Winter-Tourismus im WandelKönnen wir künftig überhaupt noch Ski fahren?
Experte Jürg Stettler sieht grosse Veränderungen auf uns zukommen. Er beantwortet die drängenden Fragen zu der Zukunft des Nationalsports, den Bergregionen und unseren Wintersport-Budgets.
Herr Stettler, Stichwort Klimawandel: Fahren wir dereinst nur noch in Hallen Ski?
Dann geht man eher virtuell Ski fahren, um ein dreidimensionales Skifeeling zu haben. Meine Annahme bezieht sich aber weniger auf die Schweiz und andere Alpenländer. Denn weshalb geht man Ski fahren?
Ja, weshalb?
Man will sich im Freien bewegen und die Natur erleben. Da Skifahren meist ein Gemeinschaftsvergnügen ist, sind auch gesellschaftliche Aspekte zentral. Darum wird Skifahren noch lange ein Bedürfnis von uns Menschen bleiben. Die Frage wird also weniger sein, ob wir künftig in unserer Region noch Ski fahren, sondern wie häufig und wo.
Wie wird sich der Wintersport und damit das Skifahren in der Schweiz entwickeln?
Ein Hinweis liegt in der Zahl an potenziellen Skifahrern und Skifahrerinnen. Die ist in den letzten Jahren in der Schweiz zumindest nicht markant gesunken. Ungefähr jeder bzw. jede Dritte gibt an, gelegentlich Ski zu fahren. Was sich verändert hat, ist die Zahl an Skitagen pro Kopf. Einerseits ist man irgendwann einfach zu alt dafür, andererseits hat die Breite im Nachwuchs abgenommen. Ich gehe darum von einem schleichenden Rückgang aus, abhängig von der Entwicklung der Kosten …
… denn Skifahren ist meist teuer.
Früher leistete man sich fixe Kosten, die aus Ausrüstung und Saisonabo bestanden. Das ist heute anders. Oft wird die Ausrüstung gemietet, geht man einzelne Tage in ein Gebiet. Die Kosten pro Skitag sind dadurch deutlich gestiegen. Auch Hotel- oder Wohnungskosten, Restaurantpreise etc. sind höher als früher, alles zusammen führt dazu, dass Skifahren im Vergleich teurer geworden ist.
Wenn die Preise steigen, sinkt die Nachfrage.
Darum ist absehbar: Skifahren wird noch teurer.
Wird Skifahren gar zum Luxusgut?
Das ist es in den USA beispielsweise schon. Da können sich das Skifahren je nach Studie nur noch 4 bis 7 Prozent der Einheimischen überhaupt leisten. Ein Tagespass kann dort je nach Gebiet und Zeitpunkt über 200 Dollar kosten.
Noch ist die Schweiz nicht in dieser Nische …
… weil wir weiter ein Selbstbild pflegen, das lautet: «Alles fährt Ski». Die Realität aber ist eine andere. Das hat schon zu meiner Zeit angefangen: Meine Eltern besassen kein Auto, wir gingen nicht Ski fahren. Ich war in der 3. und 4. Klasse je eine Woche in Andermatt in der Skischule, damit ich in der Sek im Skilager kein Anfänger war. Was ich sagen will: Ich war nur halbsozialisiert und bin schleichend aus dem Skifahren rausgefallen – und so geht es mittlerweile vielen.
Wie gut sind die Orte auf den Wandel vorbereitet?
Solange die Destinationen können, werden sie das Winterbusiness aufrechterhalten. Denn die Infrastruktur, die man in den letzten 60 Jahren baute, ist auf den Wintertourismus ausgerichtet.
Weil der grosse ökonomische Hebel das Wintergeschäft ist?
Ja, aber man muss es anders sagen: Die Berg-Infrastruktur entstand über «Alles fährt Ski». Also bauten diese Regionen und Orte Skilifte, Sesselbahnen etc., um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Skifahrer transportieren zu können. 90 Prozent des Geschäfts machten die Bahnen im Winter.
An vielen Orten scheint weiterhin die Devise zu sein: in künstliche Beschneiung investieren – und hoffen.
Das hängt auch mit dem Investitionszyklus einer Bahn zusammen. Sie ist auf Jahrzehnte ausgerichtet mit einer Konzession, die vielleicht bis zu 50 Jahre gilt. Also will man die Investition amortisieren. Die Beschneiung ist unumgänglich, um das Skifahren verlässlicher zu machen. Erst Schnee garantiert Buchungen, und nur wenn die Menschen vor Ort sind, geben sie da auch Geld aus. Denn so schwierig das Business im Winter geworden ist, es bringt immer noch viel mehr Geld ein als im Sommer. Den wenigsten gelingt es, den Sommer finanziell erfolgreich zu bestreiten. Dazu gehören unter anderem die Titlis- oder Jungfrau-Bahnen, die grosse, internationale Gruppen anlocken können.
Was ist mit der Lenzerheide?
Sie haben entschieden, konsequent aufs Mountainbiker-Geschäft zu setzen – mit Erfolg neben den Wanderern.
Dafür sind dort mitunter Biker und Wanderer im Clinch.
Mit entsprechender Wegtrennung und Signalisierung lassen sich die Konfliktzonen mehrheitlich bereinigen. Wo eine Trennung unmöglich ist, riskiert man Ärger, das stimmt zwar. Zugleich gewöhnen sich die Leute aber an diese Entwicklung.
Werden die tiefer gelegenen Gebiete am raschesten umdenken müssen?
