Erinnerung an Schweizer AuftrittShane MacGowan lieferte ein Spektakel – und ging nach sieben Songs
Er war noch keine 30 und gesundheitlich völlig hinüber: Der diese Woche verstorbene Sänger gab mit den Pogues in Zürich ein ekstatisches, trunkenes Konzert.
Immerhin war er ehrlich: «Es stimmt, dass wir im nüchternen Zustand besser spielen», sagte er, «aber es macht weniger Spass.» Wer Shane MacGowan und seine Pogues im Konzert erlebt hat, weiss, was er meinte. Denn der Sänger und seine Freunde waren niemals nüchtern. Bei ihnen klang jedes Lied wie das letzte, ihre Konzerte waren als Rausch vor dem Koma angelegt. Und ihre Räusche waren heftig: Die Band legierte die Tanzweisen irischer Folkmusik mit der Aggression des Punk. Das Resultat klang wie eine Verbindung aus Nitro und Glycerin.
Unvergessen der Auftritt der musizierenden Randalierer in der komplett überfüllten Roten Fabrik, das war im Oktober 1985. Es war heiss und schwitzig und voller Rauch im Saal, die Leute drängten, sprangen hoch, sangen mit und fielen beinahe ineinander. Es ging wüst zu und her.
Er schwenkte eine Weissweinflasche
Und vorne stand Shane MacGowan mit seinem wirren Haar, der Zahnlücke und den Segelohren, schwenkte eine seiner Weissweinflaschen und behauptete, «das Mikrofon hat getrunken, nicht ich». Das hatte er von Tom Waits übernommen, wobei der seinem Klavier die Schuld gegeben hatte («The piano has been drinking, not me»). Und so wie Shane dastand und taumelte, krächzte und gestikulierte und dabei aussah wie eine eingestürzte Baustelle, war man froh, dass wenigstens das Mikrofon nüchtern war.
Den Leuten im Saal wars egal, den Mitmusikern auch. Das Kollektiv drosch weiter auf seine Instrumente ein, Akkordeon, Bass, Tin Whistle und Mandoline. Am Schlagzeug sass, unerkannt, der Songschreiber Elvis Costello. Er hatte «Rum, Sodomy & the Lash» produziert, das brillante zweite Album der Pogues von 1985 – und sich dabei in die schöne Bassistin Cait O’Riordan verliebt, die er später heiratete. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der gescheite, charismatische und witzige Musiker war zu einem fixenden, kettenrauchenden Alkoholiker verkommen. Ein torkelnder Witz ohne Pointe.
Jedenfalls konnte auch das Mikrofon den Sänger an diesem Abend nicht retten, nach sieben Nummern musste er aufgeben und wankte von der Bühne. Bandkollegen übernahmen den Gesangspart. Sie waren das gewohnt. Denn so kam es immer wieder mit ihrem Sänger: Shane MacGowan, damals noch keine dreissig Jahre alt, war gesundheitlich bereits hinüber. Der gescheite, charismatische und witzige Musiker war zu einem fixenden, kettenrauchenden Alkoholiker verkommen. Ein torkelnder Witz ohne Pointe.
Ein paar Jahre später warfen ihn die Pogues mitten auf Tournee aus der Band, es ging einfach nicht mehr. Und obwohl es Comebacks des Sängers gab, er mit einer neuen Band Platten machte und sogar die Pogues wieder anführte, half alles nichts: MacGowan konnte seine systematischen Selbstzerstörungen nicht überwinden, verfiel seinen Süchten und taumelte aufgedunsen durchs Leben. Die letzten Jahre verbrachte er in seinem Haus in Dublin im Rollstuhl, missmutig und ausfällig.
Mehr als ein trunkener Clown
Was ihn am Leben hielt, war seine Frau Victoria Mary Clarke, eine irische Musikjournalistin, die ihren baufälligen Mann bis zuletzt pflegte. Sie war es auch, die am Donnerstag seinen Tod bekannt gab, als Ursache wurde eine Lungenentzündung angegeben. Bei einem der letzten Interviews, das die beiden gaben, bekam man den tröstlichen Eindruck eines Paares, das weit mehr war als eine Krankenschwester und ihr angehängter Patient. Es war offensichtliche Liebe im Spiel.
Dass einer sich dermassen aufgegeben hatte und praktisch in der Öffentlichkeit zugrunde ging, tut bei ihm deshalb besonders weh, weil Shane MacGowan weit mehr gewesen war als ein trunkener Clown. Er wurde als glatter Siech gefeiert und von den Fans für seine Exzesse geliebt.
Doch diese falsche Verklärung lenkte davon ab, dass der Mann ein überragender Songschreiber gewesen war, der die Traditionen des Irish Folk und der irischen Literatur von Autoren wie Brendan Behan mit brillanten, dunklen, gesellschaftlich wachen und lyrisch hochstehenden Texten versah. Und wie immer bei ihm erwies sich das, was tönte wie ein Trinkspruch, als Ausdruck der Verzweiflung.
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«A Pair of Brown Eyes» zum Beispiel mag wie ein Liebeslied klingen, handelt aber vom Grauen eines Soldaten im Krieg, der die toten Augen eines Kameraden sieht. «The Old Main Drag» skizziert einen sterbenden Strichjungen. «Dark Streets of London» erinnert an die Zeit, die Shane, in England aufgewachsener Sohn irischer Eltern, in einer psychiatrischen Klinik verbracht hatte.
Selbst das wehmütige Weihnachtslied «Fairytale of New York», das MacGowan mit der grossen Folksängerin Kirsty MacColl eingesungen hatte, mag als Märchen betitelt sein, handelt aber vom Gegenteil.
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Denn der Song beschreibt ein trunkenes, vollgefixtes Paar in einer Ausnüchterungszelle von New York, das sich den Weihnachtsabend lang vollflucht. Du miese Made, sagt er. Du lausige Schwuchtel, sagt sie. Frohe Weihnachten, du Arsch, sagt er; ich flehe Gott an, dass es unsere letzten sind.
Gott kam dem Wunsch nach.
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