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Der winterbegeisterte Flachländer
Er war in 585 Skigebieten – und macht in seinem Garten gar Kunstschnee

ST MORITZ, SWITZERLAND - APRIL 13: The night skiing event at Corvatsch is illuminated by floodlight and is the longest illuminated ski run in Switzerland on December 14, 2013 in  St Moritz, Engadin, Graubunden, Switzerland. . (Photo by EyesWideOpen/Getty Images)
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Christoph Schrahe wohnt in Köln (53 m über Meer). Aufgewachsen ist er bei Bonn (60 m ü. M.). Der 55-jährige Deutsche ist also Flachländer – und doch inniger Schneeliebhaber. Als Unternehmer berät er Bergferienorte in ihrer Entwicklung. Als Dozent hält er an der FH Voralberg die Vorlesung «Planung Skigebiete».

Und als Praktiker sowie ausgebildeter Skilehrer hat er schon 585 Skigebiete auf allen Kontinenten befahren. Daraus sind Reiseführer entstanden, die aktuellsten: «111 Skipisten in Europa, die man gefahren sein muss» (2023) und «111 Skipisten, die man gefahren sein muss» (2021). 

Christoph Schrahe, stimmt das Gerücht, dass Sie in Ihrem kleinen Garten eine Schneekanone stehen haben?

Naja, genau genommen ist es eine Lanze – und tatsächlich habe ich sogar mehrere.

Echt?

Ja, die erste war von der Schweizer Firma Bächler. Aber die war unvorstellbar laut. Aus Mitleid mit meinen Nachbarn habe ich die dann an einen Campingplatz-Betreiber aus Potsdam verkauft. Nun nutze ich primär ein leises Modell mit dem schönen Namen SG7-Xstream Snowmaker. Und wenn deren Luftdüse zufriert eine aus Baumarktteilen zusammengeschraubte Alternative. Eine österreichische Lanze habe ich auch, nur hat die nie funktioniert.

Seit wann beschneien Sie Ihren Garten?

Ich habe die Schweizer Lanze 2006 gekauft – und leider war der Winter damals so warm, dass das Schneemachen unmöglich war. Seitdem hat es aber jeden Winter funktioniert. Nach rund sieben Stunden reicht der Schnee für eine kleine Schlittelpiste. Mein Sohn und die Nachbarskinder helfen mir und freuen sich daran, denn hier in Köln haben wir kaum je Naturschnee. Auch ein Iglu gehört dazu, Schneeballschlachten und eine Party mit Glühwein und Punsch.

Christoph Schrahe
Christoph Schrahe

Sind Sie in der Nachbarschaft die Sensation?

Der Schulweg der Kinder führt an unserem Garten vorbei. Die erzählten dann zu Hause, es liege Schnee, und bekamen von ihren Eltern zu hören, sie sollten keine Märchen erzählen. Aber inzwischen hat es sich rumgesprochen, dass da jemand nachhilft. Mein Problem ist: Ich möchte im Winter auch zum Skifahren gehen – und checke doch immer die Wetterapp, ob ich gerade die wenigen kalten Tage in Köln verpasse, in denen ich Schnee produzieren könnte. Mit dem Anstellen des Geräts ist es übrigens nicht getan, es gibt immer was zu checken, Wind, Luft- und Wassertemperatur usw. Da muss man dranbleiben. (lacht)

In der Schweiz haben Sie sich zum Schrecken von Skigebieten gemacht, weil Sie nachwiesen: Diese geben oft mehr Pistenkilometer als vorhanden an. An der Spitze der Schummler: Corvatsch und Titlis.

Ja, aber ich habe dann auch erkannt, dass Pistenkilometer nicht alles sind. Die Grossartigkeit eines Skigebiets lässt sich über ganz viele Zahlen ausdrücken. Am Titlis oder Corvatsch ist das etwa der grosse Höhenunterschied, verbunden mit langen Abfahrten. Am Titlis war ich seither wieder, darum: Alles im grünen Bereich mit mir und der Schweiz. (lacht)

Warum überhaupt Pistenkilometer? Interessieren sich Skifahrer so dafür?

Schon, ja. Psychologisch ist gut, wenn man die Schwelle von 100 Pistenkilometern überbietet, weil das nach viel Abwechslung für die Ferien klingt.

Warum kommt man überhaupt auf die Idee, die Kilometerangaben zu überprüfen?

Ich begann schon als 15-Jähriger, mich für die Länge von Skipisten zu interessieren. Ich habe damals auf topografischen Karten Skipisten eingezeichnet, ihre Längen vermessen und mit den offiziellen Zahlen verglichen. Das war ein Hobby.

