Grossbritannien am Tag danach«Sie kam uns immer so zeitlos und so wunderbar vor»
Das Volk legt Blumen nieder vor dem Buckingham-Palast, Böllerschüsse und Glockengeläut sind überall zu hören: Viele Britinnen und Briten ringen um die Fassung nach dem Tod der Monarchin.
Es war, als erwache ein ganzes Land aus einem Schock, der es befallen hatte. Am Freitag um zwölf Uhr mittags begannen überall im Vereinigten Königreich die Glocken zu läuten. Eine Stunde später waren in vielen Städten die ersten Böllerschüsse zu hören. 96 wurden jeweils abgefeuert – einer für jedes Lebensjahr der verstorbenen Königin Elizabeth II. Vor dem Buckingham Palace drängten sich Scharen Trauernder und rasch herbeigeeilter Touristen und legten Blumensträusse zum Gedenken an die Monarchin nieder. Schon in der Nacht hatten sich Tausende vor dem Palast versammelt und, oft unter Tränen, «God Save the Queen» angestimmt.
«Unsere Herzen sind gebrochen»
Londons Morgenzeitungen spiegelten auf ihren Frontseiten ohne Ausnahme die bedrückte Stimmung im Land wider. «Unsere geliebte Königin ist tot», klagte der «Daily Express». «Unsere Herzen sind gebrochen», hiess es bei der «Daily Mail». Der republikanische «Mirror» offerierte ein ehrlich gemeintes «Thank you!» Selbst die «Financial Times», sonst businesslike und stocknüchtern, reservierte einer lächelnden Queen vor schwarzem Hintergrund den Ehrenplatz.
Im Unterhaus von Westminster fanden sich, ebenfalls zur Mittagszeit am Freitag, Parlamentarier aller Parteien zusammen zu einer kollektiven Trauerbekundung, die auf zehn Stunden veranschlagt wurde. Die Kammer war voll wie selten zuvor.
Sir Lindsay Hoyle, der Speaker, eröffnete die Versammlung mit den Worten, Königin Elizabeth sei «die gewissenhafteste Monarchin» mit dem «grössten Pflichtbewusstsein» gewesen. Die erst am Dienstag ins Amt gekommene Premierministerin Liz Truss rühmte die Königin als «eine der grössten Führungspersönlichkeiten, die die Welt je gesehen hat».
Droben in Schottland, vor den Toren des schottischen Schlösschens Balmoral, suchte die Polizei unterdessen den Zugang zum Schloss freizuhalten und den Autoverkehr umzuleiten. Die örtliche Gemeinde setzte wegen des Andrangs an Menschen in der abgelegenen Gegend Pendelbusse ein. Hier in Balmoral, an ihrem Lieblingsplätzchen, in ihrer traditionellen Sommerfrische, war Elizabeth II. tags zuvor recht plötzlich verstorben. Zwei Tage vorher hatte sie dort Truss noch persönlich mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt – auf ihr Stöckchen gestützt und von striktem Pflichtgefühl getrieben, aber auch lächelnd, eine bis zum Ende zuvorkommende Gastgeberin.
48 Stunden später war es Truss, die als Erste Wind bekam von der Krise in Balmoral. Mittags, kurz bevor die Ärzte ihrer Besorgnis über den Zustand Ihrer Majestät Ausdruck gaben und die Fernsehkanäle panisch ihre Programme änderten, wurde der Regierungschefin mitten in einer Debatte im Parlament eine entsprechende Notiz überreicht. Gegen 16.30 Uhr teilte ihr dann der für den Kontakt zum Königshaus zuständige Kabinettssekretär Simon Case mit, dass «London Bridge eingestürzt» sei – das vereinbarte Codewort für die Mitteilung über das Ableben der Monarchin. In der Folge wartete man bei Hofe und in der Regierungszentrale dann noch zwei Stunden, bevor man diese Nachricht an die Öffentlichkeit trug.
Grund für die Verzögerung war nicht zuletzt, dass man der königlichen Familie erlauben wollte, sich auf die Lage einzustellen. Prinz Charles, seine Frau Camilla und Prinzessin Anne sassen am Bett der Queen, als sie starb. Aber Charles’ Brüder Andrew und Edward und sein Sohn William, der Nächste in der Thronfolge, waren erst gegen 17 Uhr in Balmoral eingetroffen. Prinz Harry, der sich zufällig in London aufgehalten hatte und auf eigene Faust nach Schottland gereist war, traf sogar noch später ein.
