Forfait beim SaisonauftaktGut-Behramis Tränen – und auf einmal ist ihre Zukunft fraglich
Die Tessinerin kann in Sölden nicht starten. In ihrer Abwesenheit siegt Federica Brignone, patzt Mikaela Shiffrin und enttäuschen die Schweizerinnen.

Lara Gut-Behrami hat in den letzten Jahren das Leben neben der Piste entdeckt. Sich als Mensch kennen gelernt, als Frau auch, so sagt sie das. Sie ist nicht mehr nur Athletin, wie sie das früher immer war. Im italienischen Udine wohnt sie zusammen mit Ehemann und Ex-Fussballer Valon Behrami, der zwei Töchter in die Ehe mitgebracht hat. Am Donnerstag diese Woche, beim Anlass ihres Ski-Ausrüsters in Sölden, sagt die Tessinerin: «Es gibt so viele schöne Dinge in meinem Leben, dass es irgendwie traurig wäre, zu glauben, dass Skirennen alles sind, was im Leben zählt.»
Es ist Samstagmorgen hoch über Sölden, auf dem Rettenbachgletscher. Die Besichtigung für den ersten Riesenslalom der Saison ist gerade vorbei. Gut-Behrami spricht in die Mikrofone – und es wird schnell klar: Das Skifahren bedeutet ihr eben immer noch eine ganze Menge. Mit zittriger Stimme gibt Gut-Behrami bekannt, dass sie nicht starten kann. Die Knieverletzung, zugezogen beim Training in Südamerika, war hartnäckiger als vermutet. Drei Wochen lang konnte sie zuletzt nicht mehr auf Schnee trainieren. Wegen des Knies. Und wegen einer Grippe, die sie ins Bett zwang, vier Tage lang konnte sie nichts essen. Sie habe viel Muskelmasse verloren, sagt die 33-Jährige – «und fast noch schlimmer: Auch das Selbstvertrauen hat gelitten».
Gedanken an eine Verletzung
Am Samstag nun kommt zu viel zusammen. «Ich hatte gehofft, der Renntag würde mir helfen, zu vergessen, was im letzten Monat passiert ist, dass ich das Vertrauen zurückgewinne. Aber während der Inspektion verstand ich: Heute ist nicht der Tag, an dem ich ein Rennen fahren kann. Ich kann nicht mit 90 Prozent an den Start gehen, mit Zweifeln über meinen Zustand, mit den Gedanken, dass ich mich verletzen könnte. So will ich nicht fahren.»
Gut-Behrami muss die Tränen zurückhalten, später fliessen sie doch noch. «Ich will nicht, dass eine Verletzung meine Karriere beendet. Ich will selbst entscheiden können, wann es vorbei ist.» Und: «Ich glaube nicht, dass es heute ist. Entschuldigt meine Tränen.»
Es ist selten, dass die Schweizerin Emotionen dieser Art mit der Öffentlichkeit teilt, eine gewisse Verunsicherung auch. Ihre Zukunft als Skifahrerin scheint zumindest nicht mehr so gesichert zu sein, wie sie das nach der MRI-Untersuchung und einer ersten Entwarnung schien. Sie hoffe zwar, Ende November in Nordamerika in die Saison starten zu können, sagt Gut-Behrami. Aber: «Ich will nach meiner Karriere ein Leben mit einem intakten Knie leben.»
Die Tränen sind auch Ausdruck dafür, was das Skifahren für Gut-Behrami in den letzten Jahren geworden ist. Längst ist es nicht mehr nur Beruf, ist es kein Muss mehr für sie. Sie braucht kein Privatteam mehr zu finanzieren wie in ihren jungen Jahren, als sie mit ihrem Vater und einer kleinen Entourage durch den Skiweltcup zog. Heute ist sie fast komplett ins Schweizer Team integriert und fährt Ski, weil es ihre grosse Passion ist, aus Freude, aus Spass.
Der Rückschlag kommt zur absoluten Unzeit
Als sie sich bei der WM 2017 in St. Moritz beim Einfahren für den Kombinationsslalom einen Kreuzbandriss und eine Meniskusverletzung im linken Knie zuzog, war das ein Zeichen für sie, ihr Leben als Skifahrerin zu entschleunigen, zu verstehen, dass es noch so viel gibt neben der Hatz auf Schnee. Im Rückblick war sie froh, hatte ihr Körper die Reissleine gezogen. Dass sie im letzten Monat die Verletzung von damals einholte, ist die bittere Ironie des Schicksals. Das schmerzende Knie kam nicht mehr gelegen, sondern zur absoluten Unzeit.
