Skateboard-Profi im Interview«Dieses Louis-Vuitton-Brett steht für etwas, womit ich Mühe habe»
Skaten ist Lifestyle – und somit auch für Luxusmarken attraktiv. Nationaltrainer Simon Stricker sagt, was er davon hält und wie die Schweizer Szene damit umgeht.

Simon Stricker, auf Ricardo verkauft jemand ein Skateboard der Luxusmarke Louis Vuitton für 6000 Franken. Was ist da los?
Louis Vuitton? Was ist das für ein Skateboard?
Das frage ich mich auch.
Keine Ahnung, was da läuft. Vor zwei Jahren hat die Presse mal bei mir angerufen, weil einer ein Skateboard für eine Million verkaufen wollte.
Sie meinen das Brett, das der Skateboard-Legende Jay Adams gehört haben soll. Wissen Sie, wie die Geschichte damals ausgegangen ist?
Nein. Aber dieses Louis-Vuitton-Brett steht für etwas, womit ich Mühe habe.
Nämlich?
Ich finde es wunderbar, wenn eine Marke mit Skateboarden Werbung macht und dann dem Sport auch etwas zurückgibt. Wenn die Firma zum Beispiel einen netten Betrag für einen Skatepark zahlt, haben alle etwas davon. Aber es ist schade, wenn Marken diesen Lifestyle als Marketing-Tool brauchen und selbst keinen Bezug zum Skateboarden haben. Sie geben dem Skateboarden nichts.
Wenn sich Skateboard-ferne Marken an der Seele Ihres Sports bedienen – meinen Sie das so?
Genau, das ist die Aussage.
Seit Tokio 2021 ist Skateboarden olympisch. Wie hat sich das auf die Seele des Skateboardens ausgewirkt?
Es gab Befürworter und Gegner. Ich persönlich sehe diese Entwicklung positiv. Wer in der Freizeit skaten will, wer Skateboard als Lifestyle versteht, der kann das weiterhin tun. Und für die Profis ist Olympia ein weiterer internationaler Contest. Zudem hat Olympia zur Fairness beigetragen.
Inwiefern?
Die Frauen haben eine Plattform erhalten. Früher gab es viele Contests, die nur für die Jungs waren. Die Frauen fuhren einfach bei uns mit. An Olympia haben sie ihre eigene Kategorie. Auch cool ist das Wertungssystem. Du hast zweimal 45 Sekunden Zeit, dein bestes Skaten zu zeigen.
Was ist das für ein Gefühl, wenn in 45 Sekunden alles aufgeht?
Wenn der Run aufgeht, ist das sehr cool, es fühlt sich super an. Aber gleichzeitig ist es auch frustrierend. Denn du weisst, da wäre noch mehr gegangen. In diesen 45 Sekunden kommt jedenfalls eine mentale Komponente ins Spiel. Du musst dein ganzes Potenzial in dieser Zeit ausschöpfen. Dazu gehört auch, dass du das Zeitmanagement im Griff hast. Du musst zum Beispiel merken, ob es noch für einen weiteren Trick reicht oder nicht. Dieser Druck ist hoch. Das andere Extrem sind Film-Sessions: Da stoppst du einfach nach jedem Versuch die Aufnahme und startest nochmals von vorne. Redo, redo, redo.
Wie hat die Aufnahme ins olympische Programm die Schweizer Strukturen verändert?
Als Skaten olympisch wurde, musste Swiss Olympic einen der zwei Verbände auswählen, der für die Sportart zuständig ist, also auch für die Selektion der Athletinnen. Es gab Swiss Skateboard und die Skateboard Union. Swiss Skateboard erhielt den Zuschlag. Und inzwischen finde ich, dass wir mit der Union eine gute Basis geschaffen haben, auf der die Schweizer Szene zusammenfindet.
Sie sind Schweizer Skateboard-Nationaltrainer. Was machen Sie in dieser Rolle?
Ich schaue, welche Contests infrage kommen, bereite Kadertrainings vor, ich organisiere Reisen an Orte, wo wir einfach zusammen skaten, mache Trainingspläne, schaue, dass wir mediale Präsenz haben, dazu gehören Fotografie und Social Media.
Ihr Pflichtenheft ist deutlich umfassender als jenes von Nationaltrainern anderer Sportarten. Zudem fahren Sie noch selbst, sind also eine Art Spielertrainer. Wie stehen Ihre persönlichen Chancen, sich für Paris 2024 zu qualifizieren?
Das wird inzwischen knapp. Das muss ich so ehrlich sagen. Ich denke, dass Liv Broder und Kilian Zehnder die realistischsten Chancen haben.
Bei der Premiere in Tokio waren keine Schweizerinnen oder Schweizer dabei. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme in Paris?
Ich glaube immer noch, dass wir eine Chance haben, jemanden nach Paris zu schicken. Aber realistisch sage ich: Die Chancen stehen bei 20 Prozent.

