Alternativer Nobelpreis 2021Sie kämpfen gegen übermächtige Gegner
Von Terroristen vergewaltigte Mädchen, von Industrien zerstörte Lebensgrundlagen: Der alternative Nobelpreis geht an fünf Aktivistinnen, die dort handeln, wo Regierungen versagen.
Kämpfen lohnt sich, auch wenn die Gegner oft übermächtig zu sein scheinen: Das soll am Mittwochmorgen die Botschaft bei der Bekanntgabe des alternativen Nobelpreises sein. Zwei Aktivistinnen, ein Aktivist und eine Initiative werden den Right Livelihood Award, wie der mit 100'000 Euro dotierte Preis offiziell heisst, erhalten. Sie haben sich eingesetzt für die Rechte von Frauen, für indigene Völker und für den Klimaschutz – und dabei Terrorgruppen, mächtigen Ölkonzernen und autoritären Regierungen getrotzt.
Marthe Wandou kämpft in Kamerun für den Schutz von Mädchen und Frauen vor sexueller Gewalt. Freda Huson vom Volk der Wet'suwet'en in Kanada ist eine Pipeline-Gegnerin, Wladimir Sliwjak ein russischer Umweltschützer. Auch die Initiative Life in Indien streitet für die Umwelt und die Rechte von Bürgern. Alle vier eine der Ansatz, «lokale Gemeinschaften erfolgreich zu stärken und zu mobilisieren», begründet die Right Livelihood Foundation ihre Wahl. «Sie werden zu Akteurinnen des Wandels, wo Regierungen versagen», sagte Ole von Uexküll, Direktor der Stiftung.
Die Gegner sind mächtig
Die Right-Livelihood-Award-Stiftung wurde vom schwedisch-deutschen Philanthropen und Briefmarkensammler Jakob von Uexküll gegründet, dem Onkel des heutigen Stiftungsdirektors. Uexküll trat 1979 an die Nobelpreisstiftung mit der Idee heran, einen neuen Nobelpreis für Umwelt einzuführen. Zur Finanzierung bot er den Verkauf seiner wertvollen Briefmarkensammlung an. Weil die Nobelstiftung ablehnte, rief er seinen eigenen Preis ins Leben. Seine Stiftung will den Preisträgern und Preisträgerinnen «Megafon und Schutzschild» sein. Die Verleihung am Mittwoch soll anders als im vergangenen Jahr wieder live stattfinden.
Der Kampf gegen den Klimawandel prägte schon öfter die Verleihung, diesmal stehen die Preisträger aus Russland, Kanada und Indien dafür. Vier Wochen vor der nächsten UNO-Klimakonferenz in Glasgow wolle man damit auch ein Zeichen setzen, sagte Ole von Uexküll. Gerade grosse CO₂-Produzenten wie China, Russland und Indien müssten den Abbau fossiler Brennstoffe wie Kohle so schnell wie möglich aufgeben. «Unsere Preisträger zeigen, wie man den Weg dorthin geht.»
Umweltschützer Wladimir Sliwjak
Er ist einer der erfahrensten Aktivisten in Russland, schon 1989 gründete er seine Organisation Ecodefense in Kaliningrad. Sliwjak bekämpft den Bau von Atomkraftwerken und den Import von Atommüll, der unter anderem aus Deutschland kommt. 2013 nahm seine Organisation auch den Kampf gegen Kohle auf und begann, lokale Gemeinschaften gegen Landzerstörung und Luftverschmutzung durch die Kohlebranche zu organisieren.
Ecodefense wurde zur Zielscheibe von Verleumdungskampagnen der Öl- und Nuklearindustrie und von juristischen Nachstellungen der Behörden. Dennoch war Sliwjak immer wieder erfolgreich, zuletzt im Herbst 2020, als ein Ecodefense-Bericht über Verschmutzung und Gesundheitsschäden durch Kohle in Russland grosse Aufmerksamkeit erregte.
Indigenen-Aktivistin Freda Huson
Die ehemalige Bankangestellte engagiert sich in Kanada. Die Angehörige des indigenen Volks der Wet'suwet'en geht seit 2010 gegen Öl- und Gasgesellschaften in ihrer Heimat an. Schnell wurde Huson zu einer Führerin des Widerstands gegen Pipeline-Vorhaben auf dem Land indigener Völker, etwa des Projekts Coastal Gas Link, das Schiefergas aus Fracking-Förderung vom Hinterland an die Pazifikküste transportieren soll. Die 57-Jährige legt einen starken Fokus auf die Identität indigener Gemeinschaften und koloniale Verbrechen, die in Kanada seit einigen Jahren verstärkt ans Licht kommen und diskutiert werden.
Ökokämpfer Ritwick Dutta und Rahul Choudhary
In Indien unterstützt die Organisation Life (Legal Initiative for Forest and Environment) seit 2005 Gemeinden im ganzen Land dabei, die Zerstörung ihrer Wälder und Böden durch Bergbau- und Industriekonzerne zu stoppen. Die Gründer Ritwick Dutta und Rahul Choudhary haben sich im Jurastudium kennengelernt. Ihre Organisation klärt betroffene Gemeinschaften über ihre Rechte und die Gesetzeslage auf und zieht mit ihnen gemeinsam vor Gericht. Ihre Mission sieht sie in der Förderung einer «ökologischen Demokratie».
Mädchen- und Frauenaktivistin Marthe Wandou
Sie ist die erste Preisträgerin aus Kamerun. Die Organisation der 57-jährigen Juristin heisst Aldepa (Action Locale pour un Développement Participatif et Autogéré) und versucht seit 1998, die Lage von Mädchen und Frauen in der Tschadsee-Region im Norden des Landes zu verbessern. Wandou war eines der ersten Mädchen ihres Heimatdorfs, das eine Universität besuchen durfte. Heute kämpft sie für eine gute Schulbildung und gegen die Verheiratung junger Mädchen.
Aldepa unterstützt Familien zudem bei Fällen von Entführung oder sexueller Gewalt. Dabei versucht die Organisation, ganze Dörfer und Gemeinden einzubinden. Seit die islamistische Terrorgruppe Boko Haram 2013 damit begann, in der Region Tausende von Menschen, darunter viele Schulmädchen, zu entführen, ist Wandous Arbeit noch schwieriger geworden. Ihre Organisation hilft mittlerweile auch bei der Therapie und Rehabilitierung dieser Mädchen und Frauen, die schwere sexuelle Gewalt erfahren haben.
Alle vier Preisträger zeigen, «was Graswurzelbewegungen bewirken können», betont Ole von Uexküll. Selbst dann, wenn sie eine Terrormiliz oder industrielle Imperien gegen sich haben. Der alternative Nobelpreis sei eine Ermutigung: «Wenn andere das sehen, werden sie vielleicht auch aktiv.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.