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Porträt Tsai Ing-wen
Sie will mit Xi Jinping auf Augenhöhe reden

Gesellschaft in ärgster Bedrängnis: Die taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen besucht die Marine bei einer Übung. 
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Von der ersten und einzigen Herrscherin Chinas, Wu Zetian, ist folgende Legende überliefert: Der Kaiser, in dessen Harem sie lebte, bekam ein wildes Pferd, das niemand zähmen konnte. Daraufhin sagte Wu, sie könne es kontrollieren, dafür brauche sie aber eine Peitsche, eine Keule und einen Dolch: «Wenn der eisernen Peitsche nicht gehorcht wird, wird der Kopf mit der eisernen Keule geschlagen, und wenn dem nicht gehorcht wird, wird die Kehle mit dem Dolch durchgeschnitten.» Von dieser äusserst machtbewussten und grausamen Herrscherin, die vor 1300 Jahren eines der grössten Reiche der Welt regierte, wird häufig eine direkte Linie zu Taiwans aktueller Präsidentin Tsai Ing-wen gezogen.

Beide sind starke Frauen, die sich in einer von Männern dominierten Welt durchsetzen mussten. Beide sind Reformerinnen, die mit alten Gepflogenheiten radikal brechen. Beide sind Strippenzieherinnen, die andere glänzen lassen, um selbst an der Macht zu bleiben. Und beide sind hochkontrovers, werden geliebt und dämonisiert.

Pelosi hofiert

Doch die Mittel, mit denen sie agieren, sind extrem unterschiedlich, ebenso wie die äusseren Umstände. Während Wu ein China im Aufstieg regierte, steht Tsai Ing-wen einer Gesellschaft in ärgster Bedrängnis vor. Wu eroberte einst weite Teile Zentralasiens, Tsai muss aufpassen, dass Taiwan nicht von China erobert wird. Während Wu Rivalinnen und Rivalen ermorden liess, führt Tsai ein demokratisches Land. Und sie hält nicht Hof wie Wu, sie hofiert – etwa die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in diesen Tagen. Denn Amerika ist die Schutzmacht des kleinen Inselstaats.

Tsais Aufstieg ist bemerkenswert. 1956 als elftes Kind eines Autowerkstattbesitzers geboren, studierte sie Jura in Taipeh und in den USA, promovierte anschliessend an der London School of Economics in Grossbritannien. Danach trat sie in den Staatsdienst ein. Sie verhandelte die Aufnahme Taiwans in die Welthandelsorganisation mit – eine der wenigen internationalen Institutionen, in denen Taiwan und Peking gleichberechtigte Mitglieder sind. Später leitete sie den Rat für Festlandsangelegenheiten, zuständig für die wichtigen Beziehungen zu Peking.

2000 trat sie in die Politik ein, wurde Mitglied der Demokratischen Fortschrittspartei (DDP), als diese die jahrzehntelange Herrschaft der Kuomintang (KMT) brach. Anders als die KMT setzt sich die DDP für eine stärkere Unabhängigkeit vom Festland ein. Tsai wurde schnell Regierungsmitglied.

Ehe für alle eingeführt

Als die von Korruptionsskandalen zerrüttete DDP 2008 abgewählt wurde, machten die Delegierten Tsai zur neuen Parteichefin. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 unterlag sie noch der KMT. 2016 wurde sie schliesslich vor allem von der Jugend, die genug von der Klientelpolitik hatte, ins höchste Amt gewählt. Dort gewann sie internationale Zustimmung, als Taiwan 2019 als erstes asiatisches Land die Ehe für alle einführte. 

Zum Amtsantritt wurde Tsai auch als «Asiens Angela Merkel» bezeichnet. Wie Merkel tritt sie häufig im Blazer auf, ihr Redestil ist nüchtern. Ihre gebückte Haltung wirkt schüchtern. Doch anders als Merkel hat Tsai kein Problem, sich mit einer Panzerfaust auf der Schulter ablichten zu lassen. Ihre beiden Katzen und die drei Hunde nutzte sie prominent im Wahlkampf. Das kommt an, 2020 wurde sie mit starkem Ergebnis wiedergewählt.

Tsais grösste Baustelle sind die Beziehungen zu Peking. Chinas Machthaber Xi Jinping pocht auf eine Wiedervereinigung, notfalls mit Gewalt. Tsai hält dagegen, will mit Xi auf «Augenhöhe» verhandeln. Wenn Xis China das Pferd aus der Legende von Kaiserin Wu wäre, Tsai würde nicht versuchen, es mit Gewalt zu zähmen; das würde sie anderen überlassen. Tsais Strategie wäre vermutlich, einen Zaun um ihr Haus zu bauen und zu hoffen, dass das wilde Pferd irgendwann von allein weggeht.