Ihre Schnee-Leidenschaft geht also weit zurück. Wo kommt sie her?

Ich habe mit sieben Jahren Skifahren gelernt. Wir waren mit der Familie im Skiurlaub am Hochkönig im Salzburgerland. Aufgewachsen bin ich jedoch fast ohne Schnee. Aber da war immer diese Sehnsucht danach. Als mein Bruder einen Ski-Atlas zu Weihnachten bekam, beschlagnahmte ich ihn und staunte. Ich kannte ja nur diesen Babylift am Hochkönig. Dann entdeckte ich das Buch «Skifahren rund um die Welt» und wusste: Das will ich auch. Nachdem ich mit Freunden 1991 in einem Skiurlaub in Valloire in Frankreich war, habe ich einen Reisebericht verfasst – und ihn 130 Tageszeitungen per Post geschickt. Das war richtig teuer.

Was waren die Reaktionen?

Eine Zeitung hat ihn gedruckt. Das deckte zwar nur einen Bruchteil der Kosten, aber ich dachte mir: «Okay, ich mache weiter.» So kam 1994 ein erster Skiführer während des Studiums dazu. Ich konnte also tun, wovon ich schon immer geträumt hatte.

Inzwischen haben Sie in 45 Ländern 585 Skigebiete befahren. Wie wählen Sie aus?

Meine Motivation ist die Neugier. Bekannte staunen, dass ich manchmal ausser Schnee fast nichts von einem Land sehe. Aber ich lerne Menschen aus anderen Kulturkreisen kennen, mit denen ich eine Leidenschaft teile. Da kommt man schnell ins Gespräch. Im Libanon habe ich Alex getroffen, der dort selbst während des Bürgerkriegs hoch in die Skigebiete fuhr – mit ausgeschalteten Scheinwerfern über die Frontlinie. Mit ihm unternehme ich seither fast jährlich eine Ski-Tour.

Wo waren Sie noch nicht?

Im Baltikum etwa. Aber dort hat es primär 300-m-Pisten. Da schrecke ich zurück. Wobei man auch in der Nähe sammeln kann, wenn tief gelegene Vereinslifte nach Jahren mal wieder Schnee haben. Die klappere ich dann sofort ab. (lacht) Da ist immer grosse Euphorie, wenn man wieder einmal Ski fahren kann. Das geniesse ich. Ich habe darum in ganz kleinen Skigebieten mit nur einem Lift schon wirklich tolle Erlebnisse gehabt, in manchen grossen mir dafür gedacht: Warum warst du überhaupt hier?

Sie mögen also auch den sozialen Kontakt?

Ja, weil es oft Gleichgesinnte sind. Man schickt sich Bilder, tauscht sich aus. So erhalte ich immer wieder neue Ideen – und merke, dass viele so verrückt sind wie ich und dieser Faszination erlegen sind. Als Freiberufler ist mein Glück, dass ich etwas mehr als sechs Wochen Urlaub habe, auch wenn mit der Familie im Sommer natürlich eher Wanderferien anstehen.

Ist da ein ganz leises Bedauern zu hören?

Ein ganz leises vielleicht. Ich wollte vergangenes Jahr mit meinem Sohn nach Südamerika zum Skifahren, er wurde 18. Er bevorzugte eine Schneeleoparden-Safari in Kirgistan. Das kann ich natürlich verstehen. (lacht) Hinzu kommt: Diktaturen meide ich, Nordkorea ist ein Beispiel, obschon es dort tatsächlich moderne Skigebiete gibt.

Was sind Ihre intensivsten Erinnerungen?

Dazu gehört meine Südamerikareise 1994, bei der so gut wie alles schieflief: Ich fing mir bei der Anreise eine Magen-Darm-Grippe ein, verpasste den Anschlussflug. Dann kam mein Gepäck nicht an. In diesem Stil ging es weiter. Es war irre.

Aber das Skifahren war toll?

Ja, das war super. Wie etwa auch das Buckelpistenfahren in Deer Valley in Amerika. Da kommt man in einen richtigen Flow, während die Buckel in den Alpen oft vereist und ruppig sind. Gigantisch ist in Nordamerika auch: Die Pisten sind so leer. Man kann seinen Rhythmus fahren. Zugleich sind die Bereiche zwischen den Pisten gesichert. Man kann also gefahrlos durch den Tiefschnee und das Gelände gleiten. Es ist viel weniger kanalisiert als bei uns. Leider darf ich nicht mehr in die USA einreisen.

