Turbulenzen im LuftverkehrSo ist die Situation an den internationalen Flughäfen
Der grosse Ansturm nach Corona überfordert Flughäfen und Fluggesellschaften. Und Personalmangel, Streiks und technische Probleme helfen dabei nicht. Eine Übersicht.
Personalmangel, technische Störungen, Streiks und der Post-Covid-Reisedrang beschäftigen momentan die Flughäfen und Fluggesellschaften rund um die Welt. Der Hochsommer hat bereits Einzug gehalten und die Ferien werden mit dem Gedanken «Wird mein Flugzeug wirklich abheben?» geplant. Die Flughäfen und Fluggesellschaften mussten aufgrund der Corona-Restriktionen massenweise Personal entlassen, das jetzt bei der momentan steigenden Nachfrage fehlt.
Der globale Flugsektor hatte 2019 noch 90 Millionen Angestellte, drei Jahre später noch 44 Millionen. Das zeigen die neuesten Zahlen der International Air Transport Association (Iata). Nicht nur die europäischen und amerikanischen Flughäfen sind gefüllt mit gestrandeten Passagieren. Auch in Asien drohe ein Chaos, sagt der regionale Vizepräsident für den asiatisch-pazifischen Raum der Iata, Philip Goh, am Rand eines Treffens des Dachverbands der Fluggesellschaften.
Schweiz – im Sommer könnte es eng werden
Die Schweizer Flughäfen und Fluggesellschaften bekommen die Probleme vorerst indirekt zu spüren: Wenn es an den grossen Drehkreuzen London und Amsterdam stockt, müssen oft auch hierzulande Flüge verzögert oder Passagiere umgebucht werden. Bei den Flughäfen in Zürich und Basel geht man von Verspätungen aus. Und in Genf rechnet man damit, dass einzelne Flüge gestrichen werden.
Das Bodenpersonal von Swissport droht mit Streiks. «Kampfmassnahmen in den nächsten Wochen für bessere Arbeitsbedingungen werden nicht ausgeschlossen», erklärten die Gewerkschaften SEV-Gata, VPOD und KFMV am Mittwoch in einem Communiqué. Die zwei Corona-Jahre hätten viel von den Swissport-Mitarbeitenden abverlangt, schrieben die Gewerkschaften. Im Krisen-GAV hätten die Angestellten Lohneinbussen, längere Arbeitszeiten in Kauf genommen und auf Ferien- und Freitage verzichtet. «Sie machten alles, um Swissport durch die Krise zu bringen.» Die Stimmung beim Bodenpersonal am Flughafen Zürich sei sprichwörtlich am Boden.
Der Flughafen Genf rüstet sich für einen Grossandrang während der Sommerferien. Nach zwei mageren Jahren während der Corona-Pandemie könnte das Passagieraufkommen wieder fast das Vorkrisenniveau erreichen. Die Nachfrage nach Reisen in den Sommermonaten sei sehr gross, schreibt der Flughafen Genf in einer Medienmitteilung vom Dienstag.
Gemäss den Prognosen werde in den Monaten Juli und August der Passagierverkehr wieder bei 90 Prozent des Niveaus vom Jahr 2019 liegen. Das Angebot für den Sommer 2022 sei erheblich erweitert worden, so die Meldung. Um den regen Verkehr während der Sommermonate zu meistern, seien neue Mitarbeitende eingestellt worden und zudem könnte bei Bedarf auch das Terminal 2 geöffnet werden. Dennoch werde gerade in Hauptreisezeiten empfohlen, genügend Zeit für den Check-in und die Sicherheitskontrolle einzurechnen.
«Im Sommer haben wir genau die gleichen Probleme wie derzeit London und Amsterdam.»
Der Flughafen Zürich machte zuletzt Schlagzeilen mit einer technischen Störung bei der Flugsicherung Skyguide. Der Aviatikexperte Stefan Eiselin sagt jedoch, dass der Flugbetrieb in Bezug auf die Technik in der Schweiz sehr zuverlässig sei, ergänzt aber: «Im Sommer stossen jedoch alle drei grosse Flughäfen an ihre Grenzen, weil es Engpässe bei der Infrastruktur gibt, und dadurch kommt es immer wieder zu Verspätungen.» Vor allem Zürich sei davon betroffen, insbesondere wenn das Wetter nicht mitspiele.
Am Flughafen Zürich sei man jedoch vorbereitet auf die Sommerreisezeit, sagte die Sprecherin des Flughafens, Bettina Kunz, dem «Blick». Der Flughafen habe «grundsätzlich» genügend Personal im Einsatz. «In diesem Zusammenhang kommt uns zugute, dass wir während der Pandemie kaum Personal entlassen mussten, da wir Kurzarbeit beantragen konnten.»
Zustände wie am Flughafen Schiphol in Amsterdam wird es laut Andreas Wittmer, Leiter des Aviatik-Kompetenzzentrums an der Universität St. Gallen, in der Schweiz nicht geben. Er sagt aber zu 20 Minuten: «Dieses Jahr ist die Situation verschärft, weil es Personalmangel bei Handling-Firmen am Flughafen gibt.»
