Namensliste veröffentlichtScharfschütze und Geschäftsleute – Moskau fahndet nach diesen Schweizern
Das russische Innenministerium sucht nach zehn Schweizern. Auf der Fahndungsliste stehen ein Ukraine-Söldner, aber auch eine Person, die am Bau der Botschaft in Moskau beteiligt war.

Russland. Das war für Ernst Hilber 26 Jahre lang die zweite Heimat. Der Schweizer hatte sich in Moskau eine Existenz aufgebaut und war geschäftlich am Neubau der Schweizer Botschaft beteiligt. Heute lebt er wieder in der Schweiz und wirkt ehrlich überrascht, als er am Telefon von dieser Redaktion erfährt, dass sein Name auf der Fahndungsliste des russischen Innenministeriums steht.
Hatte er Probleme, musste er aus Russland flüchten? Nichts von dem, antwortet Ernst Hilber. Die Sache ist ihm dennoch so unangenehm, dass er hier nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden will. Dabei ist Hilber mit dem Problem nicht allein. Insgesamt zehn Schweizer stehen auf der russischen Fahndungsliste, die unlängst vom oppositionellen Medium «Mediazona» online gestellt wurde.
Dass die Russen die Suche international ausweiten können, scheint eher unwahrscheinlich. Es gibt bekannte Fälle, in denen Interpol das russische Gesuch abgelehnt hat. Solange die Betroffenen aber nicht wissen, dass ihr Name auf der russischen Fahndungsliste steht, könnte das für sie durchaus unangenehm werden. «Sie würden bei der Einreise nach Russland auf alle Fälle erst einmal inhaftiert», sagt Mediazona-Redaktor Mika Golubowski.
Aus politischen Gründen auf der Liste
An sich sind diese Daten nicht geheim. Jede Frau, jeder Mann kann eine Anfrage an das russische Innenministerium stellen und erhält dann per Mail die Auskunft, ob nach ihm oder ihr gefahndet wird. Mediazona hat es nun aber geschafft, alle Namen der Liste in einer Datenbank zu sammeln. Wie das möglich war, könne er «leider nicht verraten», sagt Mika Golubowski, «denn wir arbeiten gerade an einem Update.»
Der gegenwärtig abrufbare Stand ist von Anfang Februar 2024. Die Liste enthält über 96’000 Namen – jeweils mit Geburtsdatum, Nationalität und mutmasslichem Aufenthaltsort. Die Gründe für die Fahndung werden jedoch nicht angegeben.
Die meisten Personen stammen aus Russland oder den ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Laut Mediazona ist bei vielen aufgrund von öffentlich zugänglichen Gerichtsakten nachvollziehbar, dass sie wegen krimineller Aktivitäten gesucht werden. Rund 800 Personen seien jedoch ganz klar aus politischen Gründen auf der Liste gelandet.
Zum Beispiel die estnische Premierministerin Kaja Kallas (Lesen Sie hier das Porträt der Politikerin), eine besonders scharfe Kritikerin Putins. Auf der Fahndungsliste stehen auch 13 Abgeordnete des lettischen Parlaments sowie ein polnischer Bürgermeister. Im Baltikum sollen sowjetische Kriegerdenkmäler abgebaut werden, für den Kreml gleicht das einer kriminellen Handlung.

Auch bei mehreren Schweizern kann nachvollzogen werden, wie sie auf die russische schwarze Liste kamen. Etwa beim Baselbieter Düngemittel-Produzenten Andreas Zivy sowie einem Manager seines Unternehmens.
Hintergrund bildet ein Übernahmekampf um einen russischen Ammoniakproduzenten, bei dem Zivy gemäss eigenen Angaben mit illegalen Methoden und durch willkürliche Strafverfolgung in Russland ausgebootet und enteignet wurde. Zivys Gegenspieler, der Oligarch Dmitri Masepin, ist mittlerweile auch von der Schweiz wegen des Ukrainekriegs sanktioniert worden. Gleiches gilt für Masepins Sohn Nikita, einen ehemaligen Formel-1-Fahrer.
«Herr Zivy ist nicht überrascht, dass sein Name auf dieser Liste auftaucht», sagt ein Firmensprecher. Aber es sei fraglich, wie aktuell der Eintrag sei. Russland hatte den Basler Unternehmer bereits vor rund neun Jahren über Interpol ausgeschrieben. Doch die internationale Polizeiorganisation machte diese Ausschreibung, die sie als vorwiegend politisch motiviert beurteilte, wieder rückgängig.
Im Dienst einer fremden Armee
Ebenfalls nicht überraschend ist, dass die Russen nach Avi Motola suchen. Der 48-Jährige aus Stein am Rhein stand in der Ukraine als Scharfschütze im Einsatz, worüber er in einem SRF-Porträt Auskunft gab. Er erzählte von Fronteinsätzen im Kampf gegen die Russen. Nach Ausstrahlung des TV-Beitrags Anfang 2023 wurde allerdings bekannt, dass der Söldner wegen verschiedener Delikte in der Schweiz im Gefängnis gesessen hatte und weiterhin gesucht wird.
Auf einer russischsprachigen Website zu «fremden Kämpfern» finden sich detaillierte Angaben zu Motolas Biografie. Auf der Liste des russischen Innenministeriums hingegen sind die Angaben lückenhaft. Der Schaffhauser ist nur mit seinen beiden Vornamen Avi Doron aufgeführt. Geburtsdatum und Herkunftsort lassen allerdings keine Zweifel aufkommen, dass Russland nach Motola fahndet. Genauso wie die Schweiz, denn der Dienst in einer fremden Armee wie der ukrainischen ist hierzulande strafbar.

Weiter auf der Liste sind unter anderem ein IT-Unternehmer aus dem Aargau, der Inhaber eines Reisebüros im Kanton St. Gallen und ein Genfer Asset-Manager mit einer Investmentfirma auf Zypern. Die ersten beiden Männer waren für die Redaktion nicht auffindbar, die Firma des Genfer Managers versprach zwar eine Antwort, die aber nie kam.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) teilt mit, dass es von russischer Seite über die Fahndungsliste nicht informiert worden sei. Das EDA habe auch «keine Kenntnis von Strafverfahren oder strafrechtlich relevanten Handlungen im Zusammenhang mit dem Bau der Botschaft».

Könnte es sein, dass Russland noch mehr Personen aus der Schweiz sucht? «Wir sind sicher, dass wir mit Stand Anfang Februar 2024 alle Namen auf der Fahndungsliste des Innenministeriums haben», sagt Mika Golubowski von Mediazona. «Wenn dein Name jedoch nicht aufgeführt ist, heisst das nicht, dass kein Strafverfahren gegen dich läuft. Es könnten auch die russischen Geheimdienste Listen führen, von denen wir nichts wissen.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.