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Prominenter Rettungsaufruf
Schwulen-Ikone setzt sich für gefährdetes Zürcher Theater ein

Ernst Ostertag erzählt im Keller62, was das Spezielle dieser Bühne für ihn ist.
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Dieser Text erschien erstmals am 4. August 2023.

Ernst Ostertag steht im Bühnenraum des Stadtzürcher Kleintheaters Keller62 und erinnert sich. Den Blick auf ein imaginäres Publikum gerichtet, die linke Hand im Hosensack. Im April des Jahres 2000 machten er und sein Partner Röbi Rapp an diesem Ort ihr Coming-out. Sie erzählten allen, dass sie ein Paar sind. Dass sie seit 44 Jahren ein Paar sind.

Damals waren sie beide siebzig Jahre alt. Drei Jahre später waren sie das erste Schwulenpaar, das seine Partnerschaft im Kanton Zürich eintragen liess.

Unterwegs ins Standesamt: Röbi Rapp (links) und Ernst Ostertag liessen im Juli 2003 ihre Partnerschaft eintragen.

Dass Ernst Ostertag diesen fernen Tag im April 2000 Revue passieren lässt, hat einen aktuellen Grund. Der Keller62 an der Rämistrasse und das nicht weit entfernt am Hirschengraben liegende Kellertheater Stok erhalten ab nächstem Jahr keine Subventionen mehr von der Stadt. Es droht die Schliessung.

Die für die Vergabe der Subventionen zuständige Jury empfand die beiden Kleintheater offenbar für zu unbedeutend für die Zürcher Theaterlandschaft. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) bemängelte an der Medienkonferenz, an der dieser Entscheid bekannt gemacht wurde, der Keller62 und das Stok hätten den neu definierten Kriterien nicht genügt. Ihr Programm sei zu wenig vielfältig, die Theater zu wenig vernetzt in der Szene.

«Im Keller62 lebte man Diversity schon, bevor es diesen Begriff gab.»

Ernst Ostertag

Diese Einschätzung kann der in seiner Meinungsäusserung stets bedachte Ernst Ostertag ganz und gar nicht nachvollziehen. «Hier lebte man Diversity schon, bevor es diesen Begriff gab», sagt er. Er schrieb deshalb einen Brief an die verantwortlichen Stellen der Stadtzürcher Verwaltung, an Politikerinnen und Politiker und Kulturschaffende.

Er gipfelt in dem Satz: «Wenn das Schauspielhaus 28 Millionen erhält, dann ist es doch ein Leichtes, davon 50’000 Franken für den Keller62 abzuzweigen, wie bisher.» Denn diese «Sparübung» könne kein Mensch verstehen, schon gar nicht, wenn sie die Schliessung dieser Bühne bedeute.

Etwas Verborgenes

Der Keller62 ist in seiner heutigen Form Ende 1998 in Zusammenarbeit des Vereins Keller62 mit der Universität Zürich entstanden. Auf seiner Website bezeichnet er sich als Zürichs «intimstes Kleintheater». Das hat nicht zuletzt mit dem Raum selber zu tun: Mauern aus grob behauenen Steinquadern, fensterlos, karg.

Ostertag sagt: «Es hat etwas Verborgenes.» Das wiederum vermittle vor allem «abgedrängten Menschen», wie er und sein Partner es Jahrzehnte lang waren, ein Gefühl von Geborgenheit.

Engagement für den «Kreis»

Ernst Ostertag unterrichtete 40 Jahre lang lern­be­hin­der­te Kinder im Alter von 9 bis 13 Jahren in Zürich-Nord. Ihm war immer klar: «Wäre ausgekommen, dass ich homosexuell bin, hätte ich die Stelle verlieren können.» So lebten er und sein Partner Röbi Rapp ihre Beziehung bis zu jenem Tag im April 2000 heimlich.

Es war im Jahr 1956, Ostertag war 26 Jahre alt, als er seiner grossen Liebe, Robert Rapp, das erste Mal begegnete. Dies an einem Festanlass der Schwulenorganisation «Der Kreis», wo Röbi als Frauendarsteller im heutigen Neumarkt-Theater auftrat. Rapps persönliches Umfeld war weltoffen, er bewegte sich relativ locker in der Homosexuellenszene.

Bei Ostertag war das Umfeld – Beruf und Familie – anders, weniger tolerant. So engagierte er sich im Hintergrund für die dreisprachige Zeitschrift, die «Der Kreis» herausgab.

Ernst Ostertag (links) und Röbi Rapp in den ersten Jahren ihrer Beziehung. 

