Interview mit Cédric Wermuth«Sie haben versucht, uns auszutricksen»
SP-Co-Präsident Cédric Wermuth wehrt sich gegen den Vorwurf der Arbeitgeber, die Europa-Verhandlungen blockiert zu haben. Und er verrät, warum er in Zukunft selber vermehrt als Schweizer Aussenminister agieren will.
Herr Wermuth, überzeugte EU-Befürworter sind heute besser bedient, wenn sie grünliberal statt sozialdemokratisch wählen. Was entgegnen Sie dieser Feststellung?
Die Grünliberalen streben eine EU-Politik an, die vor allem den Grosskonzernen nützt. Das Gewerbe und die Lohnabhängigen gehen dabei vergessen. Es kann keine europäische Integration ohne Schutz der Löhne geben. Darum haben wir das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form abgelehnt. Wir bedauern aber sehr, dass Bundesrat und EU-Kommission offenbar ausserstande waren, ein besseres Abkommen auszuhandeln.
Das Rahmenabkommen ist gescheitert, der Eindruck bleibt: Die SP ist gespalten und weiss nicht, wohin sie will.
Das sehe ich nicht so. Ich verstehe, dass Teile meiner Partei frustriert sind. Aber jetzt müssen wir die Zukunft gestalten. Das Kernproblem des bilateralen Weges ist, dass wir Regeln übernehmen, diese aber nicht politisch mitgestalten können. Dieses Problem hätte das Rahmenabkommen sogar eher verschärft.
SP-Nationalrat Fabian Molina fordert jetzt in einem Vorstoss rasche EU-Beitrittsverhandlungen. Unterstützen Sie das?
Das Parteipräsidium wird im Moment keine Vorstösse unterschreiben in dieser Frage. Die SP hat entschieden, einen Ausschuss einzusetzen, der die Grundlagen für die nächsten Schritte in der Europapolitik erarbeiten soll.
Im Klartext: Sie lehnen Beitrittsverhandlungen ab?
Nein, die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bleibt mittelfristig die bevorzugte Option. Das steht so in unserem Programm. Aber wir müssen jetzt nichts überstürzen. Die Schweiz muss zuerst zeigen, dass sie weiter zur guten Partnerschaft steht. Der Bundesrat hat recht, wenn er den Kohäsionsbeitrag zugunsten Osteuropas rasch auszahlen will. Aber das genügt nicht: Wir sollten den Betrag substanziell aufstocken. In einer nächsten Stufe sollten wir überprüfen, wo wir mit der EU enger kooperieren könnten.
Woran denken Sie?
Die Schweiz sollte der EU ganz konkrete Angebote machen. Bei der Bildungs- und Forschungszusammenarbeit zum Beispiel, da ist das Interesse der Nachbarstaaten hoch. Und wir sollten uns am Green New Deal beteiligen und der EU in Steuerfragen entgegenkommen. Ausserdem sollten die Sozialpartner zusammen schauen, welche europäischen Weiterentwicklungen bei der Personenfreizügigkeit die Schweiz übernehmen kann.
«Auch ein EU-Beitritt muss das Leben der Menschen verbessern und den Schutz der Löhne und der direkten Demokratie gewährleisten.»
Und wann ist die Zeit Ihrer Meinung nach reif für den EU-Beitritt?
Diese Diskussion müssen wir sorgfältig führen. Jetzt müssen alle Optionen auf den Tisch, ohne Tabus. Klar ist für mich: Auch ein EU-Beitritt muss das Leben der Menschen verbessern und den Schutz der Löhne und der direkten Demokratie gewährleisten.
Sie träumen ernsthaft von einer EU-Mitgliedschaft mit Sonderregelungen für die Schweiz?
Warum nicht? Dass das geht, zeigt zum Beispiel Dänemark, das den Euro nicht übernommen hat. Viele Entwicklungen in der EU der jüngsten Zeit stimmen mich positiv.
Molinas Vorstoss zeigt, dass nicht alle in Ihrer Partei Ihr zögerliches Vorgehen unterstützen.
Es ist völlig legitim, wenn ein SP-Parlamentarier einen solchen Vorstoss lanciert. Dass diese Debatte für die Linke nicht einfach ist, wissen wir. In der Finanz- und Migrationskrise hat die EU keine gute Falle gemacht, die Linke ist geschwächt.
Die EU ist verstimmt und setzt eher auf Nadelstiche als auf Kooperationen.
