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Gericht verkündet Urteil
Schweizerin in Weissrussland zu zweieinhalb Jahren verurteilt

Natallia Hersche: Die schweizerisch-weissrussische Doppelbürgerin wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
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Natallia Hersche bleibt gefangen. Die schweizerisch-weissrussische Doppelbürgerin wurde heute Nachmittag vom Bezirksgericht in Minsk zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Hersche hatte an Demonstrationen in Minsk teilgenommen und war wegen «gewaltsamen Widerstands gegen Strafverfolgungsbeamte» angeklagt.

Robert Stäheli, Natallia Hersches Lebenspartner, sagte heute wenige Stunden vor der Urteilsverkündigung, er fühle sich wie ein Tiger im Käfig: «Wach, aber handlungsunfähig.» Als er um halb zwei Schweizer Zeit von der Verurteilung erfuhr, sagte er: «Ich habe es befürchtet.»

Natallia Hersche, 51 Jahre alt, war im September von ihrem Wohnort St. Gallen nach Minsk gereist, um an den Demonstrationen gegen den autokratischen Staatschef Alexander Lukaschenko teilzunehmen. Als Hersche bei der Frauendemonstration des 19. September vorne mitlief, wurde sie verhaftet. Später wurde ihr vorgeworfen, sich bei der Verhaftung gewaltsam widersetzt und einem Polizisten die Sturmhaube vom Gesicht gerissen zu haben. Hersche soll den Polizisten am Auge verletzt haben. Die weissrussische Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Von den Zehntausenden Demonstrierenden, die in Weissrussland seit August verhaftet wurden, kamen die meisten nach wenigen Tagen frei. Im Fall Hersche verhielt es sich anders. Hersche war nach ihrer Festnahme wochenlang in Ungewissheit. Die Untersuchungshaft wurde von 15 Tagen auf zwei Monate ausgeweitet, der Gerichtstermin verzögerte sich.

Für die deutsch-schweizerische Menschenrechtsorganisation Libereco ist Hersche eine politische Gefangene. Libereco-Präsident Lars Bünger sagte dieser Zeitung im November, Hersche erfülle alle Kriterien: Sie wurde festgenommen, als sie das Menschenrecht auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit wahrgenommen hatte. Sie habe nicht Gewalt angewendet. Sie sei unverhältnismässig lange in Haft. Und sie könne nicht mit einem fairen Verfahren rechnen, sei also politischer Willkür ausgesetzt.

Der erste Prozesstag fand erst vergangene Woche statt – zehn Wochen nach Hersches Verhaftung.

«Ich lebe in einem demokratischen Land, in dem die Rechte auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung respektiert werden.»

Natallia Hersche

Hersche bekannte sich laut des weissrussischen Newsportals «Sprin96» vor Gericht schuldig, an einem friedlichen Protest teilgenommen zu haben. Hersche gab zu, dass sie versucht hatte, dem Polizisten die Sturmmaske abzunehmen. Sie habe aber niemanden verletzt. Sie habe sich während ihrer Festnahme an die Todesfälle während der Demonstrationen in Weissrussland erinnert und einen Fluchtversuch unternommen, um sich zu retten. Hersche sagte: «Ich war mir sicher, dass dies der Weg zum Tod war.»

Am heutigen Gerichtstag äusserte sich Natallia Hersche erneut. Gemäss des weissrussischen TV-Senders Belsat sagte Hersche: «Ich lebe in einem demokratischen Land, in dem die Rechte auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung respektiert werden. So sehe ich meine Heimat Weissrussland in Zukunft. Ein freies Weissrussland.»

Hersche an einer Demonstration in Weissrussland.

Der Schweizer Botschafter in Minsk war während des zweitägigen Gerichtsprozesses anwesend. Er hatte Hersche davor zweimal im Gefängnis besuchen können und sich für ihre Freilassung eingesetzt. Auch aus der Schweiz kam Unterstützung: Aussenminister Ignazio Cassis führte mit seinem weissrussischen Amtskollegen ein Telefongespräch, Schweizer Politikerinnen und Politiker schrieben einen offenen Brief an die weissrussische Regierung und trafen sich mit dem weissrussischen Botschafter in Bern, die Menschenrechtsorganisation Libereco lancierte eine Petition und veranstaltete für Natallia Hersche zwei Mahnwachen.

Libereco-Präsident Lars Bünger ist schockiert über Hersches Verurteilung. «Die Haftstrafe für Natallia Hersche steht sinnbildlich für den verbrecherischen Charakter des Lukaschenko-Regimes. Von Aussenminister Cassis und Bundespräsidentin Sommaruga erwarten wir nun eine energische Reaktion gegenüber dem Lukaschenko-Regime.»

Das Schweizerische Aussendepartement (EDA) schreibt in einer Stellungnahme: «Das EDA wird nun zusammen mit der Anwältin von Frau Hersche die nächsten Schritte evaluieren. Frau Hersche wird weiterhin im Rahmen des konsularischen Schutzes betreut.» Aus Persönlichkeits- und Datenschutzgründen könnten keine weiteren Angaben gemacht werden.