Anders schätzt Stefan Brülisauer, der für den Luftverkehr zuständige Regionalsekretär bei der Gewerkschaft VPOD, die zukünftige Situation an den Schweizer Flughäfen ein. «Im Sommer haben wir genau die gleichen Probleme wie derzeit London und Amsterdam.»
Europa – Streiks, Verspätungen und Ausfälle
Die Aviatikexpertin Laura Frommberg sagte in der Sendung «10 vor 10»: «Das Flugchaos ist im Grunde schon da, und es droht auch allen, die jetzt im Sommer in die Ferien fliegen.» Der Personalmangel führe dazu, dass die Airlines Flüge annullierten. Im Moment sei die Situation in Europa am schlimmsten, ergänzt Frommberg. Fluggäste, die innerhalb von Europa flögen, müssten im Moment viel Geduld mitbringen, weil auch immer mehr Personal an den Flughäfen streike.
Ein Streik hat den internationalen Brüsseler Flughafen weitgehend lahmgelegt. Weil das Sicherheitspersonal am Montag streikte, musste der grösste Flughafen Belgiens alle ausgehenden Passagierverbindungen streichen. Auch drei Viertel der ankommenden Flüge fielen laut dem Betreiber aus. Insgesamt fielen in Brüssel 232 Flüge aus, betroffen waren rund 30’000 Passagiere. Die belgischen Gewerkschaften fordern angesichts der explodierenden Energie- und Lebensmittelpreise Gehaltserhöhungen für das Sicherheitspersonal. Bis Sonntag werden in Belgien weitere Aktionen erwartet.
Auch in Madrid streikt das Kabinenpersonal. Die Mitarbeiter von Easyjet fordern eine Gehaltserhöhung und legen deshalb ihre Arbeit zwischen dem 1. und dem 3. Juli, zwischen dem 15. und dem 17. Juli sowie zwischen dem 29. und dem 31. Juli nieder.
Nicht nur Streiks beschäftigen die Flughäfen in Europa. Der Flughafen Amsterdam-Schiphol will im Sommer die Zahl der Flüge und Passagiere reduzieren, um lange Warteschlangen von Reisenden zu vermeiden. Der Airport habe die Fluggesellschaften und Reiseagenturen bereits darüber informiert, «dass es notwendig ist, die Zahl der Reisenden zu begrenzen, die vom Flughafen jeden Tag abfliegen», teilten die Betreiber des niederländischen Flughafens mit. Grund sei ein Personalmangel bei den Sicherheitskontrollen, erklärte die Flughafenleitung. Dieser Personalmangel hatte bereits in den vergangenen Wochen in Schiphol für lange Warteschlangen gesorgt.
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Andere europäische Flughäfen haben mit dem gleichen Problem zu kämpfen. In Folge der Aufhebung der Corona-Beschränkungen erwartet Schiphol dieses Jahr nach eigenen Angaben 60 Millionen Passagiere, im Vergleich mit 25,5 Millionen im Jahr 2021. Auch Flughäfen in Nachbarländern hätten wegen Personalmangels ähnliche Massnahmen treffen müssen, so in Frankfurt und in London-Heathrow, betonte Flughafenchef Dick Benschop.
Auch am Londoner Flughafen Gatwick mussten wegen Personalmangels die Zahl der Flüge verringert werden. Im Juli werde es – statt wie in Zeiten vor der Pandemie rund 900 tägliche Flüge – nur maximal 825 und im August 850 Flüge pro Tag geben, erklärte der Flughafen am Freitag. Passagieren solle so ein «zuverlässigerer und besserer Servicestandard» geboten werden. Zuletzt hatte es auch in Gatwick teils Chaos und lange Wartezeiten für Fluggäste gegeben. Grund für die Verringerung des Angebots seien begrenzte Personalressourcen, erklärte der Flughafen.
Zur Situation in Deutschland hatte das Bundesinnenministerium zuletzt darauf verwiesen, dass insbesondere der Flughafen Düsseldorf von Personalmangel betroffen sei, wie das «Handelsblatt» am letzten Mittwoch berichtet hatte. Derzeit komme es «punktuell zu Wartezeiten an Luftsicherheitskontrollen»; neben Düsseldorf gebe es in geringerer Ausprägung auch an den Standorten Hannover, Frankfurt, Köln und dem Flughafen BER eine Wartezeit von über 30 Minuten.
Wegen des Personalmangels an Flughäfen kappt die Billigairline Easyjet ihre Kapazität für das zweite Geschäftshalbjahr. Dies werde zu einer Kostenbelastung führen, und es würden mehr Kosten anfallen als in der Prognose zuvor veranschlagt.