Das ist Schwarzmalerei. Ich war in den letzten Tagen in zahlreichen Botschaften von EU-Ländern zu Gast. Die EU-Kommission will vielleicht eine harte Linie, aber die Mitgliedsstaaten wollen weiter ganz konkret und gut zusammenarbeiten.
Sie weibeln für die Schweizer Position?
Wir nutzen unsere engen Kontakte nach Europa, ja. Ich sehe es als unsere Aufgabe, unsere Argumente in Europa zu vertreten. Wir brauchen mehr Austausch mit der EU. Das kam im Aussendepartement in den letzten Jahren offensichtlich zu kurz.
Kommt es gut, wenn alle Aussenminister spielen?
Ich stelle fest, dass man unsere Position in den europäischen Ländern oft nicht gut kennt. Sobald man sie erklärt, gibt es Verständnis bis Sympathie, gerade beim Lohnschutz.
Vor allem die Gewerkschaften haben in der SP gegen das Rahmenabkommen lobbyiert. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt wirft ihnen Sturheit vor.
Völliger Blödsinn. Vogt war ja selbst an den Verhandlungen der Sozialpartner beteiligt. Es waren Vertreter der Arbeitgeberseite und Aussenminister Ignazio Cassis, die versucht haben, uns beim Lohnschutz auszutricksen.
Vogt und die FDP wollen nun ein «Fitnessprogramm» für das Land. Zur Diskussion steht etwa eine Liberalisierung der Arbeitszeiten.
Wir werden jede Verschlechterung für die Lohnabhängigen mit dem Referendum bekämpfen. Einer solchen Abstimmung sehe ich sehr gelassen entgegen.
«Die zunehmende Überlappung von Arbeits- und Freizeit ist keine Verbesserung, sondern ein Problem für immer mehr Menschen.»
Wer nach dem Abendessen noch die E-Mails checkt, verstösst gegen die Ruhezeitregelung. Hat Vogt nicht recht, wenn er das absurd findet?
So kann nur reden, wer zu Hause keine kleinen Kinder zu betreuen hat. Der Rechten im Parlament geht es aber um einen Frontalangriff auf das Arbeitsrecht, nicht um ein paar E-Mails. Die zunehmende Überlappung von Arbeits- und Freizeit ist keine Verbesserung, sondern ein Problem für immer mehr Menschen.
Justizministerin Karin Keller-Sutter möchte die Sozialpartnerschaft wieder stärken. Was sind Ihre Erwartungen an die Gegenseite?
Wir müssen dafür schauen, dass die Vorteile der Einbindung in Europa gerechter verteilt werden. Zum Beispiel für Jugendliche, denen aufgrund der Corona-Krise der Einstieg ins Erwerbsleben erschwert wurde. Und es braucht einen Kündigungsschutz für über 50-Jährige.
Also wollen Sie genau das Gegenteil der Arbeitgeber. Das hört sich nicht nach baldiger Entspannung an.
Die Marktradikalen begehen einen Denkfehler. Seit 1992 waren wir in der Europapolitik immer dann erfolgreich, wenn wir Marktöffnungen mit mehr Schutz der Menschen kombiniert haben.
Bei den Wahlen 2019 wurde das links-grüne Lager insgesamt stärker. Jetzt ist bald Halbzeit der Legislatur. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Es ist meine dritte Legislatur im Nationalrat, und es ist bis jetzt die mit Abstand spannendste. Rot-Grün hat bereits bewiesen, dass wir konkrete Verbesserungen voranbringen können. Ich erinnere an den Vaterschaftsurlaub oder die Überbrückungsrente. In der Corona-Krise konnte die SP wichtige Erfolge für die Lohnabhängigen, Selbstständigen und die KMU erzielen. Jetzt müssen wir gerade das Referendum gegen weitere milliardenschwere Steuersubventionen für Grosskonzerne ergreifen. Parallel wollen wir aber eigene Projekte vorantreiben. Zum Beispiel muss der Finanzplatz endlich in soziale und ökologische Schranken gewiesen werden. Da arbeiten wir in breiter Allianz an einem Initiativprojekt.
Wie haben Sie sich in Ihre Rolle als Co-Präsident gefunden? Rechtskonservative Medien hielten Ihnen vor, Sie seien kaum präsent, andere in der Partei hätten die Führung übernommen.
Ist das so? Wer denn? (lacht) Es gibt wohl einige rechtskonservative Medien, die vor allem Mühe damit haben, dass mit Mattea Meyer eine junge Frau als Co-Präsidentin derart erfolgreich ist. Das passt nicht ins rechte Weltbild.
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