Von der Eishockeykabine ins Büro«Wenn dich die Trainer tagtäglich anschreien, härtet das ab»
Simon Bodenmann (37) stürzte sich nach seiner Eishockeykarriere bei Kloten, Bern und dem ZSC direkt in den Büroberuf: Er spricht über die Vorzüge seines neuen Lebens und über frischen Atem.

Auf dem Höhepunkt abzutreten, gelingt nur ganz wenigen. Simon Bodenmann schaffte dieses Kunststück: Am 30. April 2024 feierte er mit den ZSC Lions in seinem letzten Spiel den dritten Meistertitel. Zuvor hatte der Winterthurer schon mit dem SC Bern triumphiert (2016, 2017) und 2013 mit dem Nationalteam in Stockholm WM-Silber errungen. Der Umstieg ins normale Berufsleben gelang ihm nahtlos: Heute arbeitet der 37-Jährige als Asset-Manager bei der Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site Solutions im Zürcher Prime Tower.
Simon Bodenmann, bevor wir mit dem Gespräch beginnen, würde ich gern noch etwas klären: Darf ich Sie kurz anhauchen?
Okay.
Wie ist mein Atem?
Frisch. Wieso?
Weil ich mich vor dem Interview mit der Mundspülung Okkaw, die Sie mit Ihrem früheren ZSC-Teamkollegen Lukas Flüeler lanciert haben, den Mund gespült habe. Ich fühle mich ganz erfrischt.
Das freut mich sehr.
Kam Ihnen die Idee für eine Mundspülung, weil einer von Ihnen jeweils am Vormittag in der Kabine einen schlechten Atem hatte?
(lacht) Das hätte gut sein können. Aber es war einfach so, dass wir einmal ein Projekt auf die Beine stellen wollten und uns über die Jahre immer wieder überlegten, was es sein könnte. Wir schmiedeten viele Ideen. Das ging von der WC-Bürste über die Zahnpasta bis zur Mundspülung. Die Mundspülung überzeugte uns, und irgendwann sagten wir: Jetzt ziehen wir es durch, bis die Leute ein Produkt in ihren Händen halten können.
Und wie läuft der Absatz?
Schleppend. Wir haben Freude an unserem Produkt und bekommen auch viel positives Feedback. Aber momentan investieren wir zu wenig Zeit, um unsere Mundspülung noch mehr zu verbreiten. Man kann sie in einigen Läden kaufen und über unsere Website. Aber wir können jetzt nicht die Füsse hochlegen und sonst nichts mehr tun in unserem Leben.
Nach Ihrer Eishockeykarriere stiegen Sie im Frühling 2024 direkt ins Berufsleben ein. Ich las, am Dienstag seien Sie mit den ZSC Lions Meister geworden, am Donnerstag hätten Sie Ihren neuen Job bei der Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site Solutions angetreten.
Es ist möglich, dass das so geplant war.
Aber Sie sind nicht erschienen?
Ich glaube, wir haben es dann um eine Woche verschoben. An jenem Donnerstag hätte ich wohl nicht so gut ausgesehen. (lacht) Aber ich hatte die letzten zwei Jahre meiner Karriere schon jeweils zwei Nachmittage pro Woche dort gearbeitet. Sie kannten mich also schon. Und ich wusste, wie es läuft. Das hat mir den Einstieg erleichtert.

Was hat Ihnen Ihre Sportlerkarriere für das Berufsleben gebracht?
Die klassischen Werte, die man als Sportler vermittelt bekommt: Biss, Durchhaltewillen, auf ein Ziel hinarbeiten und es unbedingt erreichen wollen. Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, gibst du nicht so schnell auf. Und ich merke auch: Wenn dich die Trainer tagtäglich anschreien, härtet das ab. Wenn es nun im Büro ein bisschen lauter wird und andere erschrecken, empfinde ich das als weniger schlimm.
Also wurden Marc Crawford oder Kari Jalonen lauter als Ihr heutiger Chef?
Ein kleines bisschen. Aber das wäre im Büro auch nicht angebracht.
Was schätzen Sie an Ihrem neuen Leben?
Dass ich mehr Freiheiten habe als vorher. Klar, die freien Nachmittage fallen weg. Dafür habe ich am Abend und an den Wochenenden frei, und ich kann auch mal vier Tage Ferien nehmen und in die Berge reisen. Gerade waren wir in Savognin und haben die Sonne genossen. Ich habe das Gefühl, ich bin viel selbstbestimmter als vorher. Als Hockeyprofi wird dir vorgeschrieben, wann du wo sein musst, mit welchen Trainerhosen und welchen Schuhen. Du musst nicht mehr viel überlegen.
Was vermissen Sie?
Alle Ex-Spieler sagen, am meisten würden sie die Garderobe vermissen. Ich möchte es etwas differenzierter ausdrücken: Ich vermisse die Verbundenheit untereinander. Wenn du jahrelang mit jemandem spielst, jeden Tag zusammen trainierst, duschst, zusammen zu Mittag isst und vielleicht noch in der Freizeit einen Kaffee miteinander trinkst, lernst du dich sehr gut kennen. Da ist jeder genauso, wie er ist, da kann er sich nicht verstellen. Und so geht man auch miteinander um.