Skiers sit on a ski lift over the Darbandsar ski resort, 60 kms northeast of Tehran, on February 28, 2015. Darbandsar ski resort is one of the newest resorts around Tehran attracting many Iranian and foreignor skiers from November till late April. AFP PHOTO/BEHROUZ MEHRI (Photo by BEHROUZ MEHRI / AFP)

Warum?

Ich war zum Skifahren im Iran. Darum müsste ich mich in der US-Botschaft erst befragen lassen, wollte ich wieder in die USA. Darauf habe ich keine Lust.

Auch die Ticketpreise von 200 Dollar pro Tag sind wenig attraktiv, oder?

Diese hohen Preise sind ein Instrument, damit die Leute einen Saisonpass kaufen. Rund die Hälfte der Ersteintritte in US-Skigebiete werden mit Saisonkarten getätigt. Die kosten rund 900 Dollar und gelten in Dutzenden Gebieten (Saisonkarte in der Schweiz für ein grosses Gebiet: tendenziell über 1000 Franken). Nicht wenige Skifahrer kommen dort auf 50 bis 60 Skitage und zahlen im Schnitt pro Tag 15 bis 18 Dollar. Während die Amerikaner die Besucherzahlen so stark steigern konnten, stagnieren die Zahlen in den Alpen oder sind sogar leicht rückläufig.

Amerika hat mit den Saisonpässen das Skifahren verbilligt – mit Erfolg?

Genau. Ein solcher Ansatz fehlt in den Alpen. Die Preise steigen, womit sich tendenziell weniger Menschen das Skifahren leisten können. Aber Preise steigen in ganz vielen Bereichen. Nehmen Sie Ticketpreise für Konzerte. Trotzdem bekommen wir Skifahrer immer Saures, wird unser Sport als Luxusgut beschrieben. Ich finde das unfair. . .

. . . das hat aber auch mit Aspekten wie Kunstschnee zu tun. In Südtirol wird zu 90 Prozent auf maschinell erzeugtem Schnee gefahren, in Österreich sind es 70 Prozent, in der Schweiz 54 Prozent. Warum eigentlich diese Unterschiede?

Die Schweiz hat sehr hoch gelegene Skigebiete, damit ist die Schneesicherheit höher. Im Verhältnis zu den Liften weist die Schweiz mehr Kilometer auf, heisst: Habe ich auf einen Lift nur eine Piste, muss sie zwingend beschneit werden, wenn Naturschnee fehlt. Habe ich aber zwei Pisten auf einen Lift, reicht es, nur eine davon zu beschneien, und trotzdem kann Ski gefahren werden. Österreich profitierte zuletzt auch von vielen Schweizer Gästen und war damit in der Lage, vermehrt in die Beschneiung zu investieren. In Südtirol wiederum gibt es Fördermittel vom Staat zur Beschneiung – bis zu 75 Prozent. Im Übrigen würde ich eher von technisch erzeugtem Schnee sprechen, es ist ja nichts Künstliches daran.

Eine Schneekanone ist im Einsatz im Skigebiet Titlis oberhalb Engelberg, am Mittwoch, 12. Dezember 2018. (KEYSTONE/Alexandra Wey)

Und technischer Schnee ist eine gute Sache?

Absolut. Er schafft Schneesicherheit für die Bergregionen, auch wenn natürlich kleinere, tiefer gelegene Skigebiete wegsterben werden wegen des Klimawandels – weil ihnen die notwendigen Mittel zum Investieren fehlen. In den grossen Skigebieten aber wird auch in den nächsten 20 bis 30 Jahren noch Ski gefahren. Noch etwas zur Schneeerzeugung.

Was?

Fast überall wird mit Strom aus erneuerbaren Energien beschneit. Alpenweit trägt die Beschneiung nur minimal zum CO₂-Fussabdruck eines Skitags in den Ferien bei. Der Hauptteil entfällt auf die Anreise mit dem Auto und das Übernachten. Über die Wahl, wie ich anreise, habe ich als einzelner Skifahrer also selbst den grössten Hebel in der Hand.

Was trotzdem bleibt: Skigebiete verändern den Kulturraum. Wer im Sommer in solchen Regionen wandern geht, staunt teilweise über diese Mondlandschaften. Wie lässt sich das ändern?

Ich weiss, wovon Sie reden. Darum will meine Frau ungern in solchen Gebieten wandern. Aber dieser stark bearbeitete Raum ist im Verhältnis zum gesamten Naturraum relativ gering, und die Betreiber gehen heute behutsamer vor als früher. Und vor allem: Was ist die Alternative? Wenn man diese Regionen erhalten will, brauchen sie den Tourismus. Denn der grosse finanzielle Hebel ist trotz aller Transformation noch immer das Winter- und nicht das Sommergeschäft.