Skateboard ist von Swiss Olympic im fünften von fünf Fördertöpfen eingestuft.
Ich würde meine Athleten gerne im Winter nach Kalifornien schicken und sagen: «Schau, da hast du drei Monate Zeit, um bei netten 25 Grad die besten Bowls (schüsselartige Betonanlage, Anm. d. Red.) und Streetparks zu fahren. Aber mit unserem Budget ist das schlicht unmöglich. Und das ist eine Hürde für uns.
Was müsste passieren, damit Ihre Sportart sich hocharbeitet?
Wir müssten jemanden an die Olympischen Spiele bringen. Alle anderen Kriterien geben zwar ein besseres Bild ab, aber sie bringen uns im Einstufungsprozess nicht weiter. Also zum Beispiel die Anzahl Leute, die in der Schweiz skaten.
Wie viele Leute skaten in der Schweiz?
Das kann ich allerhöchstens grob schätzen. Ich würde sagen: 10’000 Menschen.
Wie hat sich diese Zahl in den letzten Jahren verändert?
Das variiert. Zurzeit haben wir wieder mehr Einsteiger. Junge, aber auch Leute über 35. Solche, die früher mal den Jugendtraum hatten und die jetzt doch noch beginnen. Der momentane Aufschwung hat viel damit zu tun, dass es immer mehr Skateparks gibt in der Schweiz, auch gute.
Neben dem Brett sind Sie Unternehmer und planen unter anderem selbst Skateparks.
Ja. Das Gute an der wachsenden Infrastruktur in der Schweiz ist, dass viele Parks öffentlich zugänglich sind. Da kann man als Einsteiger einfach mal loslegen. Ohne Angst zu haben, dass du blossgestellt wirst. Das macht extrem viel aus.
Wo sind die Grenzen als Einsteiger?
Die Street-Disziplin (skaten in den Hindernissen der urbanen Architektur, Anm. d. Red.) ist für Einsteiger weniger zugänglich. Da sind die Schläge einfach zu extrem. Das Verletzungsrisiko ist zu gross, wenn du die Grundlagen nicht von klein auf gelernt hast. Dann kannst du keine Handrails (Treppengeländer) mehr skaten oder keine Treppen mehr hinunterspringen.

Kann jeder Mensch skaten lernen?
Fahren ja. Rampe hoch, Rampe runter, Kurve, das kann jeder, der sich normal bewegen kann. Wenn du aber einen Trick lernen willst, dann muss dein Körper die Abläufe verstehen. Wenn du zum Beispiel das Brett weg vom Boden hochbringen willst.
Das ist der Ollie, der Grundtrick im Skaten. Können Sie sich an den Moment erinnern, in dem Sie diesen Trick zum ersten Mal geschafft haben?
Ich habe den Ollie nicht an einem Tag gelernt, sondern über eine längere Zeit. Wir legten Äste und andere Hindernisse auf den Boden. Durch diese Vielseitigkeit hat es irgendwann geklappt, und der Ollie wurde immer höher. Aber ich erinnere mich an den Moment meines ersten Kickflips.
Ein Ollie, bei dem sich das Brett um die Längsachse dreht.
Genau. Ich hatte mit einem Kollegen eine Challenge am Laufen, wer den Flip zuerst kann. Früher gab es doch diese blauen Recycling-Container. Von diesen sprangen wir herunter, um das Landen zu üben. Nach einem Monat konnten wir das Brett drehen. Und eines Tages ging der Flip. Seither funktioniert er eigentlich immer.
In Ihrem Gesicht steht die Freude, die Sie damals gespürt haben mussten.
Voll! Im Kickflip liegt viel Information. Wenn jemand sagt, er könne skaten, dann muss die Gegenfrage lauten: Kannst du einen Kickflip? Der Trick ist anspruchsvoll. Aber er gehört zu den Grundlagen.
Auch zu den Grundlagen gehört die Ausrüstung. Wenn man nicht gerade ein Louis-Vuitton-Brett will, wie viel muss man ungefähr ausgeben?
Für 300 Franken kriegst du ein gutes Brett. Dann einen Helm für 50 Franken, Schuhe für 60. Mit 400 Franken ist man dabei.
Sie sind einer der wenigen Skateboard-Profis der Schweiz. Was für ein Leben führen Sie?
Eine Zeit lang habe ich mich ausschliesslich auf das Skateboarden konzentriert. Seit ich mich selbstständig gemacht habe mit meiner Skateboard-Academy, bin ich besser geworden, obwohl ich weniger Zeit für das Fahren hatte. Weil der Tagesablauf viel geregelter ist. Ab und zu ist es einfach gut, wenn du nebenbei eine Beschäftigung hast, die dich auf neue Gedanken bringt. Ansonsten läufst du Gefahr, in einen Film hineinzugeraten und dass dir das Skateboarden plötzlich nicht mehr so viel Spass macht. Weil es zu viel wird.
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