Radikale GastronomenDiese Köche verwenden nur, was in ihrer unmittelbaren Umgebung wächst und lebt
Diese Schweizer Gastronomen kochen ohne Pfeffer, Kaffee oder Zitrone. Dafür gibts im Januar eingemachte Tomaten.
Jedes Restaurant, das etwas auf sich hält, behauptet von sich, regional und saisonal zu kochen. Doch viele Köchinnen und Köche drücken bei Zitronen, Pfeffer, Beeren oder Kaffee ein Auge zu. Ganz zu schweigen von Schokolade.
Radikalere Gastronominnen nehmen das regionale Credo ernst. Und haben ihre Menüs aufgeräumt: beispielsweise Manuel Zünd, der im Atelier Vert in Davos vegetarisch kocht. Kräuter und Gemüse wachsen im Garten vor dem Hotel Alpengold, in dem sich das Restaurant befindet. Ab April pirschen er und sein Stellvertreter selber durch Wald und Tal. Dort finden sie Vogelbeeren, wilde Erdbeeren, Wacholder und sogar Cranberries.
Bald erwachen die Tannen aus dem Winterschlaf, aus den Schösslingen produziert Zünd Sirup. Zeugen der Kraftakte des Küchenteams sind die Einmachgläser im Lokal. Darin leuchten rotfleischige Äpfel der Sorte Red Love, aus denen er im Winter auch Desserts macht.
Manuel Zünd ist bei seinen Ausnahmen transparent: Gerade mal sieben Zutaten stammen nicht aus dem Bündnerland: Salz (aus den Salinen in Bex im Kanton Waadt), Périgord-Trüffel, Senf, Edelhefe, Kakaobutter, Vanille und Schokolade. «Ohne Schoggi geht es nicht, das gehört für mich einfach zur Schweiz.»
Auch Pfeffer verwendet Manuel Zünd keinen. Dessen Schärfe ersetzt er durch getrocknete Chilis aus dem Hotelgarten. Von dort stammen auch die Gurken. Diese serviert er im Winter als Essiggurken – eingelegt hat er diese letzten Herbst. Der Essig? Hausgemacht. Manuel Zünds Essigmutter begleitet ihn schon seit 15 Jahren. «Getrocknet und pulverisiert funktioniert sie sogar als Zitronenersatz», sagt er.
Zitrusfrüchte lassen sich zudem mit Eisenkraut, Verjus – dem Saft von unreifen Trauben – ersetzen. «Oder mit Rotweinessig. Das geht ganz schnell. Wer zum Wein Zucker zugibt und diesen ruhen lässt, hat nach etwa einem Monat einen Essig zur Hand», sagt Zünd. Auch ohne Olivenöl kommt er aus, Hanfsamenöl und Sonnenblumenöl presst er selber. «All diesen Aufwand könnte ich nicht betreiben, wenn ich nicht ein grosses Hotel hinter mir hätte.»
Algenzucht hinter dem Tresen
Zwei aufsehenerregende Experimente stehen hinter der Bar des Lokals: In zwei Behältern werden Spirulina-Mikroalgen herangezogen, die als Vorspeise serviert werden. Und in der Ecke steht ein Rotationsverdampfer, mit dem Zünd Geschmäcker aus Gemüse oder Blumen herauszieht und damit Butter einen neuen Geschmack gibt, beispielsweise Fenchelsamen oder Kapuzinerkresse.
Noch konsequenter arbeitet das Wirtetrio im Restaurant Werkhof am Berner Stadtrand. Fische kommen hier nicht auf den Teller, weil im Futter Spuren von Mikroplastik drin sein könnten und oft Fischmehl aus überfischten Meeren zur Fütterung genutzt wird. Fabienne Lüdi, die den Werkhof mit ihren zwei Geschäftspartnern führt, hätte sogar den besten Zugang zu Fischen aus lokaler Produktion, da sie die Fischzucht ihres Grossvaters am Brienzersee übernommen hat.
Zu Beginn habe sie sich sogar überlegt, selbst Fischfutter aus Mehlwürmern und Gerstenmalz zu produzieren. Der Aufwand sei aber zu gross. Bisher hat sie keine Möglichkeit, Fischfutter aus der Schweiz zu kaufen. Zukunftsprojekte seien am Laufen: ein Futter aus Mückenlarven, das garantiert plastikfrei sein werde. «Erst wenn dieses erhältlich ist, werden wir Fische auftischen.»
Beim Fleisch arbeitet das Werkhof-Team seit Jahren mit Mischa Hofer zusammen. Er macht die Hofschlachtungen für den Werkhof, das heisst, der Metzger geht bei Höfen vorbei, wo die Tiere vor Ort geschlachtet werden. Und deshalb weniger Stress erleben, weil sie nicht in einen Transporter verfrachtet werden. Lüdi war einmal persönlich dabei. «Es war beeindruckend. Und mich dünkte die Schlachtung sehr respektvoll, das Tier frass noch neben den anderen, als es den Bolzenschuss bekam.»
Im Werkhof landen Tomaten im Winter auf dem Teller. Aber die Früchte haben so viel Geschmack, dass sie unmöglich frisch sein können. Sind sie auch nicht – denn die Werkhof-Wirte haben sich altes Wissen wieder angeeignet und machen im Sommer Gemüse ein.
So türmen sich im Lager keine Plastikbehälter, sondern Einmachgläser. Als die Lebensmittelkontrolleure im ersten Jahr vorbeikamen, rechnete das Werkhof-Trio damit, dass sie Proben abliefern müssen. «Aber die Kontrolleure waren überzeugt, dass gerade beim Eingemachten, wenn sauber gearbeitet wird, wenig bis nichts passieren kann.» Den Essig produziert das Werkhof-Trio selber, permanent sind 200 Liter Essig auf Basis von Apfel, Birnen oder Quitten angesetzt.
In einem radikal regionalen Schweizer Lokal kann kein Pfeffer auf dem Menü stehen. «Den vermisst niemand. Wir arbeiten mit dem Feuerring, der Rauch und die Röstaromen bringen die markante Note auf den Teller», sagt Lüdi. Bei all dem Aufwand lassen sich die Preise immer noch sehen: Ein 3-Gang-Menü beispielsweise kostet 81 Franken.
Von Anfang an sorgte für Diskussionsstoff, dass das Trio auch den Kaffee ersetzt – durch eine Alternative aus Lupinensamen. «Viele Gäste mögen unsere Konsequenz. Ich selber trinke privat schon auch Kaffee, aber finde Alternativen spannend.»
Ähnlich lange Transportwege wie Kaffee hat auch Schokolade. «Schoggi gibts nicht bei uns», sagt Lüdi. Beim Dessert bieten sie unbekannte Kombinationen an, zum Beispiel geht bald die Traubenkirschblüten-Saison los. Aus den Blüten machen sie ein Sorbet, das wohl jedem Gast in Erinnerung bleiben dürfte.
Fehler gefunden?Jetzt melden.