USA – Reiseveranstalter befürchten zu grosse Nachfrage
Auch amerikanische Fluggesellschaften und Flughäfen kämpfen mit Arbeitskräftemangel. Hinzu kommen die Wetterbedingungen und eine Zunahme an Coronavirus-Fällen beim Flugpersonal, wie die «New York Times» schreibt. Doch die Wartezeiten, Verspätungen und Annullierungen haben nicht das gleiche Niveau wie in Europa erreicht. Am Wochenende des Memorial Day am 27. Mai sind in den USA über 2800 Flüge gestrichen worden und mehr als 20’000 hatten eine Verspätung. Allein dieses Wochenende wurden weitere 15’000 Flüge gestrichen. Damit solche Störungen verhindert werden können, reduzieren mehrere amerikanische Fluggesellschaften ihre Flüge für den Sommer, darunter Delta Air Lines, Jetblue Airways und Spirit Airlines. Delta sagte letzt Woche, dass sie planten, im Juli und August täglich 100 Flüge zu streichen.
Vertreter der Reisebranche und Gewerkschaften befürchteten eine Verschärfung der Störungen in den Hochsommermonaten Juli und August, schreibt die «New York Times». Die Regierung von Biden hat entschieden, dass man für die Einreise in die USA keinen negativen Corona-Test mehr braucht. Dadurch könnte die Nachfrage nach Flügen in die Vereinigten Staaten noch mehr steigern. «Es wird die Probleme, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, nur verschlimmern und die Erholung beeinträchtigen», sagt der Vizepräsident für Partnerbeziehungen der Internova Travel Group, Peter Vlitas. Er vertritt weltweit über 70’000 Reiseberater. Die Reiseveranstalter würden nicht in der Lage sein, die Nachfrage zu bewältigen, sagt er der «New York Times».
Asien – Flughäfen sind noch nicht ausgelastet
Der asiatische Kontinent sei noch nicht so stark von der wachsenden Nachfrage nach Flügen betroffen wie Amerika und Europa, berichtet die «Straits Times». Dies bestätigt Philip Goh, regionaler Vizepräsident der Iata für den asiatisch-pazifischen Raum, an der jährlichen Konferenz des Dachverbands: «In Asien ist die Überlastung der Flughäfen noch nicht sehr ausgeprägt», sagt er. Er ergänzt aber: «Ich gehe davon aus, dass sich dies sehr schnell ändern wird, wenn die Reisetätigkeit weiterhin so stark zunimmt wie in den letzten Monaten.»
In Australien seien schon Staus an den Flughäfen erkennbar und auch Japan könnte nach der Wiedereröffnung ein möglicher Engpass werden, sagt Goh. Fakt sei, dass «in den letzten zwei Jahren viele Menschen die Branche verlassen haben, und es dauert seine Zeit, diese Arbeitskräfte zurückzuholen».
«Asien ist eine Mischung aus verschiedenen Ländern, aber im Grossen und Ganzen sind Indien und Asien – abgesehen von China – mit mehr Bedacht durch die Krise gegangen als Europa.»
Die Flughäfen in Asien müssten von den Problemen, die zurzeit in Europa herrschen, lernen. «Wenn Flughäfen und Fluggesellschaften klug genug sind, sich mit den Problemen Europas zu befassen, müssen sie in der Lage sein, der Nachfragekurve vorauszuplanen», erklärt Goh.
Im Moment liegt das Passagieraufkommen in Asien bei 22 Prozent des Vor-Corona-Niveaus und ist damit deutlich tiefer als in anderen Regionen. In Europa sind es rund 70 Prozent. Es werde jedoch erwartet, dass es bis Jahresende auf über 70 Prozent ansteige, schreibt die «Straits Times».
Vom Personalmangel nicht betroffen scheint das Drehkreuz des Nahen Ostens, Dubai und Doha, zu sein. Und zwar, weil die Region viel früher als andere öffnete, als das Flugaufkommen noch geringer war. Damit konnten die Fluggesellschaften und Flughäfen am Persischen Golf die sukzessive Zunahme der Flüge mit Neueinstellungen besser auffangen.
«Die Herausforderung des Personalmangels wird die Branche noch einige Zeit begleiten.»
Der CEO von Qatar Airways, Akbar al-Baker, sagte der «Straits Times», dass bei der letzten Einstellungsaktion mehr als 20’000 Bewerbungen für 900 Stellen eingegangen seien. Die Fluggesellschaft sorge dafür, dass sie mit Bewerbungen «überschwemmt» werde. «In anderen Regionen der Welt gibt es einen Mangel an Arbeitskräften, weil sich die Menschen angewöhnt haben, von zu Hause aus zu arbeiten», sagt al-Baker und ergänzt: «Die Herausforderung des Personalmangels wird die Branche noch einige Zeit begleiten. Warten wir ab, was passiert.»
Auch der CEO der indischen Fluggesellschaft Vistara, Vinod Kannan, bestätigt, dass die frühere Öffnung ein Vorteil war. Dem Nahen Osten und Indien ist der Übergang in die Normalität um einiges leichtergefallen. Die Flughäfen in Indien waren während der schlimmsten Corona-Phase nur für zwei Monate geschlossen. Seitdem konnte das Land die Kapazitäten schrittweise erhöhen. «Asien ist eine Mischung aus verschiedenen Ländern, aber im Grossen und Ganzen sind Indien und Asien – abgesehen von China – mit mehr Bedacht durch die Krise gegangen als Europa», sagte Vistara der «Strait Times». Europa habe sich im Verhältnis zu den vorhandenen Kapazitäten an den Flughäfen viel zu schnell geöffnet.
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