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Stichwahl in der Republik Moldau
Sie wird Präsidentin von Europas
ärmstem Land

Einst Premierministerin, jetzt Präsidentin: Maia Sandu will ihr Land  prorussisch und gleichzeitig proeuropäisch ausrichten. 
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Es war bitterkalt im heruntergekommenen Kulturhaus, Maia Sandu redete anderthalb Stunden und zog die ganze Zeit ihre blaue Winterjacke nicht aus. An den Wänden baumelten Stromkabel, auf den Klappstühlen sassen alte Männer mit Schiebermützen und alte Frauen mit Kopftüchern. Sie alle konnten nicht ahnen, dass diese zart und doch sehr klar und eindringlich sprechende Frau vor ihnen einmal Präsidentin ihres Landes werden würde. Anderthalb Jahre ist es nun her, dass Maia Sandu mit dem Auto über Schlaglochpisten durch die moldauische Provinz fuhr, Dorf um Dorf aufsuchte und als Oppositionspolitikerin vor der Parlamentswahl immer nur zu ein paar Dutzend Menschen sprach. Über die Korruption, die gestoppt, über eine Justiz, die endlich unabhängig werden müsse.

Unbeliebt bei den herrschenden Eliten

Holprig und damals auch nicht sehr aussichtsreich war der Weg für sie. Sandu wollte mit der Klüngelpolitik in Moldau aufräumen, auf redliche Art das etablierte System aufbrechen, die Macht der Oligarchen. Das macht unbeliebt, nicht bei den meisten Menschen, aber bei den herrschenden Eliten: Im landesweiten Fernsehen liess man sie lange Zeit nicht auftreten. Jetzt ist sie am Ziel – oder doch erst am Anfang? Beides stimmt wohl, Maia Sandu, 48, hat die Stichwahl in der Republik Moldau gewonnen. Sie wird Präsidentin des ärmsten Landes in Europa, aber dieses Adjektiv möchte sie nun tilgen.

Gleich am Montag, dem Tag nach ihrem Triumph, wechselte Sandu sehr symbolisch ihre Blickrichtung. Ihr Rivale, der russlandfreundliche Vorgänger Igor Dodon, hatte all die Jahre vor allem gen Moskau geschaut. Die Nachbarn Rumänien und Ukraine hat er geflissentlich übersehen. Sandu dagegen rief in der Früh in Bukarest an und in Kiew. Sie versprach ihren Präsidentenkollegen, dass sie jetzt «die Anstrengungen verdoppeln will, um das Verhältnis mit dem EU-Mitglied Rumänien zu verbessern» – und auch das mit der Ukraine. Sandus utopisch anmutender Traum: die Republik Moldau in die Europäische Union zu führen, und trotzdem prächtige Geschäfte mit Russland zu machen. Das bisher zwischen Ost und West zerrissene Land zu einen – das ist auch Sandus selbstgestellter Auftrag.

Dass der Kreml der Wahlsiegerin so schnell gratulierte, war schon mal ein gutes Zeichen.

Dass der Kreml der Wahlsiegerin so schnell gratulierte, war schon mal ein gutes Zeichen. Die Westeuropäer muss Sandu ohnehin nicht überzeugen. Hat sie schon gemacht. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte vor der Wahl für Sandu geworben, Donald Tusk, bis 2019 Präsident des Europäischen Rats, nannte schon nach der ersten Runde Maia Sandus exzellentes Ergebnis «einen Wendepunkt für ein demokratisches und blühendes Moldau». Sandu verkörpert in ihrer Heimat die Sehnsucht nach Demokratie, Transparenz, mehr Wohlstand, und sie hat lange genug bei der Weltbank gearbeitet, auch in Washington, um die Grundregeln für wirtschaftlichen Fortschritt zu beherrschen.

Wo noch Pferdefuhrwerke fahren

Maia Sandu stammt aus dem Dorf Risipeni, wo man noch Pferdefuhrwerke sieht, wo die Menschen rund um ihre Holzhäuschen den Hauswein selbst herstellen. Das klingt romantisch, ist aber auch Teil jener Armut, welche die Jugend aus der Provinz hinaus in die Städte treibt. Oft auch gleich ins Ausland. Wenn Sandu erfolgreich sein will, muss sie den Exodus der jungen Generation aus der Republik Moldau bremsen.

Sandu braucht dazu nun Zeit, Kontinuität, all das, was es in ihrem Land bisher selten gibt in der Politik. Sie selbst hat das erlebt. Als im vorigen Jahr eine Regierungsbildung zunächst scheiterte, wurde sie unverhofft Ministerpräsidentin einer Koalition, die als Experiment galt: prorussisch und proeuropäisch zugleich. Damals sagte sie, dies sei «eine Chance für das Land, Reformen zu starten, das Vertrauen der Menschen in den Staat zurückzugewinnen». Ein paar Monate später sprangen ihre Partner wieder ab, Sandu musste gehen, enttäuscht. Jetzt aber ist sie direkt vom Volk gewählt, für vier Jahre. Das Vertrauen der Moldauer hat sie also. Mehr denn je zuvor.