Erfolgsserie «Shogun»Ja, es ist Liebe
Die Historienserie «Shogun» hat gerade einen Emmy-Rekord gebrochen. Hochverdient, findet unsere Autorin, die sie schon zum vierten Mal schaut.

Diesen Artikel sollte sich die Leserin oder der Leser mit einer dieser vom Computer verzerrten Stimmen gelesen vorstellen, also ungefähr in Schlumpftonlage. Die Autorin sitzt hinter einer Leinwand, nur ihr Schatten ist zu sehen. Sie macht ein Geständnis. Es geht um Sucht, um Obsession.
Ja, es ist wahr: Sie schaut die japanisch-amerikanische Historienserie «Shogun» gerade zum vierten Mal, hat alle verfügbaren Podcasts darüber gehört, alle Rezensionen gelesen, alle Interviews mit Produzenten, Regisseuren und Darstellern, die zu finden waren.
Dass sie ein Problem hat, würde sie in Schlumpfstimme sagen, wurde ihr spätestens klar, als sie in Erwägung zog, ein VPN-Programm herunterzuladen, nur, um auch die ganz apokryphen frühen Indie-Werke aus der Filmografie eines der Hauptdarsteller ansehen zu können. Die nämlich sind nur in Grossbritannien als Stream verfügbar.
«Shogun» ist ein Dickicht aus Intrigen
Alle Jubeljahre passiert es, dass einen auch jenseits der obsessionsanfälligen Jugendjahre und auch trotz dauernder beruflicher Beschäftigung mit Popkultur ein Kunstwerk dermassen packt. So sehr, dass keine Stunde vergeht, in der man nicht an eine Szene, einen Dialog denkt.
Nicht immer hat so eine überbordende Begeisterung mit der Qualität des Werks zu tun. Im Fall von «Shogun» aber schon. Die Serie, die das Ehepaar Rachel Kondo und Justin Marks als Showrunner erschaffen hat, ist ein makelloses Meisterwerk.
Sie beruht auf dem gleichnamigen Bestseller-Roman von James Clavell, einem richtig dicken Schinken, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren (wahrscheinlich jeweils sehr lange) auf den Nachtschränkchen der Eltern lag. Clavells Roman wiederum basiert auf historischen Ereignissen – 1600 landete der Engländer William Adams als erster Protestant in Japan und wurde zum Berater des Herrschers Tokugawa Ieyasu. 1980 wurde «Shogun» schon einmal als Miniserie verfilmt. Damals spielte Richard Chamberlain die Hauptrolle des John Blackthorne, der in ein Dickicht aus Intrigen zwischen den rivalisierenden fünf Fürsten des Kronrats gerät, die über Japan herrschen, bis der minderjährige Thronfolger alt genug ist, um Kaiser zu werden.

Weil es in Shogun um Winkelzüge geht, die heute meist als sounsovieldimensionales Schachspiel bezeichnet werden, verglichen Kritikerinnen und Kritiker die neue Version der Serie gern mit «Game of Thrones». Und ja, wie bei Thrones endet jede der zehn Folgen mit einem alles umwälzenden Plottwist: einem Attentat, einem Erdbeben, der Ankündigung eines Suizids. «Shogun» ist auf sehr moderne Weise packend, gekonnt inszeniert. Aber gleichzeitig extrem subtil, an Stellen regelrecht opak, so wie das Regelwerk der Rituale und Benimmregeln, vor dem der Engländer John Blackthorne steht wie vor einer unüberwindlichen Mauer.
Diese Serie nimmt ihre Zuschauer und Zuschauerinnen so ernst, dass sie sie manchmal überfordert. Ein zentrales Handlungselement ist das spontane Ersinnen von Gedichten über die Situation, in der sich die Figuren finden. Was mehr kann man sich wünschen? Klar, dass man da das Handy beim Zähneputzen ins Badezimmerschränkchen stellt, um die Folge noch einmal anzusehen, in der Fürst Toranaga statt einer Armee eine einzelne Frau nach Osaka schickt, um seinen Widersacher Ishido zu besiegen – unter anderem mit einer Gedichtzeile.
Hiroyuki Sanada hat zehn Jahre an der Produktion gearbeitet
Dabei ist jedes Detail mit unendlicher Mühe gestaltet. Nicht umsonst hat «Shogun» schon vor der grossen Emmy-Gala am Sonntagabend bereits 14 Preise bei den eine Woche vorher verliehenen handwerklichen Emmys bekommen: für Casting, Kostüme, Make-up, Produktionsdesign. Produzent Hiroyuki Sanada, der japanische Schauspielstar, der in der Serie den Meisterstrategen Yoshii Toranaga spielt, hat zehn Jahre an dieser japanisch-amerikanischen Co-Produktion gearbeitet.
Hat Historiker versammelt und Sprachexperten, Autoren für japanisches Theater, für Samuraikampf. Die Dialoge sind zu 70 Prozent auf Japanisch – und zwar dem Japanisch der Sengoku-Periode, das auch die muttersprachlichen Darsteller erst mal üben mussten.
Amerikanische Unterhaltungsindustrie ist offener geworden
Auch deshalb ist der Erfolg von «Shogun» so berückend: Eine Serie in einer historischen Fremdsprache, die deshalb zum ganz grossen Teil untertitelt ist, hätte noch vor ein paar Jahren sicher wenig Chancen auf Publikum und Preise gehabt. Aber die Zeiten haben sich in der Welt offenbar nicht überall nur zum Schlechteren geändert.

Die amerikanische Unterhaltungsbranche ist offener geworden für das Fremde, und: Sie arbeitet endlich mit den Menschen zusammen, deren «exotische» Geschichten sie erzählt. Anna Sawai, die Darstellerin von Toda Mariko, Blackthornes Übersetzerin, fängt regelmässig an zu weinen, wenn sie erzählt, wie gerührt Japanerinnen darauf reagieren, dass es endlich eine komplexe weibliche Figur gibt, die ihre kulturelle Lebenswelt anschaulich macht.
John Blackthorne als Glutkern von «Shogun»
Dass Anna Sawai und Hiroyuki Sanada für ihre Darstellungen mit je einem Emmy ausgezeichnet werden würden, war abzusehen; beide sind fantastisch in ihren Rollen. Sehr schade ist nur, dass Cosmo Jarvis nicht einmal nominiert war. Sein John Blackthorne ist der Glutkern von «Shogun». Das Eintrittstor für ein Publikum, das genau wie er mit Unverständnis vor all der Todessehnsucht, der antiindividualistischen Aufopferungsbereitschaft der Samurai-Gesellschaft steht.
Wo Sanada und Sawai beherrscht und subtil sind, trampelt und schreit Jarvis, bis die Adern in seinem Gesicht sich wölben. Es ist eine riskante Spielweise, ständig an der Grenze zur Übertreibung, zur Lächerlichkeit. Die tiefe, raue Stimme, mit der er spricht, ist mühevoll antrainiert, jede Modulation, jedes Grunzen bewusst gesetzt.
Um nur noch einmal zu betonen, wie sehr diese Serie Herrin ihrer Mittel ist: In den ersten Folgen ist Blackthorne andauernd nackt oder trägt einen einfachen Kimono, der aussieht wie ein Bademantel, alle nennen ihn nur «der Barbar». Nach und nach, je weiter er aufsteigt durch Mut und ein Talent, Situationen schnell zu verstehen und zu nutzen, legt er Schicht um Schicht an, hüllt sich ein in die neue Kultur. Nur den Welpenblick, mit dem er seine Übersetzerin Mariko ansieht, den lernt er bis zum Schluss nicht zu verbergen. Was für ein Glück.
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