Gut-Behrami will die letzten Schwünge ihrer langen Karriere, die sie vor fast 17 Jahren in den Weltcup führte, in vollen Zügen geniessen. Die WM in Saalbach im Februar ist ihr grosses Ziel. Ob sie dann gar noch weitermacht und auch Olympia 2026 in ihrer Wahlheimat Italien bestreiten wird, lässt sie offen. Nun steht das alles auf wackligen Beinen, auch wenn es aus dem Schweizer Team heisst, Gut-Behrami werde in Nordamerika wieder dabei sein.
Einzig Camille Rast in den Top 15
Die Hoffnung, dass es so kommt, dürfte ziemlich gross sein. Wie ein Auftakt in Sölden aussehen kann, wenn die Grande Dame des Schweizer Skisports fehlt, zeigt sich am Samstag. Gut-Behrami ist mit drei Triumphen zusammen mit Tina Maze Rekordsiegerin im Ötztal. Im vergangenen Winter hat sie hier mit ihrem Sieg eine Saison lanciert, die sie als beste Riesenslalom- sowie Super-G-Fahrerin und Gesamtweltcupsiegerin beendete. Sie kaschierte damit die Schwierigkeiten, in der die Schweizer Frauen stecken. In Sölden werden diese schonungslos aufgedeckt. Camille Rast wird als Beste ihres Teams Zwölfte. Auch Michelle Gisin (22.), Wendy Holdener (25.) und Simone Wild (28.) holen noch ein paar wenige Punkte.
Mit den Plätzen ganz vorne aber haben sie nichts zu tun. Dort gelingt Federica Brignone das Kunststück, die Halbzeitführende Mikaela Shiffrin noch zu überflügeln, die den zweiten Lauf ziemlich verbremst. Die Italienerin gewinnt vor Alice Robinson und Julia Scheib. Die Österreicherin, der im ersten Lauf ein grosser Fehler unterlaufen ist, schreibt mit ihrer Aufholjagd die wohl schönste Geschichte des Tages. Und liefert damit das Gegenstück zu Lara Gut-Behrami.
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Wendy Holdener
Die Schwyzerin sagt gegenüber SRF: «Ich bin froh, habe ich eine zweite Chance erhalten. Ich war heute nervöser, als ich es erwartet hatte. Ich schaue mir nun das Rennen an und versuche das herauszunehmen, was die anderen besser machen. Danach freue ich mir auf ein paar Tage Skipause.»
Camille Rast
Mit den starken Amerikanerinnen kann Rast nicht mithalten, aber die Romande zeigt eine ansprechende Fahrt und fährt auf Zwischenrang 3. 15 kommen noch, das wird also mindestens Platz 18. Die eine oder andere Konkurrentin dürfte sie aber schon noch hinter sich lassen. Es ist ein ordentlicher Saisonauftakt.
Katie Hensien
Was bitte zeigen die Amerikanerinnen hier? Katie Hensien überflügelt Teamkollegin O’Brien und geht mit 32 Hundertsteln Reserve in Führung.
Clara Direz
Die Französin hat schon vieles erlebt, hat einmal ein Parallel-Rennen gewonnen, eine Lungenembolie erlitten, eine Krise durchgestanden. Nun läuft es Direz wieder besser. Zwischenrang 3 geht für sie in Ordnung.
Lara Colturi
Im ersten Lauf war die noch immer erst 17-Jährige oben gar schneller als Mikaela Shiffrin. Auch in der Entscheidung zeigt die für Albanien startende Italienerin eine äusserst starke Leistung. Sie kann zumindest halbwegs mit der entfesselten O’Brien mithalten und liegt auf Platz 2. Der Rückstand beträgt 76 Hundertstel. Ach ja: Colturis Mutter ist Daniela Ceccarelli, die 2002 in Salt Lake City Olympiasiegerin im Super-G wurde.
Ricarda Haaser
Es ist Nationalfeiertag in Österreich, und die in den letzten Jahren viel gescholtenen Riesenslalom-Fahrerinnen sollen entsprechend liefern. Haaser kann das nicht, sie scheidet im Mittelteil aus.
Nina O’Brien
Diese Frau kennt nur die volle Attacke: O’Brien riskiert immer alles, scheidet auch häufig aus und war auch schon oft verletzt. Nun aber geht es auf: Die Amerikanerin zeigt einen überragenden Lauf, liegt mit 1,73 Sekunden vorne. Hut ab, zumal es ihr Comeback-Rennen nach einem Beinbruch war. O’Brien dürfte sehr viele Plätze nach vorne rutschen.
