Revanche im WM-HalbfinalJetzt soll auch Kanada über die Schweiz stolpern
Der Eishockey-Nationalmannschaft winkt in Prag die Chance auf den ersten WM-Final seit 2018. Der Gegner ist allerdings ein anderes Kaliber als zuletzt Deutschland.

«Hoffentlich sehen wir sie nochmals.» Das war letzten Sonntag nach dem 2:3 gegen Kanada Patrick Fischers Wunsch gewesen. Sechs Tage nach der bislang einzigen Niederlage seiner Mannschaft geht er nun in Erfüllung: im WM-Halbfinal gegen das Mutterland des Eishockeys (ab 18.20 Uhr im Ticker). In Tschechien, dem Land, das wie kein anderes in Europa diesen Sport zelebriert. Dort, wo die Fans für einen neuen Rekord von verkauften WM-Tickets sorgen werden, weil sie unabhängig von Wochentag, Anspielzeit und Affiche in die Halle strömen. Am Samstag in Prag werden auch Fischers Spieler einen Kindheitstraum leben.
Als die Schweizer am Donnerstag in Ostrava Deutschland bezwungen hatten und der Halbfinaleinzug feststand, kannte Fischer den Gegner vom Samstag noch nicht, er freute sich dafür zunächst «auf ein Bierchen und einen gemütlichen Eishockeyabend». Das Betrachten der Finnen und ihres Viertelfinals gegen Schweden dürfte inspirierend gewirkt haben auf den Schweizer Nationaltrainer.
Ein bisschen Finnland steckt auch in der Schweiz
Die Nordländer waren als einzige grosse Nation praktisch ohne NHL-Spieler an die WM gereist. Freiwillig. Und dann zwangen sie im Derby das mit Abstand bestbesetzte Team mit grandiosem taktischen Eishockey-Schach in die Overtime – es fehlte nur wenig zur Sensation.
Diese defensive Grundeinstellung entspricht zwar nicht dem Spiel, das Fischer vorschwebt. Er will immer jenes Team coachen, das aktiv die Partie bestimmt oder es zumindest versucht. Egal, wer in seinem Aufgebot steht. Egal, wer Gegner ist. Als 2018 Olympia erstmals seit Jahren ohne NHL-Beteiligung stattfand, wähnte er die Schweiz in der Favoritenrolle und scheiterte dann früh.
Was naiv wirken kann und Fischer zuletzt bei den vielen Niederlagen in den Testspielen zur Zielscheibe der Kritik machte, ist gleichzeitig seine Stärke. Gross zu denken, zu träumen vom ultimativen Erfolg: Gemeinsam mit seinen Spielern aus der NHL überträgt er diese Euphorie auf den Rest des Teams.
Und doch hat sich Fischer gewandelt, und mit ihm die Nationalmannschaft. Im Schweizer Team steckt an diesem Turnier auch ein bisschen Finnland. Das Geheimnis hinter dem Erfolg in Tschechien ist trotz all des Spektakels von Fiala und Co. das Abwehrverhalten. Seit sechs Spielen hat die Schweiz keinen Treffer mehr bei 5-gegen-5 erhalten.
Das ist nicht bloss Glück, sie lässt auch kaum Torchancen zu, weil alle Spieler auch defensiv denken, aber gleichzeitig aktiver und kreativer agieren als die Finnen. «Wir sind ein wirklich gutes Zweiwegteam», umschreibt es Fischer in der Eishockey-Sprache.

Der Vorwurf an Fischer, ein Motivator mit taktischen Defiziten zu sein, kann in Prag nicht geltend gemacht werden. Klar hilft ihm die Klasse seiner in der NHL spielenden Athleten, doch ohne diese wäre im Konzert der Grossen jeder Schweizer Nationaltrainer verloren.
Und natürlich hat auch Fischers stiller, stets im Hintergrund bleibender Defensiv-Miraculix Tommy Albelin einen Einfluss auf die Struktur im Schweizer Spiel. Es ist aber keine Schande, sich als Cheftrainer von guten Assistenten umgeben zu lassen. Albelin, der frühere Weltklasse-Verteidiger, ist nicht nur ein grosser Analyst des Eishockeysports, mit seiner ruhigen und empathischen Art kann er sein Wissen auch gut vermitteln.
Noch nie dürfte eine Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft derart reif und ausbalanciert gewesen sein wie jene in Tschechien. Und doch musste sie gegen Deutschland einen weiteren wichtigen Schritt tätigen, um seit 2018 erstmals wieder einen WM-Halbfinal spielen zu können.
Fischer weiss auch, dass sein Team in den vergangenen Jahren trotz grossartigen Gruppenphasen (24 Siege in 28 Spielen in den letzten 4 Turnieren) eines nicht zustande brachte, und das hatte weder mit Defensive noch Offensive zu tun: «Das Schwierigste ist wie auch im realen Leben die Leistung unter Druck. Wenn alle auf dich schauen, du nervös bist und du deine Aufgaben dennoch sauber erfüllen sollst. Wenn du im Spiel schwierige Momente erlebst und die Coolness nicht verlieren darfst. All das haben wir gegen Deutschland geschafft und uns endlich belohnt.»
Mit Kanada wartet ein ganz anderer Gegner
Aber auch Fischer ist klar: Mit Kanada wartet nun ein sportlich ganz anderes Kaliber. Der Druck des Favoriten, nicht schon wieder am Erzrivalen zu scheitern, fällt bei den Schweizern zwar weg. Aber die spielerische Klasse Deutschlands, die sich vor allem in der Topformation mit den beiden jungen NHL-Spielern John Peterka und Lukas Reichel offenbarte, wird nun von gleich drei kanadischen Linien übertrumpft.
Bei den Nordamerikanern wimmelt es nur so von guten NHL-Stürmern. Und ihre 4. Linie ist jene mit den schweren Jungs, die wie schon im ersten Duell von Anfang an versuchen werden, Roman Josi wehzutun und das Schweizer Spiel im Keim zu ersticken.
Das erste Aufeinandertreffen in Prag war für die Schweiz ein Steigerungslauf. Nach einem schwierigen Beginn schaffte sie es, physisch und spielerisch dagegenzuhalten. Und sie tat bis zur Wende der Kanadier vom 1:2 zum 3:2 nach dem Ausschluss Kevin Fialas genau das, was Fischer gegen jeden Widersacher vorschwebt: dem Spiel den Stempel aufzudrücken.
Wie seine Spieler nahm Fischer nach dem Deutschland-Spiel keine Worte wie Final, Medaille oder gar Gold in den Mund. Auch dort hat sich der Nationaltrainer gewandelt – zumindest gegen aussen. Es ist kein Zufall, dass das Motto von Trainer und Team an diesem Turnier «im Moment leben» lautet. Das bedeutet aber nicht, dass die Schweizer sich kleinmachen. Sie haben auch hier den richtigen Mix aus Selbstvertrauen und Realismus gefunden.
Wenn am Samstagabend in der Arena in Prag die Schweizer also Kanada um den Finaleinzug herausfordern, geht für sie zwar bereits ein Traum in Erfüllung. Sie wissen aber auch, dass an dieser WM womöglich ein noch grösserer auf sie wartet.
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