Einsam im HomeofficeSchweizer App bringt spontanen Schwatz an der Kaffeemaschine zurück
Ein St. Galler Start-up will dafür sorgen, dass Angestellte sich auch dann informell austauschen, wenn alle von zu Hause aus arbeiten.

Hatten vor Ausbruch der Corona-Epidemie viele Angestellte vergeblich darum gekämpft, öfter von zu Hause aus arbeiten zu können, ist dies inzwischen vielerorts der Normalfall. Der Arbeitsweg entfällt, Mittag- und Abendessen mit der Familie sind öfter möglich, ungestörtes Arbeiten fällt vielen zu Hause einfacher als im Grossraumbüro des Arbeitgebers.
Eine wichtige Sache bleibt dabei allerdings auf der Strecke: der kurze Schwatz mit der Kollegin, der informelle Austausch mit der Kaffeetasse in der Hand. Und damit auch ein Stück des sozialen Zusammenhalts, der beruflichen Identität. Denn Menschen sind mehr als nur Leistungserbringer. Sie sind soziale Wesen, die sich zugehörig fühlen und austauschen wollen.
Dem will das St. Galler Start-up Talent Maps nun mit einer App namens CoffeeCall entgegenwirken. Die App, die seit dem 8. März in Betrieb ist und aktuell in rund 50 Schweizer Unternehmen getestet wird, funktioniert nach simplen Prinzipien. Hat jemand das Bedürfnis nach einer Kaffeepause mit lockerem Plaudern, löst er auf dem Smartphone einen CoffeeCall aus.
Nebenprodukt von grösserem Projekt
Allen Mitgliedern der Gruppe wird dies angezeigt, ohne dass erkennbar ist, wer ihn ausgelöst hat. Nimmt jemand den Anruf entgegen, öffnet sich ein zehnminütiges Gesprächsfenster für zwei Teilnehmende. Gruppen können einzelne Teams eines Unternehmens, die ganze Belegschaft oder auch Mitglieder eines Vereins oder einer anderen Interessengemeinschaft sein.
«Bei der Lancierung der App stand der Zufall Pate», sagt Mitinitiantin Lucia Burtscher. Eigentlich arbeitete das Talent-Maps-Team seit längerem an einem wesentlich komplexeren Projekt. Das Ziel war, für Unternehmen auf einer Art Landkarte alle Talente der Angestellten abzubilden. Dort sollten für jeden Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin nicht nur Funktion und Fachwissen verzeichnet sein, sondern auch so genannte «Superkräfte», also natürliche Talente, die nicht Teil des Jobprofils sind.

So gut das Versprechen klang, internes Know-how dank der Talentkarte besser lokalisieren zu können, so schleppend kam das Projekt voran. Doch eine Teilfunktion der Software stiess bei den Präsentationen auf reges Interesse: Das Kaffeebecher-Symbol, dank dem man per Knopfdruck einen Austausch beim Kaffee initiieren konnte.
«Erst da wurde uns klar, wie sehr die Menschen ihre Kaffeepausen vermissen», sagt Burtscher. «Und so fokussierten wir unsere Anstrengungen ab Anfang Jahr darauf, eine spezielle App zu entwickeln, die diese zufällige Begegnung an der Kaffeemaschine digital simulieren und so einen virtuellen Tapetenwechsel ermöglichen kann.»
Natürlich sei die persönliche Begegnung mit allen Sinnen nicht vollständig zu ersetzen, räumt Burtscher ein, im Gegenzug biete die App-Kaffeepause zusätzliche Vorteile. So kämen dank der Zufallskomponente und der Ortsunabhängigkeit vermehrt Angestellte verschiedener Standorte und verschiedener Hierarchiestufen ins Gespräch. Und weil die App das Gespräch nach exakt zehn Minuten beende, sei auch der zeitliche Aufwand überschaubar.
«Im Gegensatz zu anderen Chat- und Zerstreuungsmöglichkeiten im Homeoffice kann man in unserer App nicht die Zeit vergessen.»
Es brauche «neue Rituale» in dieser besonderen Zeit, sagt Burtscher. Viele brächten ohne klaren Anlass nicht den Mut auf, einfach jemanden anzurufen für einen informellen Austausch. Deshalb sei es wertvoll, wenn ein Algorithmus die Plauderei organisiere und wieder beende.
Zu den Unternehmen, die CoffeeCall derzeit im Pilot testen, gehört auch die Swisscom. Einer der Verantwortlichen dort ist Christian Hofstetter, der zehn Teams , die stark auf Selbstorganisation setzen, begleitet. Er sagt, das Bedürfnis nach informellem, teamübergreifendem Austausch und nach mehr Nähe habe in diesen Zeiten der Distanz stark zugenommen.
An CoffeeCall habe ihn überzeugt, dass die Handhabung sehr einfach sei und es keine komplizierte Terminabsprache brauche. Wer mitmachen wolle, installiere die App auf seinem Smartphone. Wer zehn Minuten freie Zeit und Lust auf einen Austausch habe, könne diesen sofort auslösen. So seien Mitarbeitende, die sich zuvor während Monaten nicht mehr direkt gesprochen hätten, wieder in den Austausch gekommen. «Dadurch hat sich das Gefühl der Zusammengehörigkeit verstärkt», sagt Hofstetter in einer ersten Zwischenbilanz.
Datenschutz gewährleistet
Für Gruppen mit bis zu 20 Mitgliedern ist die Nutzung der App derzeit kostenlos, für grössere Gruppen fallen nach 10’000 Anrufen Kosten von drei Franken pro Person und Monat an. Seit Anfang März haben gut 1200 Nutzerinnen und Nutzer die App heruntergeladen – nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Österreich. Die Vertraulichkeit der Gespräche sei dank End-zu-End-Verschlüsselung gewährleistet, betont Burtscher. Die App sammle zudem keine Nutzerdaten, sondern generiere Einladungslinks, über die sich Nutzer ohne Angabe der Mobilnummer einwählen können.
Besteht da nicht die Gefahr, dass das ausgenutzt wird und die Angestellten am Ende mehr chatten als arbeiten? Nein, ist Burtscher überzeugt: «Im Gegensatz zu anderen Chat- und Zerstreuungsmöglichkeiten im Homeoffice kann man in unserer App nicht die Zeit vergessen.» Stattdessen sei sogar leistungsfähiger, wer zwischendurch bewusst abschalte und den Kopf im Gespräch durchlüfte.
* Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals Beruf-berufung.ch
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