Eigene FrauenolympiadeSie wollten mehr als nur die Männer beklatschen
Vor 100 Jahren wollte das IOK keine Sportlerinnen bei Olympia sehen, fand sie «unästhetisch und falsch». Also organisierten diese eine Gegenveranstaltung.
Tänzerische Frauen, barfuss und in fliessenden Gewändern, zeigte das Plakat von 1921. Was sich tatsächlich abspielte auf dem Rasen vor dem Taubenschiessstand am Casino von Monte Carlo, war alles andere als feenhaft: Wettkämpfe im Speerwurf, Kugelstossen, Hochsprung, im Sprint, Hürden- und Mittelstreckenlauf. Dazu Basketball – und tatsächlich auch ein wenig Rhythmustanz.
Der Internationale Sporting Club von Monaco hatte eingeladen, und mehr als hundert Frauen aus fünf Ländern fanden sich vom 24. bis 31. März vor hundert Jahren zum sportlichen Vergleich auf der Wiese ein. Viele in Trikot und kurzen Hosen.
Manches Detail dieser Veranstaltung, die als «Frauenolympiade» bekannt wurde und beträchtliche Zuschauerzahlen anzog, ist in Vergessenheit geraten. Überliefert ist aber, was Pierre de Coubertin, der Gründer des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), davon hielt: In leistungssportlichen Aktivitäten von Frauen sah er eine Verfehlung, einen unverzeihlichen Bruch mit antiken Idealen – «unpraktisch, uninteressant, unästhetisch und – wir scheuen nicht hinzuzufügen – falsch», wie es 1912 hiess.
Der «weibliche Applaus» sollte genügen
Noch 1935, zehn Jahre nach seinem Ausscheiden als IOC-Präsident, blieb der Baron stur: «Ich persönlich billige die Teilnahme von Frauen an öffentlichen Kämpfen nicht. Was nicht bedeutet, dass sie sich einer Reihe von Sportarten enthalten sollen, solange sie keine öffentliche Schaustellung daraus machen.» Dem Erfinder der neuzeitlichen Spiele genügte zeitlebens in den Arenen «der weibliche Applaus» als Belohnung für männliche Sieger.
Mit Applaudieren aber gaben sich die Pionierinnen aus Frankreich, England, Italien, Norwegen und der Schweiz nicht mehr zufrieden, als sie vor einhundert Jahren an der Côte d'Azur die Speere fliegen liessen. Von den Olympischen Spielen waren sie ausgeschlossen, so schufen sie ihre eigenen Spiele. «Man kann sehen, dass Frauen – aber das gilt generell für ausgeschlossene Gruppen – ihren eigenen Weg einschlagen müssen, um zu verdeutlichen, dass sie ihr Anliegen ernst meinen», erläutert die deutsche Sporthistorikerin Petra Tzschoppe: «Sportlerinnen warteten nicht mehr darauf, irgendwann vielleicht hinzugebeten zu werden.»
Darin liege die Bedeutung dieser ersten Frauenolympiade. Und trotzdem: Es war noch ein weiter Weg, bis die Frauen-Leichtathletik von der Wiese am Taubenschiessstand 1928 ins Stadion fand.
Schon 1900, bei den zweiten Spielen in Paris, hatte es einige wenige Olympiateilnehmerinnen gegeben, im Golf, Tennis, beispielsweise auch in gemischten Bootsklassen beim Segeln. 1904 kam das Bogenschiessen dazu. Allerdings gibt Ansgar Molzberger vom Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln zu bedenken, dass diese Spiele in Weltausstellungen eingebunden waren, weshalb das IOK kaum Einfluss auf das Programm nehmen konnte. Zudem waren Golf und Tennis auf höhere Gesellschaftskreise beschränkt, in denen Frauen damals weniger unter Akzeptanzproblemen litten. «Symbolisch weit mehr aufgeladen waren die Schwimmwettkämpfe, die 1912 in Stockholm ihren Durchbruch als olympischer Frauensport erlebten», sagt Molzberger: «Und dann vor allem die Leichtathletik als olympische Kernsportart schlechthin.»