Ernst Ostertag hat sich unterdessen auf einen Klappstuhl im Zuschauerraum gesetzt. In Gedanken ist er immer noch im Jahr 2000. An jenem Wochenende, als Röbi und er jene, die «es» von ihnen nicht wussten, in den Keller62 einluden. Sie spielten zweimal pro Tag ein Nostalgieprogramm mit Sketches und Liedern aus den 50er-Jahren, als Zürich ein Zentrum der internationalen Schwulenbewegung war.

Ostertag erzählt lachend, dass die Lehrerkollegen mit ihren Frauen sich nach der Vorstellung im Restaurant Kunsthaus versammelten, um zu verdauen, dass er, mit dem sie sich auch nach der Pensionierung noch regelmässig trafen, homosexuell ist.

Nun sitzt Ernst Ostertag im Zuschauerraum und erinnert sich an den Auftritt seines Partners Röbi Rapp, welche die Zeit des «Kreises» wieder aufleben liessen.

Seither war der Keller62 für Ostertag und den 2018 verstorbenen Röbi Rapp ein Stück Heimat. Als im Jahr 2000 die schwul-lesbische Sportveranstaltung EuroGames in Zürich geplant wurde, suchte die «Community» einen Theaterraum für das kulturelle Rahmenprogramm. «Wir klopften im Keller62 an und Lubosch Held Hrdina hiess uns herzlich willkommen.»

Lubosch Held Hrdina ist heute noch Leiter des Theaters. Er freut sich über das Engagement von Ernst Ostertag für das Theater. Sein Brief initiierte eine Petition, die unterdessen mit weit über 6000 Unterschriften bei der Stadt eingereicht wurde. Und im Gemeinderat haben Grüne und EVP ein Postulat eingereicht, das den Stadtrat auffordert, die beiden Theater aus einem Überbrückungsfonds zu unterstützen, bis die Fördergelder wieder neu vergeben werden. Das wird 2029 der Fall sein. Der Stadtrat hat sich noch nicht dazu geäussert.

Zwei Rekurse

Der Verein Keller62 geht auch rechtlich vor. Er hat beim Bezirksrat einen Rekurs eingelegt, der noch hängig ist. Moniert werden verschiedene Punkte, unter anderem die Zusammensetzung der Jury. Lubosch Held Hrdina rechnet sich zwar gute Chancen aus, allerdings drängt die Zeit. «Wie sollen wir unser Programm planen, wenn wir nicht wissen, ob es uns in zwei oder drei Jahren noch gibt?» Auch das Stok hat Rekurs eingereicht.

Ein Raum, der «Anderes» zulässt

«Bitte nehmt uns all das nicht weg», sagt Ostertag. «Es gibt viele Menschen, die regelmässig hierherkommen, weil es ein Raum ist, der ‹Anderes› zulässt.» Damit meine er nicht nur den «Warme Mai», der Veranstaltungen von Kulturschaffenden zeigt, welche sich in der queeren Szene verorten. Dieser Anlass fand im Jahr 2000 das erste Mal statt und ist seither zur Tradition geworden.

Ernst Ostertag zählt weiteres «Anderes» auf: Studierende der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK), die hier ihre Abschlussarbeiten präsentieren. Er erzählt von einem der wenigen Abenden, an denen die 50 Plätze des kleinen Theaters nur sehr locker besetzt waren und der Künstler alle zu einer «Familiensitzung» auf die Bühne bat.

Er verweist auf Auftritte von noch nicht ganz arrivierten Künstlerinnen und Künstlern, die im Keller62 Bühnenerfahrung sammeln können. Und von Profis, die immer wieder kommen, weil das Ambiente ihnen gefällt.

Weg mit der Jacke: Ernst Ostertag fühlt sich auch als 93-Jähriger noch wohl auf der Bühne. 

Dann steht Ernst Ostertag wieder im Bühnenraum, die linke Hand nicht mehr im Hosensack, weil er sie braucht, um seine Erinnerungen zu unterstreichen. Seine Erinnerung, wie Röbi noch einmal sein beliebtestes Chanson singt: «Die Seltsame».

Dieses Lied bildet den Anfang und den Schluss des 2014 erschienenen Doku-Spielfilms «Der Kreis» des Schweizer Regisseurs Stefan Haupt. Der preisgekrönte Film orientiert sich an der Lebensgeschichte von Röbi Rapp und Ernst Ostertag. Anfangs- und Schlussszene wurden im Keller62 gedreht. 

Grosse Harmonie: Röbi Rapp und Ernst Ostertag in der Schweizer TV-Sendung G&G:

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