Ja, weil etwa das Beschneien keine Strategie darstellt. Aber viele kleine Gebiete haben nur geringe Investitionsbudgets. Zumal sie im Sommer pro Kopf und Tag weniger Geld umsetzen als im Winter.
Was können sie tun?
Die klassischen Adria-Ferien dürften irgendwann wegen des Klimawandels zu heiss werden. Also werden Aufenthalte in höheren Regionen im Sommer beliebter. In den hohen Lagen wird sich das Ski-Business noch sehr lange halten, in den tieferen aber nur noch sehr punktuell – im Gegensatz zum Sommergeschäft. Die grosse Herausforderung wird die Transformation sein. Ohne öffentliche Gelder werden sie viele Bahnen nicht hinbekommen.
Steuerbeiträge für bestimmte Regionen. Ist das sinnvoll?
Solange wir lebendige Berggebiete haben wollen, müssen sie auch wirtschaftliche Perspektiven aufweisen. Dafür ist der Tourismus nun einmal zentral. Angesichts dieser Bedeutung sind Investitionsbeiträge sicher sinnvoll. Zumal das Grundmotiv von uns Menschen, uns in der Natur aufzuhalten, bleiben wird. Wo ich zurückhaltend mit Geldgeben wäre: wenn der Betrieb nicht mehr kostendeckend möglich ist. Aber die Frage lautet immer: Was sind die Alternativen? In so manchem Gebiet wäre dann wohl früher oder später Lichterlöschen, denn in den meisten Berggebieten geht es bei allem Tourismus nicht ohne öffentliche Gelder.
Ein Trend ist jetzt schon erlebbar: Die Branche reagiert mit dynamischen Ticketpreisen. Was bringen sie den Betreibern, was den Skifahrern?
Man muss klar sagen: Es geht diesbezüglich nicht um eine Wohltätigkeitsveranstaltung.
Was heisst das?
Die Bahnen wollen damit den durchschnittlichen Ertrag pro Skitag erhöhen.
Wie tun sie das?
Dynamisch bedeutet: Wer Mitte Januar bei schlechtem Wetter auf die Piste geht und frühzeitig gebucht hat, kommt günstiger als zuvor mit dem statischen Modell. Wer hingegen in den meistbesuchten Wochen – Stichwort Winterferien – Ski fahren will und erst kurzfristig oder am Skitag das Ticket kauft, zahlt wesentlich mehr als zuvor. Den Bahnen gelang es also, das Wetter- und Schneerisiko auf die Gäste zu übertragen. Entsprechend konnten sie den durchschnittlichen Ertrag pro Skitag seit Einführung vor fünf Jahren steigern.
Wir Skifahrer hingegen glauben, damit besser wegzukommen.
Ich würde als Bergbahn auch nicht erzählen, dass ich mittels dynamischer Preise die Einnahmen erhöhen will. Andere Branchen waren da einfach viel früher dran. Dass ein Hotelzimmer in der Hochsaison mehr kostet als in der Nebensaison und dass Flugtickets unterschiedlich viel kosten, ist für uns Konsumenten selbstverständlich. Dynamische Preise funktionieren aber nur, solange die Nachfrage das Angebot übersteigt. Die Fragen werden diesbezüglich sein: Geht diese Knappheit mit dem rückläufigen Interesse am Skifahren verloren? Und führen zu hohe Preisspitzen zum Rückgang der Nachfrage?
Wenn der Kampf um Skifahrer härter wird: Sind folglich Discounter mit billigen Skipreisen zu erwarten?
Die Bergbahnen in Saas-Fee führten 2015 ein Winter-Abo für 222 Franken ein, ich war damals VR-Präsident der Saastal Marketing AG. Die Aktion rüttelte die ganze Branche durch, andere Gebiete zogen nach. Aber alle erhöhten die Preise danach sukzessive wieder, weil diese sich nicht rechneten.
Wenn Sie eher keine Discounter erwarten, werden Skigebiete vermehrt kooperieren?
Das Vorzeigebeispiel ist Zermatt. Nachdem sich die konkurrierenden Bahnen zusammengeschlossen hatten, waren die Banken plötzlich bereit, Investitionen substanziell mitzufinanzieren. Die vereinten Zermatter Bergbahnen konnten so über die letzten 20 Jahre circa 700 Millionen Franken investieren. Solche erfolgreichen Zusammenschlüsse können das Produkt «Skigebiet» deutlich attraktiver machen. Oder anders formuliert: Wer sich künftig nicht zusammenschliesst, wird im Nachteil sein.
In der Schweiz werden 54 Prozent aller Pistenflächen von künstlichem Schnee erzeugt, in Österreich sind es 70 Prozent, in Italien gar 90. Werden wir dieser Tendenz folgen?
In der Schweiz war die Beschneiung aus gesetzlichen Gründen im Vergleich lange eingeschränkter – oder die anderen Länder liberaler. Inzwischen sind auch in der Schweiz kaum mehr grössere Einschränkungen vorhanden. Die beschneiten Pistenflächen haben daher kontinuierlich zugenommen. Was bleibt: Beschneien ist teuer, das muss man sich also erst einmal leisten können.
Wie wichtig ist Naturschnee dereinst überhaupt noch – oder reicht ein Kunstschneeband im Grünen?
Ich behaupte: Der Erlebniswert ist an die Winterlandschaft gekoppelt. Ein Kunstschneeband reicht wohl nur den Hardcore-Skifahrern.
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