Slalom in Val-d’IsèreErst poltert Kristoffersen heftig – dann wird er zum grossen Sportsmann
Der Norweger beendet eine Serie an Sieglosigkeit, wie er sie noch nie erlebt hat. Im Ziel zeigt er eine schöne Geste, bei der auch Loïc Meillard mitmacht, der die Schweizer Bilanz rettet.
Wie schnell sich ein Bild doch wandeln kann. Am Samstag ist Henrik Kristoffersen der polternde Verlierer, der im Ziel von Val-d’Isère ausruft und sich über die Bedingungen beschwert. Am Sonntag ist er der grosse und generöse Sieger.
Mit Rang 5 im Riesenslalom verlängert der eigenwillige Norweger in Hochsavoyen erst seine Serie an Sieglosigkeit, die seit dem Slalom von Wengen 2023 andauerte und noch nie so lang war in der Karriere des 30-Jährigen. Im Slalom dann durchbricht er sie, gewinnt er vor Landsmann Atle Lie McGrath und Loïc Meillard – und wird im Zielraum zum grossen Sportsmann, der er auch sein kann.
Während das eng getaktete Programm des Weltverbands FIS eigentlich vorsieht, dass die Siegerzeremonie stattfindet, sobald das Rennen entschieden ist, wirft Kristoffersen seine Ski in den Schnee und macht sich in seinen Skischuhen auf zu dem Fahrer, der gerade schwer enttäuscht den Hang hinunterschwingt. Steven Amiez erlebt an diesem Sonntag ein kleines sportliches Drama – und mit ihm die Tausenden Franzosen, die unten auf der Tribüne mitgefiebert haben mit dem Mann, der unweit in Pralognan-la-Vanoise lebt. Erst recht nach dem Ausfall von Clément Noël nach seinem Sturz im Riesenslalom.
Amiez ist der grosse Aufsteiger dieses Slalomwinters, mit den Rängen 6 und 4 ist der 26-Jährige in die Saison gestartet. Nun führt er ausgerechnet in Val-d’Isère nach dem ersten Lauf und ist der ganz grosse Coup zum Greifen nah. Amiez attackiert und riskiert, ganz so, wie es ihm sein berühmter Vater mit auf den Weg gegeben hat, Sébastien Amiez, im Winter 1995/96 der beste Slalomfahrer der Welt. Doch der Sohn scheitert mit dieser Taktik nach wenigen Toren. Amiez rutscht weg, fädelt ein, stürzt ziemlich spektakulär.
Unten im Ziel leiden auch die Konkurrenten mit – und trösten Amiez, als er mit hängenden Schultern bei ihnen ankommt. Erst herzt ihn Kristoffersen, dann McGrath, dann auch Meillard, der Walliser, für den sie gerade so dankbar sind im Schweizer Slalomteam.
Ohne Meillard wäre es ein Schweizer Ski-Desaster
Einmal mehr rettet der 28-Jährige die Bilanz der Mannschaft, in der eigentlich so viel Potenzial steckt. Auf stark gezeichneter Piste nimmt der Walliser als Sechstletzter die «Face de Bellevarde» unter die Ski – und fährt, als ob es keine Schläge und Rumpler gäbe. Hätte er den Übernamen «Skilehrer» nicht schon inne, er hätte ihn wohl an diesem Tag gekriegt. Sechs Hundertstel Vorsprung bleiben Meillard im Ziel auf Lucas Pinheiro Braathen, dem eine beeindruckende Aufholjagd gelingt. Der Brasilianer macht 22 Plätze gut und landet auf Rang 4.
Für Meillard ist es der zweite Podestplatz im dritten Slalom. Und das, obwohl er immer wieder unter Rückenschmerzen leidet und in den vergangenen drei Wochen aus zeitlichen Gründen nicht ein einziges Mal zwischen den eng gesteckten Stangen fahren konnte. «Wir trainieren den ganzen Sommer dafür», sagt Meillard gegenüber SRF, «ich habe mich auf mein Vertrauen und mein Können verlassen. Es war nicht einfach, aber es hat funktioniert.»
