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Spanische Stadt streitet um Lithium
«Sie essen unseren Berg auf»

«Hier kommt keinesfalls eine Mine hin»: Beatriz Martín Marín, Gegnerin von Lithium-Abbau in Cáceres.
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Im Spanischen gibt es ein Sprichwort: Fälle nicht den Baum, der dir Schatten spendet. Das klingt logisch. Nur ein Dummkopf würde mit einer unüberlegten Aktion seine Lebensbedingungen langfristig verschlechtern. Manchmal ist die Frage aber: Was ist eigentlich der Baum? Darüber streiten sie in der Extremadura schon jahrelang.

Es ist aus mehreren Gründen schwierig: Zum einen gibt es hier im Westen Spaniens kaum Bäume, die man fällen könnte. Und wenn, dann sind es Steineichen, und die spenden kaum Schatten. Die mickrigen Stämme mit Flechten überwuchert, die Äste verdreht, die Blätter klein und hart. Hier an der Grenze zu Portugal versengt die Sonne das Land von Mai bis Oktober, dann regnet es so gut wie gar nicht. Steineichen sind die einzigen Bäume, die das überstehen. Sie sind unscheinbar, aber zäh. Ein bisschen wie die Menschen hier.

Das ist die Ausgangslage in Cáceres, dem kulturellen Zentrum der Extremadura: Die einen wollen Bäume retten, um Schatten zu haben. Die anderen wollen Bäume fällen, um Hunderte Arbeitsplätze zu schaffen, die die arme Region gut brauchen könnte.

Aktivistin will sich an einen Baum ketten

«Hier kommt keinesfalls eine Mine hin», sagt Beatriz Martín Marín. Die 54-Jährige ist Professorin für Pädagogik an der Universität in Cáceres, der Universidad de Extremadura. Seit vier Jahren ist sie zudem Umweltschutzaktivistin. Ihren Aktivismus hat sie entdeckt, als es um die Steineichen im Tal von Valdeflores ging. «Die grüne Lunge unserer Stadt», sagt sie. Wenn die Maschinen kommen, um den Boden aufzureissen, will sie hier warten. «An einen Baum gekettet.» Neben ihr werde ihr Sohn stehen, er ist neun.

Geht es dagegen nach Cayetano Polo, müssen diese Bäume weichen, damit eine Lithium-Mine entstehen kann. Der Hunger der europäischen Autoindustrie nach Lithium ist riesig. Und das Lithium, das hier im Boden lagert, könnte helfen, sowohl die Extremadura aus ihrer Armut zu befreien als auch den Klimawandel zu bremsen. «Wir können nicht einfach nichts tun, wir müssen unseren Beitrag zur Energiewende leisten», sagt Cayetano Polo. Der studierte Bergbauingenieur arbeitet für das australische Bergbauunternehmen Infinity Lithium, das hier in Cáceres das Lithium aus dem Boden holen will.

Das Lithium hat aus Cáceres eine gespaltene Stadt gemacht. Etwa ein Drittel der Menschen ist für die Lithium-Mine, ein Drittel ist dagegen, ein Drittel hat sich noch nicht entschieden. Das hat eine Umfrage ergeben. Aber sowohl Cayetano Polo als auch Beatriz Martín Marín glauben, die schweigende Mehrheit hinter sich zu haben. Und die Zeit drängt: 2022 soll es mit dem Tagebau losgehen, wenn der Plan eingehalten wird.

Angst vor negativen Folgen für Gesundheit

In Cáceres leben knapp 100’000 Einwohner. Um die Altstadt haben sich Ringe aus Neubausiedlungen gelegt. In einer von ihnen lebt Beatriz Martín Marín mit ihrem Mann und ihrem Sohn. Das Land rings um die Stadt ist leer und golden, es hat die Farbe von vertrocknetem Gras.

Beatriz Martín Marín kennt jeden Stein in der Sierra de la Mosca, dem Fliegengebirge, wie die Leute es nennen. Sie ist in Cáceres aufgewachsen und nach dem Studium und einigen Reisen zurückgekehrt. «Nirgends lebt man besser», sagt sie. Dann zeigt sie nach unten, auf das, was ihr Angst macht. Dort, wo die Steineichen stehen, soll bald die Mine entstehen. «Der Krater», sagt sie. Auf einer Landkarte hat sie ihn eingezeichnet: mehr als 600 Meter Durchmesser allein das Loch, dann noch die Fabrikanlagen und die Schuttberge drum herum. Kein Baum bliebe hier stehen. «Se comen nuestra montaña», sagt sie. «Sie essen unseren Berg auf.»

Am meisten fürchtet sie die gesundheitlichen Folgen. Beissender Staub über der Stadt, giftige Chemikalien im Trinkwasser, Lärm, der krank macht. Die Sommer könnten noch heisser werden ohne die Bäume. «Sie wollen Cáceres von der Landkarte tilgen, nur damit sie in den Hauptstädten mit den Elektroautos herumfahren können», sagt Beatriz Martín Marín. «Die Natur gibt dem Menschen so viel, sie erhält ihn am Leben.» Jetzt sei es am Menschen, die Natur zu bewahren.

Das Problem ist: Diejenigen, die vorhaben, hier eine Mine zu bauen, wollen eigentlich das Gleiche. Die Natur bewahren, den Klimawandel stoppen, dafür sorgen, dass der Planet bewohnbar bleibt. Zumindest sagen sie das.

