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Drogenkrieg in Mexiko
Sie sollen ihre Toten halt selber suchen

Sie habe aus Pragmatismus gehandelt: Sara Valle, Bürgermeisterin der mexikanischen Stadt Guaymas.
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Vielleicht hat sie es ja tatsächlich nur gut gemeint.

Sara Valle ist Bürgermeisterin von Guaymas, einer Stadt mit gut 100’000 Einwohnern im mexikanischen Bundesstaat Sonora. Einer jener Bundesstaaten also, die an die USA grenzen und in denen die mexikanischen Drogenkartelle häufig um die Kontrolle von Territorien und Transportrouten kämpfen. Deshalb wird Sonora gegenwärtig heftig von Gewalt erschüttert, und Guaymas gehört 2020 sogar zu den Gemeinden mit den höchsten Mordraten des Landes.

Umgebracht werden Mitglieder verfeindeter Kartelle, Entführte, deren Angehörige das geforderte Lösegeld nicht aufbringen können, Geschäftsleute, die Schutzgeld verweigern, Mitglieder der Ordnungskräfte, Journalistinnen und Journalisten.

Es gibt in Sonora eine Organisation namens Guerreras buscadoras, suchende Kriegerinnen. Anders als es ihr martialischer Name suggeriert, stehen sie auf der Seite des Guten; vor allem aber sind sie verzweifelt. Denn die Guerreras buscadoras sind Mütter und Schwestern, die in der Sonora-Wüste nach den Überresten von Angehörigen suchen. Wenn irgendein Gerücht umgeht, an dieser oder jener Stelle könnte jemand verscharrt sein, dann rücken die Frauen aus und graben.

Insgesamt gelten in Sonora 4000 Personen als vermisst, und allein in den letzten 30 Tagen sind aus Guaymas mehr als 20 Personen verschwunden. Was unternimmt die Bürgermeisterin von Guaymas gegen diese Katastrophe?

«Unverschämtheit und Zynismus»

Kürzlich hat Sara Valle den suchenden Kriegerinnen in einer feierlichen Zeremonie Schaufeln überreicht. Ausserdem Handschuhe, Schutzmasken, Desinfektionsmittel, alles eingepackt und mit Schleifen versehen, als wäre es ein Weihnachtsgeschenk.

Auf viele Beobachter wirkte die Aktion wie ein Eingeständnis, dass man das Grauen nicht bekämpfen, sondern sich nur mit ihm abfinden könne. Genauso wie in besonders vom Drogenkrieg betroffenen Gebieten Mexikos Schüler lernen, sich im Klassenzimmer vor Querschlägern in Sicherheit zu bringen, wenn es vor der Schule zu einer Schiesserei kommt.

«Sie haben mich darum gebeten»: Sara Valle überreicht den suchenden Kriegerinnen Schaufeln für deren traurige Arbeit.

Der Shitstorm, der gegen Sara Valle aufzog, war heftig. «Sagt mir bitte, dass das ein makabrer Witz ist», lautete einer der Kommentare. Der bekannte mexikanische Journalist Joaquín López-Dóriga schrieb: «Was für ein Mangel an Sensibilität! Diese Bürgermeisterin weiss nicht, was Scham bedeutet.»

Unverschämtheit und Zynismus

Grosses Gewicht hatte die Kritik von Adrián Le Barón, dem Oberhaupt eines Familienclans der Mormonen. Vergangenes Jahr starben neun seiner Angehörigen, drei Frauen und sechs Kinder, als ein Killerkommando deren Autos in der Sonora-Wüste beschoss. Le Barón schrieb über Valle: «So viel Unverschämtheit und Zynismus ist schmerzhaft.»

Was viele zusätzlich empörte, war, dass die 52-jährige Politikerin die Schaufeln mit dem Logo der Stadt Guaymas versehen liess. Und mit der Farbe der linken Regierungskoalition, der sie angehört.

Sara Valle hält ihr Vorgehen für nichts als pragmatisch: «Die Gruppe hat mich um das Material gebeten.» Die suchenden Kriegerinnen verteidigten sie. Eine Mutter sagte: «Als ich damals die Fotografie meines verschwundenen Sohnes veröffentlichte – ich wollte, sie wäre genauso verbreitet worden und hätte genauso viel Aufmerksamkeit erregt wie jetzt die Nachricht von dieser Aktion.»