Sie ist «die Seele der Frauensportbewegung»
In Frankreich hatte es frühe Initiativen gegeben, die Leichtathletik zu fördern. Bewegung in die Sache brachte der kämpferische Elan von Alice Milliat, einer polyglotten Ruderin, Lehrerin, Übersetzerin und Sportfunktionärin, die schon 1927 in französischen Publikationen als «die Seele der Frauensportbewegung» gefeiert wurde.
Inwieweit Alice Milliat in die Organisation des Monte-Carlo-Meetings 1921 involviert war, ist umstritten. Doch im Oktober desselben Jahres rief sie die Fédération Sportive Féminine Internationale (FSFI) ins Leben, einen Verband, der 1922 dann die ersten sogenannten Frauen-Weltspiele veranstaltete. Diese Frauen-Weltspiele fanden im olympischen Vierjahresrhythmus statt und wanderten wie Coubertins Olympische Spiele von Stadt zu Stadt: Paris 1922, Göteborg 1926, Prag 1930, London 1934. Und sie besassen wahrhaft internationalen Charakter, sagt Molzberger: «Sie haben die Frauenspiele von Monte Carlo, die bis 1923 ebenfalls noch weiterliefen, in ihrer Strahlkraft deutlich übertroffen.»
Denn die Frauen-Weltspiele waren ein Erfolg, nicht nur beim Publikum. Milliat registrierte 1926 in Göteborg erfreut, dass ausländische Diplomaten über Nacht aus Stockholm anreisten, um den Athletinnen aus neun Ländern zuzuschauen. «Ist das nicht Beweis genug?», fragte sie. Diese Gegenveranstaltung wird zum mächtigen Argument für Milliat, die federführend die Verhandlungen mit dem IOK und dem Leichtathletik-Weltverband IAAF führte, den Organisationen, die jahrelang ein olympisches Frauenstartrecht in der Leichtathletik verweigerten.
«Im Gegensatz zur weiblichen Sportbekleidung, die auf den damaligen Bildern Damen in züchtigen langen Röcken zeigt, wird in der Leichtathletik ein ganz anderes Frauenbild verkörpert.»
Dass die Leichtathletik damals zum hart umkämpfen Spielfeld der Gleichstellung wurde, mag daran liegen, dass diese Sportart die kämpferisch-athletische Maxime – schneller, höher, weiter – exemplarisch vorführt. Für Tzschoppe von der Universität Leipzig spielt ausserdem die «Präsentation des athletischen Körpers» eine Rolle: «Im Gegensatz zur weiblichen Sportbekleidung, die auf den damaligen Bildern vom Golf und Tennis Damen in züchtigen langen Röcken zeigt, wird in der Leichtathletik nun ein ganz anderes Frauenbild verkörpert», sagt sie, «dieses entspricht in hohem Masse den Veränderungen von weiblichen Körperidealen und der Präsentation von Frauen in den 1920er Jahren.»
Erst 1928 ist der Weg frei in die Arena. Milliats Verband FSFI verzichtete darauf, die Frauen-Weltspiele «olympisch» zu nennen; denn diesen Zusatz führten sie ursprünglich im Titel. Im Gegenzug sicherte die IAAF den Frauen zehn Leichtathletik-Disziplinen zu. Weil diese schliesslich, trotz Zusage, auf fünf limitiert wurden (100 Meter, 800 Meter, Sprintstaffel, Hochsprung, Diskuswurf), setzte Alice Milliat die Frauen-Weltspiele der FSFI noch bis 1934 fort.
Weil nach der Premiere des 800-Meter-Laufs einige Frauen erschöpft zu Boden sanken, rief das allerdings die sportive Herrenriege auf den Plan. Die 800 Meter wurden wieder aus dem Olympia-Programm gestrichen – in vermeintlicher Fürsorge: Die weibliche Konstitution war angeblich für so einen Anstrengung nicht gebaut. Eine längere Distanz als 100 Meter liefen die Leichtathletinnen bei Olympia erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Der 800-Meter-Lauf kehrte 1960 ins Programm zurück. Da waren die Frauen auf dem Rasen vor dem Taubenschiessstand am Casino von Monte Carlo vor einhundert Jahren tatsächlich weiter.
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