Italienischer SpassdampferSo aufregend ist das neuste Kreuzfahrtschiff
Seit zwei Wochen pflügt die Costa Toscana durchs westliche Mittelmeer. Bei Vollauslastung reisen 6700 Passagiere mit. Eindrücke aus der schwimmenden Kleinstadt.
Die Kommandos des Vortänzers gehen an ein internationales Publikum: «Coca, Fanta, Sex on the Beach» verstehen alle, die das linke Bein (Fanta) oder das rechte (Coca) ausfahren. Wenn der Oberturner in bestem Italo-Englisch «Sex on the Beach!» in sein Headset-Mikro schreit, mühen sich die 20 Frauen und vier Männer zu Körperwellen, schleudern die Arme in den Himmel und stöhnen einträchtig «Oh yeah!»
Feierabendstimmung auf der Piazza del Campo auf Deck 16 am Heck der Costa Toscana, die eben den Hafen von Barcelona verlassen hat. Die Sonne blinzelt durch die Wolkendecke, steuerbord zieht der Containerhafen vorbei, backbord ein Fischkutter, verfolgt von einem Schwarm gieriger Möwen. Das neue Flaggschiff der italienisch-amerikanischen Reederei auf seiner ersten Tour mit zahlenden Passagieren an Bord fällt auf – dank der kühnen Silhouette mit dem gläsernen Skywalk in 65 Meter Höhe, der nur vom Turm der vier Wasserrutschen und dem Kamin in Costa-Gelb überragt wird.
Aber auch dank der schieren Grösse: Die in Finnland gebaute Costa Toscana ist 337 Meter lang, 42 Meter breit. 6730 Passagiere bewohnen bei Vollauslastung die 2663 Kabinen. Maximal 1646 Crewmitglieder arbeiten auf den 19 Decks. Wenn Kapitän Pietro Sinisi die Gäste über Bordlautsprecher auf die nächste Etappe einstimmt, schwingt Stolz mit, ein so ambitioniertes Schiff befehligen zu dürfen. Schiff?
Mit der christlichen Seefahrt hat die Costa Toscana nicht mehr viel gemein. Wir reisen in einer schwimmenden Kleinstadt oder einem Mega-Ferienresort, in dem man am Morgen in einem neuen Hafen erwacht.
Seminare und Hommage an Jackson
Beinahe rund um die Uhr gibt es Action, etwa Seminare wie «Schluss mit Wassereinlagerungen» und «In 50 Minuten 20 Zentimeter weniger Umfang». Oder wie wärs mit einem Video-Quiz, einer Hommage an Michael Jackson oder der Party con noi?
Das Schiff ist so weitläufig, dass sich selbst Passagiere mit ausgeprägtem Orientierungssinn während der ersten Tage im Labyrinth verlaufen. Ob es nun vor Anker liegt oder durchs Mittelmeer pflügt: unerheblich.
Ausser einem leichten Vibrieren spürt man unterwegs keine Bewegung. Immerhin, wenn man nachts die Balkontür öffnet, ist von weit unten das Wellenrauschen zu hören.
Renommierte Architekten und Designer haben den Megaliner konzipiert und eingerichtet, in unaufgeregteren Farbtönen als das 2019 lancierte Schwesterschiff Costa Smeralda. Bei unserer Reise ist die Toscana nicht mal zur Hälfte ausgelastet; es gibt weder Dichtestress noch lange Warteschlangen. Costa inszeniert das zwölfte Flottenmitglied als «Smart City». Die Kommunikation zwischen Besatzung und Passagieren erfolgt auch digital, via App oder übers Kabinentelefon, denn eine eigentliche Réception gibt es nicht. Eine Hotline löst alle Probleme.
Bemerkenswert, wie konsequent Costa auf dem neuen Vorzeigedampfer auf Brands setzt: Outlets und Bars tragen Namen wie Heineken, Ferrari (Champagner), Campari oder Aperol Spritz. Die Passagiere werden in 21 gastronomischen Einrichtungen verköstigt, das Angebot reicht von Nutella-Pizza über den japanischen Tepanyaki-Klamauk bis zur Poké-Bowl mit Rollgerste. Selbst die Buffetrestaurants, auf andern Kreuzfahrtschiffen oft von trostlosem Kantinengroove, hinterlassen hier einen gepflegten Eindruck.