Innerhalb weniger Jahre ist Lithium, ein hellgraues Metall, zu einem der begehrtesten Rohstoffe der Welt geworden. Das Lithium, das in der Extremadura im Boden lagert, ist Schätzungen zufolge eines der grössten erschliessbaren Vorkommen in ganz Europa. Es könnte direkt an Ort und Stelle in Lithiumhydroxid umgewandelt werden, das dann in Batteriefabriken, die bald in Spanien entstehen sollen, weiterverarbeitet würde, ehe es in Autos landet. Es wäre ein Projekt, von dem ganz Spanien profitieren könnte. So weit die Versprechungen der Industrie.

Eine der ärmsten Regionen Europas

«Ausserhalb von Cáceres hat niemand Zweifel daran, dass diese Mine gebaut wird», sagt Cayetano Polo. Der 47-Jährige denkt längst wie ein Unternehmer. Kurze Zeit versuchte er sich auch als Politiker. Er liess sich für die liberalen Ciudadanos zum Stadtrat wählen. Aber nach fünf Jahren waren ihm das Klein-Klein und die ewigen Kompromisse zu viel. Dann heuerte er im vergangenen Herbst bei Infinity Lithium an.

«Er hat sich kaufen lassen», sagt Beatriz Martín Marín. Und dass er seitdem keine Freunde mehr habe in Cáceres, weil er sich für die Stadt nicht interessiere. Aber Cayetano Polo sagt, er wolle seine Heimatstadt nach vorne bringen. Endlich gäbe es da mal etwas, was die Extremadura auf die europäische Landkarte holt. Man sieht es nicht, aber es ist da, die Probebohrungen haben es ja gezeigt: Geschätzte 53 Megatonnen lithiumhaltigen Gesteins lägen hier, unter ein paar windschiefen Bäumen, von denen es hier mehr als genug gebe.

Die spanische Extremadura ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Europas. Und eine der ärmsten. Das mittlere Netto-Jahreseinkommen liegt hier bei 17’000 Euro pro Person. In der Hauptstadt Madrid ist es doppelt so hoch. Im Umland von Cáceres, dort, wo die Mine entstehen soll, müssen viele Menschen mit 1000 Euro oder weniger im Monat auskommen. Wer jung ist und noch etwas vorhat im Leben, zieht weg. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 56 Prozent.

Lithium für zehn Millionen E-Autos

Cayetano Polo steht im Tal von Valdeflores, blau kariertes Hemd, lederne Bootsschuhe, er steht direkt am Rand der künftigen Grube und blinzelt gegen die Sonne. Ob er nicht hört, was Beatriz Martín Marín so heilig ist? Das Vogelgezwitscher, das Zirpen der Grillen? Ach was, sagt er, pure Romantik.

Über vieles liesse sich reden. Sein Arbeitgeber wäre sogar bereit, einen Teil der Mine unter Tage zu verlegen. Das wäre teurer, aber es wäre ein Zugeständnis an die, die Angst haben, dass die Mine die Touristen von Cáceres fernhält. Cayetano Polo hält die Gegenargumente für vorgeschoben. In Wirklichkeit fürchteten sich viele vor der Zukunft. «Kein Unternehmergeist, keine Innovationsbereitschaft», nur Beamtenbräsigkeit und Bedenkenträgerei.

Dabei stehe die EU hinter dem Projekt. Auffällig häufig besuchten in jüngster Zeit Funktionäre grosser Autokonzerne diese entlegene Ecke Spaniens. Das Lithium im Boden reiche aus, um zehn Millionen E-Autos zu bauen, sagt Cayetano Polo. «Wer das Klima retten will, muss gross denken.» 1000 direkte und indirekte Arbeitsplätze verspricht Cayetano Polo seiner Stadt.

«Ausserhalb von Cáceres hat niemand Zweifel daran, dass diese Mine gebaut wird»: Cayetano Polo, der für das Bergbauunternehmen Infinity Lithium arbeitet.

Die Lokalpolitiker sind gegen die Mine. Der linke Bürgermeister ist sich ausnahmsweise mit der konservativen Opposition einig. Man sei «unbedingt für Elektromobilität». Nur eben ohne das Lithium von hier. Stattdessen will Cáceres’ Bürgermeister die Sonne anzapfen. Rund um die Stadt sollen Solarparks entstehen und Arbeitsplätze bringen. Zudem ist ein Nationales Forschungszentrum zur Energiespeicherung geplant. Das 70 Millionen Euro teure Projekt soll die Region in einen «Technologie-Hub» verwandeln.

Zukunftsmusik, sagt Cayetano Polo. Wo das Lithium doch schon da ist und nur auf sie wartet. Im Rathaus seien sie eingeknickt vor einer lauten Minderheit. Seine Firma will nun vor Gericht ziehen. Er glaubt, sie hat gute Chancen.

Spanische Regierung unterstützt Lithium-Abbau

Spaniens Premier Pedro Sánchez hat vor kurzem die Elektromobilität zu einem strategischen Ziel seiner Regierung ausgerufen. Spanien will führend werden in der Produktion von E-Autos. Das klingt ambitioniert, dank der Milliardenhilfen der EU soll es gelingen. Fast 20 Prozent des Geldes will Sánchez in Projekte rund ums E-Auto stecken. 2040 wird der Verkauf von Verbrennern in Spanien verboten. Madrid setzt wie Brüssel darauf, dass aus der Extremadura bald Lithium kommt. So wird der Druck auf die Menschen in Cáceres von Woche zu Woche grösser.

«Sie glauben, wir sind erpressbar, nur weil wir arm sind», sagt Beatriz Martín Marín – und sieht nun trotzig aus.