Wissenschaft hilft OrchesterSind Blasinstrumente Virenschleudern?
Schweizer Orchestermusiker und ein Arbeitshygieniker haben in Basel Luftmessungen durchgeführt. Sie sollen Daten liefern für ein Sicherheitskonzept. Und damit eine Grundlage für den Neustart.
Es ist ein seltsamer Auftritt, den der Tonhalle-Posaunist David Bruchez-Lalli da absolviert. Sein Publikum ist ein Sensor, und wichtiger als ein schöner Klang ist ein möglichst lauter. Er spielt dennoch wie im Konzert, das grosse Solo aus Mahlers Sinfonie Nr. 3, das «Tuba mirum» aus Mozarts Requiem. Wenn schon, denn schon.
Neben ihm sitzt der Arbeitshygieniker Thomas Eiche, mit Maske, Laptop und allerlei weiteren Gerätschaften. Er misst die Aerosol-Konzentration in der Luft, die aus der Posaune strömt – also die Dichte jener Kleinst-Tröpfchen, die im Raum schweben und Viren übertragen könnten. Ähnliche Experimente laufen derzeit auch in Deutschland, aber Eiche wollte eigene Versuche machen: «Je mehr Daten vorliegen, desto präziser sind die Sicherheitsregeln, die sich daraus ableiten lassen.» Die Behörden sollen nicht vom «worst case» ausgehen müssen, sondern von Fakten.
Und die Zeit drängt: Am 27. Mai will der Bundesrat entscheiden, wie es weitergeht mit Anlässen für unter tausend Personen. Dann werden die Orchester wissen, wann sie wieder loslegen können, und vor allem: wie. Posaunist David Bruchez-Lalli erzählt von jenem Benefiz-Auftritt der Tschechischen Philharmonie, in der selbst die Bläser schwarze Masken trugen. Eine gruselige Veranstaltung, «da muss man sich überlegen, ob man so überhaupt spielen soll».
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Andererseits hat er es schon sehr genossen, in diesem nigelnagelneuen Probezentrum am Basler Picassoplatz wieder einmal richtig laut werden zu können: «Zu Hause geht das nicht, wegen der Nachbarn - und auch wegen meiner eigenen Ohren.» Das Orchester fehlt ihm, das Zusammenspiel, der Klang im grossen Raum. Und den Kolleginnen und Kollegen geht es ähnlich, «wir wollen unbedingt wieder starten, in welcher Form auch immer».
Dass sie es können in absehbarer Frist: Dazu ist man in der Orchesterszene derzeit verhalten optimistisch. Das Sinfonieorchester Basel will die Saison wenn möglich Mitte Juni regulär mit Bruckners Sinfonie Nr. 9 abschliessen – einfach in der Kammerversion von Hanns Eisler, und notfalls nur als Livestream ohne Publikum. Auch das Tonhalle-Orchester Zürich ist am Tüfteln für die nächsten Wochen. Die Saison wurde zwar vorzeitig beendet, aber auf kleine Auftritte da und dort hofft man dennoch.
Schon jetzt sind Mitglieder beider Orchester in Kleinstformationen unterwegs, sie spielen in oder vor Altersheimen, in Basel kann man das «Musiktaxi» auch privat bestellen. Das Interesse ist gross, bei den Musikern wie beim Publikum. Nach all den Streamings wächst die Lust auf Live-Erlebnisse.
Man kann mit einer Posaune nicht einmal eine Kerze ausblasen.
Aber zurück in den Saal, zu Thomas Eiches Experimenten. Er hat die Distanz zwischen Posaunist und Sensor inzwischen vergrössert, ein Massband am Boden zeigt die exakte Strecke an. Am Vormittag, bei den Holzbläsern des Sinfonieorchesters Basel, hatte er es bei 50 Zentimetern belassen, «mein Hauptinteresse galt dem Vergleich zwischen Spielen und normalem Atmen».
Auch bei den aus Zürich angereisten Blechbläsern gilt dieser Vergleich, ein Orkan bleibt aus. David Bruchez-Lalli ist nicht erstaunt darüber, «man kann mit einer Posaune nicht einmal eine Kerze ausblasen». Thomas Eiche bestätigt es: Was aus der Posaune komme, sei «sehr viel weniger als ein Niesen». Wobei sich diese Aussage auf den Luftstrom bezieht; die Konzentration der Aerosole in diesem Luftstrom wird man erst nach der Auswertung der Resultate kennen.
Das Einzige, was man im Basler Saal nach fünf von acht Versuchen schon sagen kann, ist deshalb dies: dass die verschiedenen Instrumente verschiedene Resultate ergeben werden. Flötisten etwa blasen über das Blasloch hinweg, ihr Instrument zielt seitlich auf den Sitznachbarn. Bei den Oboisten dagegen geht alle Luft ins Blasrohr und nach unten. Und noch einmal anders ist es bei den Posaunen oder Trompeten, die nach vorne spielen – und zudem Kondenswasser produzieren.
Es fehlen Grenzwerte
Aber selbst wenn die rund 60’000 an diesem Tag gesammelten Einzeldaten vorliegen, wird man noch entscheiden müssen, was sie denn nun bedeuten. Denn es gibt keine Grenzwerte für diese Situation; Eiche kann zwar feststellen, wie viele Aerosole in der Blasluft sind – aber die Frage, wann es zu viele sind, ist nicht geklärt.
Man wird sie beantworten müssen in dem Konzept, das man im Hinblick auf den 27. Mai einreichen wird. Um mögliche Orchesteraufstellungen wird es darin gehen, und damit auch um mögliche Besetzungen. Dass in den nächsten Monaten bereits wieder die ganz grossen Sinfonien gespielt werden können, damit rechnet man weder in Basel noch in Zürich. Wahrscheinlich bis Ende Jahr, so schätzt der Basler Orchesterdirektor Franziskus Theurillat, wird man mit kleineren Formationen und entsprechend angepasstem Repertoire auskommen müssen.
Posaunist David Bruchez-Lalli wird also noch einige Zeit warten müssen, bis er das Mahler-Solo wieder im Konzert spielen kann. Aber vielleicht wird er Werke aufführen, die im sinfonischen Betrieb sonst zu kurz kommen: Das wäre dann im wahrsten Sinn des Wortes Frischluft fürs Konzertleben.
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