Ob die Köche an der Front allerdings bei Vollauslastung und Grossandrang weiterhin jedes Spiegelei einzeln braten können dürfen, bleibt fraglich. Taktvoll bedient wird man im edelsten Lokal, dem mit Schwemmholzinstallationen dekorierten Archipelago. Hier darf der Gast gegen einen sehr moderaten Aufpreis unter Menüs der Starköche Bruno Barbieri (Bologna), Hélène Darroze (Paris/London) und Ángel León (Andalusien) wählen. So delektiert man sich an Entenbrust mit Sultansgewürzen, Lammkoteletts mit schwarzem Trüffel oder experimentiert mit Planktonreis.
Und man sticht in die hauchzarte Blase eines Amuse-Bouche aus der Molekularküche und fabuliert irgendwas Schlaues zum kredenzten Weisswein aus dem Piemont, während 2700 Kilometer östlich Putin gerade ein ukrainisches Kinderspital bombardieren lässt. Vielleicht ist dieser Spass- und Genussdampfer zur Unzeit ausgelaufen. Aber dann müsste man konsequenterweise die gesamte Ferienindustrie lahmlegen – was die Welt auch nicht besser machen würde.
Kurze Anreise zum Hafen von Savona
Die Costa Toscana wird bis Mitte Oktober ihre Runden drehen im westlichen Mittelmeer; sie ist wegen des einfach zu erreichenden Hafens von Savona bei Genua eine gute Wahl für Schweizerinnen und Schweizer. «Mit diesem Schiff sprechen wir auch ein junges Publikum an», sagt Ulrike Soukop, bei Costa Crociere verantwortlich für den Markt Schweiz/Österreich. Damit meint die Managerin aus Linz auch die Allerkleinsten, für die im Familiensektor auf Deck 16 Bettchen mit Bärchen-Wäsche in Reih und Glied fürs Nickerchen zwischendurch warten.
Bei der Premiere fährt die Reederei noch ein striktes Corona-Regime mit zwei Tests pro Passagier. Ob beim Entertainment auf den sich über drei Decks erstreckenden Colosseo, beim Shoppen in den vielen Bordboutiquen oder im grossen Spa: Überall herrscht Maskenpflicht, Säumige werden vom Personal freundlich ermahnt.
Für den 1. April ist die Rückkehr zur Normalität proklamiert, das genaue Protokoll wird noch verhandelt. Während die Schutz- und Hygienemassnahmen auf dem Schiff leicht zu befolgen sind, geht den Landausflügen in der sogenannten Bubble der Reiz ab. Individuelle Erkundigungen sind ausgeschlossen, und so bleibt den Toscana-Fahrern nichts anderes übrig, als in der Gruppe durch die Gassen von Barcelona zu pilgern.
Dabei hat Costa für diese Saison neue Landprogramme mit authentischeren Erlebnissen ausgeschrieben. Das ist aber nichts Neues in der Branche. Aida, mittlerweile im selben Konzern, versuchte es damit schon vor einem Vierteljahrhundert, um bald auf Standardausflüge umzuschwenken.
Costa verspricht nun einen Kochkurs auf dem Markt von Santa Caterina in Barcelona, einen Besuch im Camp Nou des FC Barcelona oder ein intimes Mittagessen im Haus von Enrico Caruso in Sorrento bei Neapel.
Ungeplant erwischen wir bei einem Fotostopp auf der Panoramafahrt über Marseilles Küstenstrasse eine Szene, wie sie für die südfranzösische Multikultimetropole authentisch ist: An diesem Sonntagmorgen bringt eine schwarze Vortänzerin ihre 50-köpfige Gefolgschaft vor dem Heldendenkmal mächtig ins Schwitzen – mit unglaublicher Ausstrahlung und Energie und afrikanischem Rap. Und nicht etwa mit «Coca» oder «Fanta».
Die Reise wurde unterstützt von Costa-Kreuzfahrten
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