Dabei hoffte Friedman lediglich, dass sich der Krieg zum Besseren wenden würde.
Die Corona-Krise hat die amerikanische Vorliebe für Wunschdenken neuerlich unterstrichen, angefangen von einem Präsidenten, der das Virus einfach wegwünschte. Es werde «verschwinden», sagte Donald Trump. Sobald es warm werde, sei es aus mit der Bedrohung. Das alte Malaria-Medikament Chloroquin sei womöglich ein Wundermittel gegen das Virus, sagte Trump. Beweise hatte er keine.
Das System versagt
Er verlange «von den Amerikanern nicht mehr, als Amerikaner zu sein», schrieb der französische Philosoph Jean Baudrillard Mitte der Achtzigerjahre nach einer Reise durch die Vereinigten Staaten. Er mochte die Amerikaner, ihre utopischen Anwandlungen und ihren Versuch, sich jenseits der Vorstellungen der alten europäischen Welt zu entwickeln.
Dazu gehörte, dass Amerika «einzigartig», ja eine «unverzichtbare Nation» war, wie es die ehemalige Aussenministerin Madeleine Albright ausdrückte. Die Corona-Katastrophe hat diese Überzeugung als Wunschdenken entlarvt, wenngleich der Präsident davon schwärmte, die Nation habe die «besten Ärzte» und das beste Gesundheitswesen.
Test-Kits zur Aufspürung des viralen Feinds funktionierten nicht.
In der Realität rangiert US-Amerika bei der Bekämpfung des Erregers im Mittelfeld der Industriestaaten, hinter Nationen wie Südkorea und Deutschland. Die berühmten Centers for Disease Control and Prevention, gerühmt als Maginot-Linie zur Abwehr von Infektionskrankheiten, versagten kläglich.
Die Logistik bei der Beschaffung plötzlich notwendiger Güter wie Atemschutzmasken versagte gleichfalls. Test-Kits zur Aufspürung des viralen Feinds funktionierten nicht. Und Big Data spielte bislang eine Statistenrolle.
Es fehlt an allem
Dies alles Donald Trump anzulasten, wäre gleichfalls Wunschdenken, diesmal vonseiten der Linken und Linksliberalen. Denn die Fäulnis im Apparat des amerikanischen Staats und seiner Behörden hatte vorher eingesetzt.
Trump nährte unterdessen eine andere Version des Wunschdenkens: Schon zu Ostern wollte der Präsident die Aufhebung von Social Distancing und Quarantänen empfehlen, um die Wirtschaft zu retten – seine Wirtschaft, auf die er so stolz war. Nun liegt sie in Trümmern, sieben Monate vor dem Tag im November, da sich Donald Trump den amerikanischen Wählern stellen muss.
Ein «Big Bang», ein «Urknall» zu Ostern, schwebte dem Präsidenten vor. Daraus wurde nichts, aber der nächste Termin ist bereits in Sicht, irgendwann im Mai, je eher, desto besser. Das Virus aber wird bis dahin nicht verschwinden. Um es im Zaum zu halten, bedarf es umfassender Tests und weitverbreiteter Tracings von Infizierten.
«Jeder, der einen Test braucht, kann getestet werden», sagte Trump im März. Es war reines Wunschdenken. Immer noch mangelt es an Tests. Und Tracing von Infizierten erfordert Geld, Personal, Koordination. Es fehlt an allem.
Sogar Märkte glauben
Wird die Wirtschaft zu schnell in Gang gebracht, droht eine zweite Welle von Infektionen. Trump ist jedoch ungeduldig. Die Warnungen der Experten nerven ihn. Fachleute wie sein wissenschaftlicher Berater Dr. Anthony Fauci müssen sich nicht den Wählern stellen, er hingegen schon.
Weil Fauci andeutete, die Regierung habe beim Ausbruch zu spät reagiert, geriet er ins Visier von Trumps Anhängerschaft. Ihn zu feuern aber wäre politisch gefährlich. Die Entrüstung über die Entlassung des FBI-Direktors James Comey verblasste daneben. «Es ist, wie es ist», sagt Dr. Fauci. Elegant subsumiert er so alle Versäumnisse der Politik.
Die Wirtschaft werde dann wie eine «Rakete» abheben, sagte Trump. Das wird sie nicht.
Doch nicht nur der Präsident betreibt Wunschdenken. Die Märkte tun es auch. An manchen Börsentagen steigen die Aktienkurse, weil Teile der Wallstreet davon ausgehen, dass im nächsten Quartal wieder die Sonne scheint. Die Wirtschaft werde dann wie eine «Rakete» abheben, sagte Trump. Das wird sie nicht. Denn die Wirtschaft am anderen Ende des Tunnels wird nicht mehr dieselbe sein. Niemand weiss derzeit, wie sie wirklich aussehen wird.
Solange das Virus nicht besiegt ist, werden die Verbraucher sich hüten. Ausserdem werden sie hoch verschuldet sein. Wie der Staat auch.
Zustimmungsrate sinkt wieder
Für Donald Trump ist die Wahl trotzdem noch nicht verloren. Seine Konjunktur, auf die er sich viel einbildete, ist kaputt. Aber er könnte seine Qualitäten als Krisenmanager beweisen. Überzeugt hat der Präsident bislang nicht.
Ihm ein politisches Comeback zu attestieren, reflektiert Wunschdenken. Trumps Zustimmungswerte sinken wieder. Nach einem kurzzeitigen Anstieg Ende März bleiben sie anämisch. Momentan missbilligt über die Hälfte der Amerikaner die Amtsführung ihres Präsidenten – wie vor Beginn der Corona-Krise.
Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom hingegen verzeichnet laut den Erhebungen eine Zustimmungsrate von über 80 Prozent. Andere Gouverneure stehen gleichfalls gut da. Angela Merkel übrigens auch. Donald Trump jedoch nicht.
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