Ohne Meillard wäre es ein kleines Ski-Desaster geworden für die Schweiz in Val-d’Isère. Mit Luca Aerni, am Vortag beim Riesenslalomsieg von Marco Odermatt mit Rang 4 der Sensationsmann, und Daniel Yule schaffen es nur noch zwei weitere Schweizer ins Ziel und auf die Ränge 18 und 20. Yule, der erfolgreichste Schweizer Slalomfahrer der Gegenwart, bilanziert: «Ich hatte kein schlechtes Gefühl – und das macht es fast noch schlimmer. Momentan läuft es nicht, ich kann die Ski nicht freigeben, hoffentlich finde ich im Training das Gefühl wieder.»
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12 Johannes Strolz
Der nächste Österreicher ist unterwegs. Doch auch seine 56 Hundertstel reichen nicht. Es gibt Rang 6 mit 45 Hundertsteln Rückstand.
11 Laurie Taylor
Der Brite hat 51 Hundertstel Vorsprung auf Pinheiro Braathen und liegt auch bei der ersten Zwischenzeit noch vorne. Im Ziel ist es allerdings auch bei Taylor ein Rückstand: 35 Hundertstel, Rang 4.
10 Victor Muffat-Jeandet
Der erste Franzose präsentiert sich seinem Heimpublikum. Aber auch er kommt nicht an Pinheiro Braathen vorbei, im Gegenteil. Er fällt auf Rang 6 zurück mit 1,04 Sekunden Rückstand.
9 Adrian Pertl
Der Österreicher hat schon 44 Hundertstel Vorsprung auf Pinheiro Braathen. Doch auch das reicht nicht, um den Neo-Brasilianer von der Spitze zu verdrängen. Auch Pertl landet auf Rang 4.
8 Daniel Yule
Jetzt gilt für den Schweizer: volle Attacke! Doch in den ersten Toren rutscht Yule schon etwas weg, sechs Zehntel verliert er bis zur ersten Zwischenzeit. Das ist kein guter Auftritt des Wallisers: 1,27 Sekunden Rückstand sind es auf Pinheiro Braathen, Zwischenrang 6.
7 Michael Matt
Auch der Österreicher plant den Grossangriff auf noch guter Piste. Sie gelingt nicht, Zwischenrang 4 mit 58 Hundertsteln Rückstand.
6 Stefano Gross
Der Italiener hat 2015 in Adelboden zum ersten und bislang einzigen Mal im Weltcup gewonnen. Die 12 Hundertstel Vorsprung auf Pinheiro Braathen reichen ihm bei weitem nicht zur Führung. Zwischenrang 4 mit 1,12 Sekunden Rückstand.
5 Lucas Pinheiro Braathen
Der Brasilianer fährt mit der Wut im Bauch. So hat er sich das im ersten Lauf nicht vorgestellt. Pinheiro Braathen bringt 62 Hundertstel an Vorsprung mit – im Ziel sind es noch 18 Hundertstel. Immerhin. Das könnte eine kleine Aufholjagd werden für ihn.
4 Armand Marchant
Der Belgier hat schon ein paar Mal geglänzt im Weltcup, sein bestes Resultat, ein 5. Rang in Zagreb, liegt allerdings schon fast fünf Jahre zurück. Er schafft es trotz sechs Zehnteln Vorsprung auch nicht an Kastlunger vorbei.
3 Tormis Laine
Der Este gehört in diesem Winter zu den Überraschungsmännern. Auch in Val-d’Isère hat er im ersten Lauf überzeugt. Aus den 17 Hundertsteln Vorsprung wird aber ein satter Rückstand. Kastlunger ist ein toller Lauf gelungen. Laine liegt 1,92 Sekunden zurück.
2 Tobias Kastlunger
Der Südtiroler bringt nur 4 Hundertstel Vorsprung mit auf Seymour. Doch Kastlunger baut die Führung stetig aus, im Ziel sind es 1,36 Sekunden.
1 Jett Seymour
Als Erster auf die noch frische Piste «Face de Bellevarde» macht sich der Amerikaner Jett Seymour. Der 26-Jährige setzt mit 1:38,89 Minuten eine erste Richtzeit.
