Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Soziale Medien entlarvt
Sie stehlen die Instagram-Posts der Reichen

Solche Bilder wollen die Betreiber von Stolenstories.com «demokratisieren»: Der russische Influencer Tair Marassulov posiert im Louis-Vuitton-Look vor dem Eiffelturm.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Mit den Lockerungen der Covid-Restriktionen haben sich auch die Bilder auf den sozialen Plattformen geändert. Vergessen ist der Sauerteiglaib im Römertopf, man sieht wieder Freunde, Gelage, Überfluss. Die Nutzer haben schnell zum ungezügelten Hedonismus zurückgefunden. Menschen, die glauben, dass die Pandemie noch nicht so ganz vorüber ist, haben nun das Problem, konkurrenzfähigen Content zu liefern.

Zum Glück gibt es nun die Website Stolenstories.com. Hier kann man Dutzende kurze Instagram-Filmchen downloaden, die ein Leben in Luxus zum Thema haben, und selbst auf seinem Account veröffentlichen.

Man sieht Obstschalen, aus denen der Dampf von flüssigem Stickstoff wabert, flambierte Sushi-Teilchen und schmelzende, mit Blattgold überzogene Dessertkugeln. Die Clips spielen in Restaurants, in denen die Vorspeisen bei 50 Franken beginnen, und wurden von echten Nutzeraccounts abgefilmt.

Instagram-Storys zum freien Download: So sieht sie Website von Stolenstories.com aus.

«Soziale Medien sind von Natur aus performativ», heisst es in dem gleichzeitig veröffentlichten «Manifest» auf der Website. Man wolle das soziale Kapital, das mit dem Posting von Luxus einhergeht, demokratisieren.

Immerhin ist ein nicht geringer Prozentsatz der auf sozialen Plattformen gezeigten Bilder fake. Es ist nicht ungewöhnlich, beim Juwelier nur mal schnell eine Rolex anzuprobieren oder sich in edle Hotellobbys zu schleichen, ein entsprechendes Foto zu schiessen und den Laden dann wieder zu verlassen.

Die Unterscheidung zwischen Original und Kopie ist unmöglich geworden.

Die gestohlenen Instagram-Geschichten sind ein Produkt des New Yorker Medienkollektivs MSCHF, das im vergangenen Jahr mit mehr oder weniger zynischen Projekten auf sich aufmerksam gemacht hat. Darunter waren eine Sammlung von Spielzeugen, die grandios gescheiterte Start-up-Produkte nachahmen. Eine kryptische Website, die Facebook mit dem panoptischen Gefängnis vergleicht. Oder auch eine satanistische Kollektion von Nike-Sneakern, die den Machern nicht nur eine juristische Auseinandersetzung mit dem Konzern, sondern auch eine Fehde mit reaktionären republikanischen US-Politikern bescherte.

Die satanistischen Nike-Schuhe des MSCHF-Kollektivs, promotet von Rapper Lil Nas X.

Die Kommentare zum Online-Fegefeuer der Eitelkeiten mögen zwar nicht subtil sein, aber zumindest findet sich für sie leicht ein theoretisches Fundament, beispielsweise im Poststrukturalismus mit dem vom französischen Soziologen Jean Baudrillard geprägten Begriff des Simulakrums.

Demnach ist die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Vorbild und Abbild unmöglich geworden und einer Referenzlosigkeit der Zeichen gewichen. Dieses Konzept wird heute konkret: Alles kann digitalisiert werden, Zeit und Raum sind homogenisiert, die physische Realität und ihre Repräsentation auf den Displays überlappen oder sind bereits vollständig miteinander verschmolzen.

«Telematische Macht», schrieb Baudrillard bereits in den frühen Achtzigerjahren, sei die «Fähigkeit, alles aus der Ferne zu regeln, auch die Arbeit im Haus und natürlich den Konsum, das Spiel, die sozialen Beziehungen und die Freizeit. Simulatoren für Freizeit oder Urlaub werden denkbar.» Was wäre ein besseres Beispiel für diese Idee als geklaute Bilder von echtem Luxus-Essen, die genauso viel Affekte erzeugen wie das Original?