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Spionage-Skandal
Die Luft wird dünn für Seiler – und fünf weitere Befunde zur Crypto-Affäre

«Seiner Verantwortung entzogen»: Der heutige EDA-Generalsekretär Markus Seiler wollte 2017 als Chef des Nachrichtendienstes nicht über Crypto informiert werden. 
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1. Der «Nachrichtendienst im Nachrichtendienst»

Die Schweiz war bei der Riesenoperation über die Zuger Verschlüsselungsfirma Crypto AG seit 1993 Trittbrettfahrerin und ab 2002 Juniorpartnerin der CIA. Der US-Geheimdienst, der Crypto über Tarnstrukturen bis 2018 besass, ermöglichte es der Schweiz, verschlüsselte Kommunikation abzufangen und zu decodieren. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) bestätigt, dass der Bund so nützliche Erkenntnisse gewann – zum Beispiel während der Geiselnahme zweier Schweizer Geschäftsmänner in Libyen.

Gemäss dem am Dienstag publizierten Inspektionsbericht waren nur wenige Nachrichtendienstler und Kryptologen der Armee in den Lauschangriff gegen viele Staaten eingeweiht. Von einem «Nachrichtendienst im Nachrichtendienst» spricht Alfred Heer, der Präsident der Geheimdienstaufsicht des Parlaments.

Eine Schlüsselperson war der langjährige Geheimdienst-Kadermann Paul Zinniker. Die Nummer 2 im Nachrichtendienst des Bundes (NDB) wurde 2019 frühpensioniert. Er hatte nicht einmal seinen Chef, NDB-Direktor Jean-Philippe Gaudin, über Crypto informiert.

2. Die politische Führung wusste nichts

Die GPDel entlastet die Politik von jeder Verantwortung für das Joint Venture mit der CIA. Laut Alfred Heer war der «Geheimdienst im Geheimdienst» allein für die Operation Crypto verantwortlich. Weder die Vorsteher des Verteidigungsdepartements (VBS) noch die parlamentarische Kontrolle noch der Gesamtbundesrat sollen im Bilde gewesen sein.

Laut einem Bericht von CIA-Spionen war der damalige Vorsteher des Militärdepartements, Kaspar Villiger, von seinem FDP-Parteifreund Georg Stucky im Mai 1994 über die wahren Besitzverhältnisse bei der Crypto AG informiert worden. Gegenüber der GPDel bestritten Stucky und Villiger das oder gaben an, sie könnten sich nicht mehr erinnern. Damit gibt sich die GPDel zufrieden.

3. Markus Seiler als EDA-Generalsekretär «untragbar»

Während der Grossteil der Crypto-Mitwisser beim Bund bereits in Pension ist, gilt das nicht für den ehemaligen NDB-Chef Markus Seiler. Dem heutigen Generalsekretär von Ignazio Cassis stellt die Aufsicht ein vernichtendes Zeugnis aus.

Seiler wurde 2017 mit klaren Hinweisen zur Crypto AG konfrontiert, wie es im Bericht heisst. Gemäss mehreren Quellen ging es um eine Kooperation mit dem US-Geheimdienst NSA. Seiler wollte diese heiklen Informationen aber nicht in schriftlicher Form entgegennehmen.

Damit habe Seiler sich seiner Verantwortung entzogen und namentlich verhindert, dass sich der damalige Verteidigungsminister Guy Parmelin mit den relevanten Fragen zur Crypto AG befassen konnte. Das Versäumnis sei umso schwerwiegender, schreibt die GPDel, als dadurch wertvolle Zeit verloren gegangen sei, um die nötigen Führungsentscheide mit dem VBS und dem Bundesrat vorzubereiten und umzusetzen.

Für Seiler wird die Luft in Bern dünn. SVP-Ständerat Werner Salzmann sagte am Dienstag: «Der Bundesrat muss die Verantwortung übernehmen. Nicht nur über nachrichtendienstliche Beschaffungen, sondern auch über personelle Konsequenzen.» Deutlicher äussert sich Balthasar Glättli. Seiler sei als Generalsekretär des Aussenministeriums untragbar, so der Grünen-Präsident.

4. Akten vernichten, Geheimnisse wegsperren

Die Untersuchung der Geheimdienstaufsicht zeigt ferner, dass der Nachrichtendienst des Bundes bis 2014 Akten vernichtete, zu deren Aufbewahrung er verpflichtet gewesen wäre. VBS-Chefin Viola Amherd verteidigte dieses Vorgehen noch im Mai 2020. «Für die GPDel ist dies unverständlich», schreibt die Aufsicht.

Nach der groben Methode der Aktenvernichtung setzen die Behörden ihre Geheimpolitik jetzt mit feineren Methoden fort. Seit Januar hat der ehemalige Bundesrichter Niklaus Oberholzer im Auftrag des Bundesrats und der Geheimdienstaufsicht die Geschichte der Crypto AG aufgearbeitet. Seinen 90-seitigen Bericht hat die GPDel nun aber als geheim klassiert. Nur Bundesräte dürfen ihn lesen. Eine Offenlegung könnte Quellen des Nachrichtendienstes gefährden, erklärte Alfred Heer.

5. Die neue Crypto AG wittert Morgenluft

Für die Crypto-Nachfolgefirma birgt der Bericht der Geheimdienstaufsicht gute Neuigkeiten. Gemeinsam haben Wirtschaftsminister Guy Parmelin und das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco dem Unternehmen im letzten Dezember alle Exporte von Chiffriertechnologie verunmöglicht. Für die GPDel ein klarer Verstoss gegen Treu und Glauben. Die Behörden hätten das nur getan wegen des Drucks der Medien, heisst es im Bericht.

Die GPDel fordert den Bundesrat auf, alle Exporteinschränkungen umgehend aufzuheben. Alfred Heer und sein Gremium empfehlen dem Justizdepartement sogar, das Strafverfahren zu stoppen, das die Bundesanwaltschaft in Sachen Crypto AG eingeleitet hat. Mit anderen Worten: Das Parlament will trotz Gewaltentrennung der Exekutive diktieren, welche Ermittlung die Strafverfolgung einzustellen hat.

6. Keine Frage der Neutralität

Der GPDel-Bericht geht der Frage nicht nach, ob das Gemeinschaftswerk mit der CIA ab 2002 die Schweizer Neutralität verletzte. Dies deswegen, weil sie die in den Akten genannten Bundesräte vom Verdacht jeder Mitwisserschaft entlastet.

Hätte sich bestätigt, dass einzelne Bundesräte über die Crypto-Connection informiert waren, hätte sich die Neutralitätsfrage akut gestellt. Schliesslich halfen die gewonnenen Erkenntnisse gezielt einzelnen Kriegsparteien, die von den USA unterstützt wurden. Wenn allein der Nachrichtendienst das Projekt verantwortete, dann stellen sich gemäss dem Bericht keine solchen rechtlichen Probleme, weil das Gesetz über Nachrichtendienste Partnerschaften zulässt. Die GPDel empfiehlt aber dem Nachrichtendienst, den Bundesrat künftig über Art und Umfang seiner Zusammenarbeit zu informieren.

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