Asja Zenere
Der Vorsprung der Italienerin auf die Führende Bucik Jogan beträgt am Start immerhin schon 62 Hundertstel. Im Ziel sind es dann noch deren 3. Zenere liegt vorne und jubelt frenetisch.
Marina Gasienica-Daniel
Die Polin hat eine komplizierte Saison hinter sich und ist in der Weltrangliste zurückgefallen. In einem Podcast sprach sie unlängst übers Selbstvertrauen, welches ihr phasenweise komplett abhanden gekommen sei. Gestärkt hat sie dieses heute nur bedingt: Sie fährt auf Zwischenrang 4, zeitgleich mit Wendy Holdener. Was auffällt: Der Wind bläst doch ziemlich stark.
Cassidy Gray
Die Kanadierin ist gut unterwegs, leistet sich im Mittelteil aber einen Innenskifehler und scheidet aus. Die Fans auf der Tribüne sind entsprechend bedient.
Estelle Alphand
Mit Nummer 49 hat sich die Schwedin als 25. relativ souverän für den 2. Lauf qualifiziert, was doch eine ziemlich beachtliche Leistung war bei diesen schwierigen Bedingungen. In der Entscheidung tut sich die Tochter des einstigen Gesamtweltcup-Siegers Luc Alphand etwas schwerer. Sie kann sich unten aber steigern, so reicht es doch noch zu Zwischenrang 2.
Franziska Gritsch
Damit ihr Freund auch ihr Trainer bleiben konnte, hat sie sich vom österreichischen Verband losgelöst. Im Sommer hat Gritsch auch noch das Material gewechselt (von Head zu Blizzard). Vorerst profitiert sie davon nicht: Sie fährt auf Platz 4 – direkt hinter Holdener, aber vor Wild.
Ana Bucik Jogan
Wie es geht, zeigt die Slowenin: Bucik Jogan, die im Sommer geheiratet hat, übernimmt mit 73 Hundertsteln Vorsprung die Führung.
Simone Wild
Auch die nächste Schweizerin scheitert an der Marke von Dorigo. Wild büsst zwei Zehntel ein und fällt auch hinter Holdener zurück. Das dürfte also eher nichts werden mit einem grossen Sprung nach vorne für die beiden Schweizerinnen.
Wendy Holdener
Die Familie ist da, der Fanclub ist da: Aber Wendy Holdener mag nach ihrem Lauf nicht gross ins Publikum winken. Sie kämpft, das ist offensichtlich, unten aber büsst sie ihren geringen Vorsprung auf Dorigo ein und wird Zweite. Aber Chapeau, wie die Schwyzerin dieses Comeback-Rennen gemeistert hat. Zumal es auch der erste Einsatz war seit dem Tod ihres Bruders Kevin, der ein extrem enger Vertrauter war.
Los gehts! Fabiana Dorigo ist gestartet
Als 30. hat sich die Deutsche erstmals für einen zweiten Durchgang qualifiziert. Mit 2:19:97 setzt sie die erste Richtzeit – und holt erstmals Weltcup-Punkte.
Startnummern-Rennen
Im ersten Lauf hatten die Fahrerinnen, die spät ins Rennen stiegen, kaum mehr eine Chance auf Spitzenplätze. Die Piste liess, wie üblich in Sölden, zu stark nach. Im zweiten Lauf wird das kaum anders sein. Will heissen: Für Wendy Holdener und Simone Wild, die früh in die Entscheidung starten, besteht eine gute Chance, sich zumindest um einige Plätze zu verbessern.
Nochmals Shiffrin
Der Vorsprung der Führenden auf Alice Robinson sowie Federica Brignone hält sich in Grenzen (22 respektive 40 Hundertstel). Aber: Shiffrin sagte nach dem ersten Lauf, sie habe nicht alles riskiert. Keine allzu guten Neuigkeiten für die Konkurrenz also.
Shiffrins klare Ansage
Der amerikanische Superstar will heuer zurückschlagen, nachdem sie im letzten Winter von einer Verletzung gebremst wurde. Der Gewinn des Gesamtweltcups ist ihr klares Ziel, und vor allem im Super-G will sie auch wieder vorne mitmischen. Siegt sie heute, wäre das ihr 98. Sieg im Weltcup – der 23. im Riesenslalom. Sie ist schon Rekordsiegerin in dieser Disziplin.
Willkommen zurück
Bald beginnt die Entscheidung in Sölden. Vier Schweizerinnen sind dabei, im Kampf um die Podestplätze werden sie aber kaum eingreifen können. Den zweiten Lauf gesetzt hat der italienische Coach Davide Simoncelli.
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