Neue TherapieansätzeSie nehmen Ecstasy, um ihre Ehe zu retten
In den USA experimentieren immer mehr Paare mit Drogen, in der Hoffnung, Krisen zu lösen. Das ist verständlich, hilft allein aber nicht weiter.
Vor zehn Jahren haben sie geheiratet, jetzt hat sogar der Paartherapeut ihre Ehe aufgegeben. Die Frau, 42 Jahre alt, heisst Ree und leidet unter der Verschlossenheit ihres Mannes, er unter ihren psychischen Druckversuchen. Und je mehr sie ihn bedrängt, desto stärker zieht er sich zurück. Beide haben alles probiert. Jetzt denken sie, dass nur noch eine Scheidung helfen kann. Wenn schon nicht ihnen zusammen, dann wenigstens jedem Einzelnen von ihnen.
Dasselbe Ende droht dem 33-jährigen Samuel und seiner vier Jahre jüngeren Frau Chris. Wenn auch aus einem anderen Grund: Sie möchte unbedingt ein Kind haben, er auf keinen Fall. «Es gab diese schreckliche Zeit zwischen uns», sagt Samuel, «als wir uns bloss ansehen mussten, um in Tränen auszubrechen.» Auch sie denken daran, es zusammen aufzugeben.
Beide Paare haben von Freunden denselben Rat bekommen: Probiert es mit Ecstasy. Beide Paare haben sich dagegen gesträubt. Sie haben keine Erfahrungen mit Drogen und wollen es dabei belassen. Beide Paare haben Angst vor dieser Substanz und vor allem Schlechten, das man über sie zu hören bekommt – Kontrollverlust, Angstgefühle, depressive Folgezustände. Als aber gar nichts anderes geholfen hat, haben sie es gewagt: Sie haben eine Pille MDMA geschluckt, in der Hoffnung, ihre Ehe zu retten.
Sie haben wieder Sex
Was die Paare jetzt unabhängig voneinander der «New York Times» erzählen, klingt geradezu magisch, also unglaubwürdig: Dass der eine Trip, den sie sich illegal beschafft haben, ihnen so sehr geholfen hat, dass sie immer noch zusammen sind. Die Substanz habe sie deblockiert, indem sie die zerstörerischen Abläufe ihrer Beziehung in Empathie aufgelöst habe, im Zulassen von Nähe, im Eingestehen von Ängsten, im Reden über Sehnsüchte. Auch haben sie wieder Sex.
MDMA ist auch in den USA illegal, aber wie die «Times» schreibt, nehmen amerikanische Paartherapeuten und -therapeutinnen in ihren Praxen einen geradezu explodierenden Trend wahr, Beziehungsprobleme mithilfe von Ecstasy, Ketamin, Psilocybin, niedrig dosiertem LSD und anderen Drogen anzugehen. Zwei neue Studien haben die therapeutische Wirkung von MDMA auf Krisenpaare untersucht. Die Resultate klingen ermutigend, aber die Stichproben sind klein.
Hilfe für Traumatisierte
Dass Substanzen wie Ecstasy bei blockierten Gefühlen, bei Angst vor Nähe oder Distanz helfen können, wissen Traumatherapeuten schon lange. Auch in der Schweiz, die führend an der Forschung beteiligt ist. Jetzt scheint eine neue, nach allen wissenschaftlichen Anforderungen durchgeführte amerikanische Studie solche Erfahrungen zu bestätigen: Die gezielte Abgabe von MDMA kann selbst Patienten mit schweren Traumen für ihre weitere Therapie weit mehr helfen, als es das Placebo tat. Zu solchen Traumen gehören sexueller Kindsmissbrauch, Vergewaltigung und Kriegsversehrungen. Patienten mit einer posttraumatischen Belastung leiden so stark unter ihren Erlebnissen, dass sie sich nicht auf eine Therapie einlassen können aus Angst, dabei von ihrem Trauma überwältigt zu werden.
Das Glück ist keine Substanz.
Wenn Drogen psychisch schwer belasteten Menschen helfen können, warum nicht auch Paaren in einer Beziehungskrise? Sollte es Therapeutinnen und Therapeuten nicht erlaubt werden, bei richtiger Ausbildung und mit der nötigen Vorsicht unglücklichen Paaren mit dem Katalysator Ecstasy zu helfen, wo kein Gespräch mehr hilft?
Selbstverständlich müssten solche Verfahren wissenschaftlich erforscht werden. Aber sosehr die vielen Erfahrungsberichte hoffen lassen, so schwer lastet an ihnen die Befürchtung, dass es sich mit dieser Hoffnung so verhält wie mit der euphorischen Wirkung von Ecstasy selbst: zu schön, um wahr zu sein.
Die Realität verstehen
Denn die Krise einer Beziehung ist keine Ursache, sondern eine Folge, sie lässt sich also nicht mit ein paar Trips wegtherapieren. Ecstasy war die Partydroge der Neunzigerjahre, sie hat die Ravekultur mit ihren donnernden Viervierteltakten rosa umwölkt. Aber das hat die Beziehungen dieser Generation nicht verbessert. Das Glück ist keine Substanz.
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