TV-Kritik «Sing meinen Song»Nach Tränen wird hier gezielt geschürft
Dem Sendungskonzept werden in der fünften Staffel seine Grenzen aufgezeigt. Die glatt orchestrierte Gefühlsparade lebt auch diesmal von Unberechenbarkeiten – einen Anfang machte Marc Sway.
«Sing meinen Song», da war doch was. War das Format hierzulande nicht an einem Wendepunkt angelangt: händeringend nach Gästen suchend, weil der Deutschweizer Musikmarkt einfach nicht mehr hergibt, sowie nach einem neuen Gastgeber, weil sich der Aargauer Sänger Seven nach vier Staffeln verabschiedet hatte?
Am Mittwoch ist die fünfte Ausgabe angelaufen, und es lässt sich festhalten: Die Macher von 3+, die die Lizenz für eine nächste Staffel schon beantragt haben, sind den Veränderungen pragmatisch begegnet. «Sing meinen Song» recycelt bekanntes Liedgut, wie bis anhin mit einer Prise Peoplejournalismus und Emotionen auf Abruf.
Bloss: Auf Musik muss man zum Auftakt lange warten, das erste Drittel gehört der Vermarktung. Halsbonbon, Airline, Auto: Wir sehen die Stars beim Fliegen, Fahren, Einchecken, die zahlenden Partner wollen ihre Produkte platziert haben, und das geschieht zum Teil so schamlos unästhetisch, dass man sich phasenweise in einer von KI erstellten Bildwelt wähnt. Dodo in seinem «Hippiebus» hat man sich halt immer anders vorgestellt, als dass er in einem vollelektrischen ID-Buzz von Volkswagen übers Touchpad streicht.
Sway, der Zen-Mönch in der Gute-Laune-Kutte
Nun denn, Musik bitte. Da ist vieles wie gewohnt: Vom Star des Abends gibt die Runde ausgewählte Songs zum Besten, während dessen Lebensgeschichte schablonenhaft auf emotionale Druckstellen abgetastet wird. Natürlich ist es erfrischend, wenn der Appenzeller Sänger Marius Bear sagt, er freue sich aufs «Brüele». Aber es legt gleichzeitig auch das Problem des Konzepts in der Gewohnheit der fünften Staffel offen: Keine Träne fliesst hier mehr spontan, vielmehr wird gezielt danach geschürft.
Nur diese derart glatt orchestrierte Gefühlsparade alleine hätte die Sendung nie durch bisher vier erfolgreiche Staffeln getragen. Es brauchte dafür stets die Unberechenbarkeit gewisser Exponenten: der spitzbübische Baschi, der lässige Dabu, die erfrischende Ta’shan.
Wer aus der aktuellen Besetzung am ehesten für erleichternde Momente der Authentizität sorgen wird, steht nach Folge 1 noch aus – Marc Sway ist schon einmal ein Kandidat dafür. Wie ein Zen-Mönch des Bossa Nova pflanzte er sich in einer violetten Gute-Laune-Kutte auf das Sofa. Vom Zürcher mit brasilianischen Wurzeln weiss man, dass er seine Herkunft immer mal wieder zum Anlass nimmt, Musik als Heimwehtöter für europäische Exil-Brasilianer einzusetzen.
Dass nun aber die Rapperin Cachita, ihrerseits Zürcherin mit kubanischen Wurzeln und während rund eineinhalb Stunden ein ziemlich stiller Gast in der Sendung, Sways «My Way Back Home» mit dem «Son» ihrer zweiten Heimat und ein paar persönlichen, spanischen Zeilen versetzte, war eine Überraschung, wie sie der Sendung eigen ist. Der innige Moment der «Saudade» zwischen den beiden Secondos Sway und Cachita jedenfalls zählte zu den authentischen Augenblicken des Abends und holt insofern viele Leute ab, als er die Gefühlswelt eines jeden Auswanderers mitvertont.
Und sonst so? Wer rund um Nemo und die endlos um Nonbinarität und ESC kreisende Berichterstattung vergessen hatte, wozu dieser Mensch auf einer Bühne fähig ist, erhielt mit Nemos Version von «Ready for the Ride» Gelegenheit zur Auffrischung: Nemo sang im Falsett, erschien passend dazu mit einem Konterfei von Prince auf seinem Pulli. Marius Bear zwängte «Hemmigslos liebe» in ein Indie-Kleid, aber liess es ungezwungen klingen; auf seinen Abend darf man gespannt sein. Ebenso auf den von Vincent Gross, da der Basler Schlagersänger sicher den wenigsten bekannt sein dürfte.
Über Hauptdarsteller Sway erfuhr auch ein geneigtes People-Publikum noch Neues. Etwa, warum er sich zunächst ernsthaft überlegt hatte, unter seinem bürgerlichen Namen Stefan Marc Bachofen aufzutreten (Bach und Beethoven sind mit ein Grund). Oder warum er mit einem Mikrofon auch ohne Musik etwas anzufangen weiss und sein rhetorisches Geschick immer auch im Zusammenhang mit seiner Legasthenie zu betrachten ist.
Ach ja: Der bis anhin für den Song des Abends vergebene Kaktus ist jetzt ein Hut. Das hat doppelte Symbolik, weil Zeremonienmeister Dodo wohl kaum je ohne einen solchen auftreten wird – und sich vor einer Leistung besser ein Hut ziehen lässt, als dass man ihr einen Kaktus widmen kann. Chapeau!
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