Ukraine an der Eiskunstlauf-WMSie flohen vor den Bomben, jetzt fliegen ihnen die Herzen zu
Als in der Ukraine die ersten Schüsse fielen, waren Oleksandra Nazarowa und Maksym Nikitin mittendrin. An der Eiskunstlauf-WM sorgen sie für einen emotionalen Höhepunkt.
So schlicht – und doch so überwältigend. Die Eistänzer Oleksandra Nazarowa und Maksym Nikitin treten an der Eiskunstlauf-WM in Montpellier in einfarbigen Trainern an. Sie in Blau, er in Gelb, zusammen bilden sie die Farben der ukrainischen Landesflagge. Ihr Tenue und das Programm sind improvisiert, trotzdem oder gerade deswegen sorgen sie für stürmischen Applaus. Nach dem Auftritt fallen sie sich um den Hals, beide weinen. Auch in den sozialen Medien fliegen ihnen die Herzen zu.
«Das ist für uns kein sportlicher Wettbewerb. Das ist die Chance, der Welt zu sagen, was in der Ukraine gerade passiert», erklärte Nazarowa hinterher. «Wir tun das für alle Ukrainer.»
Sie und ihr Tanzpartner Nikitin stammen aus Charkiw im Osten der Ukraine. Bis vor wenigen Tagen lebten sie in der Stadt, und so weilten sie da, als Russland vor gut einem Monat Charkiw und den Rest des Landes zu bombardieren begann. Die ersten Kriegsnächte verbrachten sie im Schutzbunker. Danach floh zunächst Nazarowa in die polnische Stadt Torun, erst vor einer Woche folgte ihr Nikitin. In Torun nahmen die beiden nach der Zwangspause ihr Training wieder auf, um doch noch irgendwie an die WM fahren zu können.
Unterstützt wurden sie dabei von Eiskunstläuferinnen und -läufern aus anderen Ländern und einem kanadischen Choreografen. So gelang es ihnen, zumindest eine von zwei Küren zusammenzustellen, die es an Wettkämpfen braucht. Die Zeit, auch noch Gewänder zu nähen, fehlte ihnen dagegen. Also entschieden sie sich, die Trainer anzuziehen, die sie für die Olympischen Spiele erhalten hatten.
«Happy-Musik» ist unangebracht
Vor knapp zwei Monaten in Peking waren die beiden noch zum Lied «Hit the Road Jack» von Percy Mayfield auf den 20. Rang gelaufen. Nun schien es ihnen nicht länger angebracht, angesichts der Umstände in ihrem Heimatland weiterhin zu «Happy-Musik zu tanzen». Nazarowa sagt emotional: «Wir sahen die Panzer und hörten die Schüsse. Mein Haus hat keine Fenster mehr. Es ist schrecklich, mit einem Kind im Arm im Bunker liegen zu müssen. Das wünsche ich niemandem.»
So entwarfen sie eine Choreografie zum Lied «1944» der ukrainischen Popsängerin Jamala. Darin geht es um die Verfolgung und Vertreibung der Krimtataren durch die Rote Armee im Laufe des Zweiten Weltkriegs. Drei Tage nur dauerte dieser innerrussische Feldzug im Mai 1944, geschätzt wurden dabei zwischen 35’000 und 110’000 Krimtataren getötet. Die Dunkelziffer ist riesig. Die Sowjetunion oder Russland als deren Rechtsnachfolger hat dafür nie Reparationszahlungen geleistet.
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«Wenn Fremde kommen, kommen sie zu deinem Haus», singt Jamala in «1944». «Sie werden euch alle töten und sagen: ‹Wir sind nicht schuldig›.» Das Lied war 2016 der ukrainische Beitrag beim Eurovision Song Contest, es sorgte in Russland für grosse Empörung. Bei der internationalen Jury und dem TV-Publikum dagegen kam das Lied an: «1944» gewann den Gesamtwettbewerb, im Jahr darauf fand dieser in Kiew statt.
An der Eiskunstlauf-WM in Montpellier schaffen die ukrainischen Eistänzer Nazarowa und Nikitin mit ihrer Hühnerhaut-Kür im rhythmischen Teil die Qualifikation für den Final. Auf eine Teilnahme in der Tanzkür verzichten sie – offiziell «aus privaten Gründen». Auch eine ukrainische Eiskunstläuferin zieht sich mitten im Wettbewerb zurück. Nazarowa erklärt: «Wir wollten nicht tanzen, während in unserem Heimatland die Leute im Keller sterben.»
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