Was vielen Briten von diesem Abend in Erinnerung bleiben wird, ist zweifellos die Ansage der BBC durch einen um Fassung ringenden Nachrichtensprecher. Gleich mehrfach, als sei es schlicht nicht zu fassen, wiederholte Huw Edwards die Meldung vom Tod der Queen. Über dem Buckingham Palace war, wie man sehen konnte, das königliche Banner zu diesem Zeitpunkt bereits auf halbmast gesenkt worden. Dito über Windsor Castle, wo ein Regenbogen über dem Schlosshimmel hing.
Vor hier an nahm alles seinen vorgezeichneten Lauf, strikt nach Tradition und uralten Konventionen. Prinz Charles wurde zum König im selben Moment, in dem seine Mutter ihr Leben aushauchte. In aller Form proklamiert wird Charles III. am Samstag vom Kronrat in London.
Aber schon jetzt ist er britisches Staatsoberhaupt – und führt als neuer König, mit seiner Königinnengemahlin Camilla zur Seite, die Trauer- und Gedenkfeiern im Land an. Prinz William rückt zum neuen Thronfolger, zum Prinzen von Wales, auf zur gleichen Zeit.
Das traditionelle «Last Night of the Proms»-Konzert in der Albert Hall wurde ebenso abgesagt wie die Premier-League-Spiele dieses Wochenendes.
Als Zeichen ihrer Trauer um die Queen begannen Geschäfte, ihre Lichter herunterzuschalten, Theater Schweigeminuten abzuhalten, Kirchen für Andachten ihre Portale zu öffnen und Royalisten vor diversen Palästen erste Sträusse niederzulegen.
Vom Kinderparadies Legoland bis Kew Gardens, den botanischen Gärten in West London, vermeldeten öffentliche Einrichtungen, dass sie anderntags vorübergehend den Betrieb einstellen würden. Das traditionelle «Last Night of the Proms»-Konzert in der Albert Hall wurde ebenso abgesagt wie die Premier-League-Spiele dieses Wochenendes. Bahnarbeitergewerkschaften strichen geplante Streiks. Kondolenzbücher wurde überall ausgelegt. Geschäfte kündigten ein- oder mehrtägige Schliessungen an. Nur die Schüler Grossbritanniens mussten sich sagen lassen, dass eine Pause für sie nicht vorgesehen war: Schulfrei gibt es offenbar nicht.
Den Leuten Halt gegeben
Erste Beileidsbekundungen trafen im Anschluss ein, von heimischen wie von ausländischen Politikern und von anderen Würdenträgern. Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury und damit der ranghöchste Geistliche in England, pries die Verstorbene dafür, dass sie in ihren langen Lebens- und Amtszeit ihr Land «durch Kriegszeiten, Entbehrung und Mühsal hindurch», aber auch «in Augenblicken der Freude und der Feierlaune» gestützt und den Leuten Halt gegeben habe.
Britannien sei «wegen ihr das grosse Land, das es heute ist», befand Premierministerin Truss. Ihr Vorgänger Boris Johnson, der sich erst am Dienstag von der Queen in Balmoral verabschiedet hatte, sagte es auf seine Art: «Sie kam uns immer so zeitlos und so wunderbar vor, dass wir, fürchte ich, wie Kinder geglaubt haben, sie würde immer weiter und weiter leben.»
Derweil wurden erste Vorbereitungen in Edinburgh und in London getroffen, wo die Königin in den nächsten Tagen öffentlich aufgebahrt werden soll. Geplant sind Prozessionen, riesige Zeremonien, Gottesdienste überall. Als vorläufiges Datum für das Begräbnis selbst – mit der grossen Begräbnisfeier in Westminster Abbey und der Versenkung des Sargs in der Gruft der St George’s Chapel in Windsor – hat man den 19. September in Aussicht genommen. Die offizielle Trauerperiode soll, nach dem Willen von König Charles, darüber hinaus noch sieben Tage weitergehen.
Etwas länger wird es dauern, bis all das, was Teil der «royalen Infrastruktur» unter Elizabeth II. war, umgestellt wird auf die neuen Zeiten. Münzen, Geldnoten, Briefmarken, Flaggen und Embleme sollen schon bald statt des Konterfeis der Queen das des neuen Monarchen erhalten. Vorsichtshalber hat die Königliche Post am Freitag erklärt, Briefmarken mit dem Bild der Königin würden «nun natürlich nicht einfach ungültig». Man dürfe sie verwenden wie bisher.
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