Sie galten als ausgesprochener Teamplayer, der innerhalb der Mannschaft für den Kitt sorgte. Woher kam das?
Ich bin einfach überzeugt, dass es entscheidend ist, dass man als Team eine Einheit ist. Ich machte an der WM 2013 in Stockholm eine prägende Erfahrung: Wir waren die krassen Underdogs, es hatte viele Absagen gegeben, die Vorbereitung war miserabel gewesen, und dann spielten wir uns als junges Team bis in den WM-Final. Weil wir alle an einem Strick zogen. Ich versuchte, das in meine Teams reinzubringen und zwischen den Ausländern und den Schweizern zu vermitteln. Es müssen nicht alle beste Kumpels sein. Aber sie müssen das gleiche Ziel verfolgen.
Wie haben Sie das gemacht?
Das beste Teambuilding ist für mich immer noch, zusammen in den Ausgang zu gehen. Ich weiss nicht, wie oft wir bowlen oder Billard spielen gingen. Wenn du zusammen im Ausgang Geschichten erlebst, schweisst das zusammen.
Dann ist es auch okay, wenn man dann einmal zwei, drei Bier trinkt?
Absolut. Man muss einfach wissen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Wir wissen alle, dass die Hockeyspieler gern mal ein Bier trinken. Und ich finde das auch völlig in Ordnung.
Egomanen sind im Eishockey kaum anzutreffen. Wieso? Werden die schon früh aussortiert?
Wenn einer zu egoistisch oder arrogant ist, wird ihm das schnell ausgetrieben. Mathias Seger war für mich das Paradebeispiel eines Spielers, der die richtigen Werte in ein Team brachte. Ich weiss noch, wie der junge Kevin Fiala erstmals im Nationalteam dabei war und direkt nach dem Eistraining auf die Massageliege lag und forderte, er brauche jetzt eine Behandlung. Da kam Seger und sagte: «Kollege, runter da, jetzt sind zuerst die Älteren dran. Und du stehst hinten an.» Heutzutage weiss Fiala genau, wie es läuft.
Und in der NHL sorgt Fiala heutzutage bei Los Angeles für Furore.
Genau. Heute bin ich sein grösster Fan. Die Power, die er aufs Eis bringt, ist unglaublich. Die letzten zwei, drei Jahre trainierte er jeweils im Sommer bei den ZSC Lions mit uns. Und er führte sich überhaupt nicht auf wie ein Superstar, obschon er einer ist. Er gab auch im Unihockey Vollgas und nervte sich, wenn wir gegen die Jungen verloren.
Sie spielten in der National League acht Jahre bei Kloten, drei in Bern und sechs beim ZSC. Was war Ihre prägendste Zeit?
In Kloten konnte ich mir meinen Bubentraum vom Hockeyprofi erfüllen. Das war schon sehr speziell. In Bern gewannen wir in drei Jahren zwei Titel. Das war eine unglaubliche Zeit. Dann wechselte ich zum ZSC mit dem klaren Ziel, nochmals Meister zu werden. Es klappte lange nicht, aber umso schöner war es, es am Schluss noch zu schaffen.
War Bern eine andere Welt als Zürich?
Eine andere Welt nicht. Die ganze Schweiz ist ja schliesslich eine kleine Welt. Aber das Vorurteil, dass in Bern alles ein bisschen langsamer und gemütlicher ist, kommt nicht von ungefähr.

Gefiel Ihnen das?
Nicht immer. Wenn du an der Kasse stehst und der vor dir zehn Minuten lang der Kassiererin aus seinem Alltag erzählt, werde auch ich ungeduldig. Aber der Groove in Bern ist schon recht cool.
Für welchen Club schlägt Ihr Herz heute?
Ganz klar für den ZSC. Ich habe so viel Zeit mit den Jungs verbracht, und es nimmt mich wunder, wie es ihnen so geht. Ich habe schon einige Spiele besucht und freue mich immer, wenn sie gewinnen.
Spielen Sie noch Eishockey?
Bis jetzt habe ich zwei Seniorenturniere gespielt, sehr plauschmässig. Und kürzlich organisierte ich einen Hockeymatch fürs Büro. Die meisten zogen erstmals in ihrem Leben eine Hockeyausrüstung an, und ich staunte, wie falsch man die verschiedenen Gegenstände anziehen kann. Ich bin dann ins Tor gestanden und habe tags darauf meine Adduktoren gespürt. Es hat aber richtig viel Spass gemacht, wieder auf dem Eis zu stehen.
Man denkt, Sportler nehmen nach der Karriere zu, Sie erscheinen eher schlanker als vorher. Wieso?
Witzig, dass Ihnen das auch auffällt. Meine Kollegen lachen mich aus, weil ich so dünn geworden bin. Aber lieber etwas dünner als zu dick. Ich habe Muskeln verloren, weil ich nicht mehr jeden Tag in den Kraftraum gehe wie vorher. Dafür spiele ich nun ein-, zweimal die Woche Tennis.
Wie gut?
Meine Technik sieht ziemlich wild aus. Ich schlage einfach so hart wie möglich auf den Ball. Im Golf wie im Tennis habe ich keinen schönen Schwung, ich probiere es mit Kraft.
Was nehmen Sie mit aus Ihrer Hockeykarriere?
Tausend schöne Erinnerungen. Ich bin megafroh, dass ich das alles erleben durfte. Nicht nur als Profi, auch schon als Junior, die letzten 30 Jahre. Ich kann jeder und jedem empfehlen, mit Eishockey zu beginnen. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich um sechs Uhr morgens ins Training gefahren und so viel auf sich genommen haben. Ich hatte so viel Spass, wenn ich als kleiner Junge aufs Eis gehen durfte. Und diesen Spass konnte ich bis zuletzt beibehalten. Es ist ein Riesenprivileg, dass ich all das erleben und im Eishockey so viele Freundschaften schliessen konnte.
Fehler gefunden?Jetzt melden.