Yule mit guter Startnummer
Es ist in Val-d’Isère oft – und in diesem Jahr erst recht – im grossen Vorteil, wer mit tiefer Nummer starten kann. Die Bedingungen sind schwierig, die Piste droht ähnlich wie im Riesenslalom am Samstag früh zu brechen. Von daher haben Athleten wie Lucas Pinheiro Braathen, im 1. Lauf 26., oder auch Daniel Yule (23.) gute Voraussetzungen, eine Aufholjagd zu starten. Kommt es zum grossen Umbruch?
So lief der 1. Lauf
Es hätte sein können, dass die Ski-Schweiz an diesem Sonntagmorgen über die Führung im 1. Slalomlauf von Val-d’Isère jubelt. Hätte die Geschichte damals eine andere Wendung genommen.
Steven Amiez ist mit Abstand der Schnellste auf der «Face de Bellevarde», führt zur Halbzeit mit 32 Hundertsteln Vorsprung auf den Norweger Henrik Kristoffersen und scheint mit 26 Jahren endgültig in der Weltspitze der Slalomfahrer angekommen zu sein. Mit den Rängen 6 und 4 ist der Franzose in den Winter gestartet, er, der zwischen dem 27. Februar 2022 und dem 6. Januar 2024 in 13 Slaloms in Serie ausfiel oder den 2. Lauf verpasste.
Nun führt Amiez ausgerechnet beim Heimrennen. Wobei: Es ist eben so eine Sache mit diesem Heimrennen. Aufgewachsen ist Amiez nämlich auch in der Schweiz, die Eltern – die ehemaligen Skirennfahrer Béatrice Filliol und Sébastien Amiez – lebten lange im Kanton Neuenburg. In einem Interview mit einer Lokalzeitung sagte sein Vater einmal im Scherz, er werde für seinen Sohn den Schweizer Pass beantragen. An diesem Sonntagmorgen wäre Swiss-Ski ganz froh, hätte er das damals gemacht. Denn die eigenen Athleten haben mehrheitlich Mühe mit der ruppigen Piste in Hochsavoyen.
Meillard einmal mehr der schnellste Schweizer
Loïc Meillard ist mit Zwischenrang 6 einmal mehr der Schnellste seines Teams. Drei Wochen in Folge stand der Walliser nicht mehr auf Slalomski, er feilte an seinem einzigen Trainingstag nach der Nordamerika-Reise an seinem Riesenslalomschwung. Dafür schlägt er sich ganz ordentlich.
Das tut auch Tanguy Nef mit der Startnummer 22, er liegt auf Rang 14 und damit knapp vor Luca Aerni (16.), am Samstag noch der Sensationsmann, der es mit der Nummer 62 auf den 4. Platz des Riesenslaloms schaffte. Daniel Yule enttäuscht derweil mit seinen 2,24 Sekunden Rückstand und Rang 23. Der erfolgreichste Schweizer Slalomfahrer der Gegenwart schafft es aber immerhin in den 2. Lauf (ab 13.00 Uhr im Liveticker). Am Nachmittag definitiv nicht dabei ist Ramon Zenhäusern, der gar 3,90 Sekunden verliert – wie Fadri Janutin, der 4,28 Sekunden langsamer ist als Amiez. Und Marc Rochat, der im letzten Winter mit Konstanz auf hohem Niveau glänzte, holt gerade die Vergangenheit ein. Der Waadtländer scheidet auch im dritten Slalom des Winters aus.
Und so ist der glücklichste Mann an diesem Morgen ein Franzose – und der grosse Abwesende ebenfalls: Clément Noël. Gross in doppeltem Sinne, misst der Franzose doch 1,91 Meter – und hat er die beiden Slaloms des bisherigen Winters dominiert. Noël hat in Levi und Gurgl gewonnen und sich am Samstag auf der «Face de Bellevarde» im Riesenslalom probiert. Dort stürzte er allerdings heftig, erlitt eine Knöchelverstauchung und muss vorerst pausieren. So wird es in Val-d’Isère einen neuen Slalomsieger der Saison geben. Die besten Aussichten hat Amiez, der Halb-Schweizer.
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