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Flucht vor den Taliban
Schweiz holt eigenes und lokales Personal aus Afghanistan

Staatssekretärin Livia Leu (rechts), Staatssekretär Mario Gattiker und Deza-Leiterin Patricia Danzi äussern sich zur Lage in Afghanistan und zu den Massnahmen der Schweiz.
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In Afghanistan fällt Stadt um Stadt an die Taliban, und viele westliche Staaten bereiten sich nun auf die Evakuierung ihres diplomatischen Personals vor. Die USA und Grossbritannien schicken eigens Soldaten, um die Rückführung ihrer Bürgerinnen und Bürger zu sichern.

Auch die Schweiz handelt: Sie schliesst das Kooperationsbüro in Kabul. Dort arbeiteten sechs Personen aus der Schweiz. Drei von ihnen sind bereits abgereist. Die übrigen würden so rasch wie möglich abreisen, sagte EDA-Staatssekretärin Livia Leu am Freitagabend vor den Medien in Bern.

Humanitäre Visa

Die Schweiz lässt aber auch die 40 lokalen Mitarbeitenden nicht im Stich. Diese würden als Kollaborateure betrachtet und seien stark gefährdet, sagte Mario Gattiker, der Staatssekretär für Migration. Die lokalen Mitarbeitenden und ihre Familien können deshalb mit einem humanitären Visum in die Schweiz einreisen, wenn sie dies wünschen – genehmigt von Bundesrätin Karin Keller-Sutter.

Staatssekretär Gattiker rechnet mit insgesamt rund 200 Personen. Nach der Identitätsprüfung und dem Sicherheitscheck erhalten die Familien in der Schweiz Asyl. Sie werden der Resettlement-Quote angerechnet. Im Rahmen des Resettlement-Programms des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR nimmt die Schweiz pro Jahr rund 800 Flüchtlinge auf. Für gewöhnlich handelt es sich um besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, die in Nachbarstaaten von Krisenherden Zuflucht gefunden haben.

Drohende Racheakte

Auch andere Staaten gewähren den lokalen Mitarbeitenden ihrer Vertretungen Schutz. Fachleute empfehlen dies dringend: Dass das internationale Personal Afghanistan verlasse, sei verständlich und auch angemessen, sagt die Afghanistan-Spezialistin Friederike Stahlmann von der Universität Bern. Für Afghaninnen und Afghanen, die für ausländische Vertretungen und Organisationen gearbeitet hätten, sei die Gefahr aber akuter. (Hören Sie dazu auch unsere Podcast: Wird Afghanistan zum neuen Vietnam?)

Strahlmann gibt zu bedenken, dass die Taliban ein gewisses Interesse an einer Kooperation mit der Internationalen Gemeinschaft hätten, da sie Gelder benötigten und Anerkennung anstrebten. Das könnte sie davon abhalten, Ausländerinnen und Ausländer zu einem primären Ziel zu machen. Lokale Angestellte, Partner und zivilgesellschaftliche Akteure dagegen müssten Racheakte und Verfolgung befürchten, da sie als Feinde der Taliban betrachtet würden.

Hilfsprogramme anpassen

Die politischen Beziehungen zu Afghanistan pflegt die Schweiz von der Botschaft in Islamabad in Pakistan aus, im Kooperationsbüro in Kabul wurden Hilfs- und Entwicklungsprojekte betreut. Afghanistan ist ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Das Engagement beträgt rund 30 Millionen Franken im Jahr. Mit der Schliessung des Büros stellt die Schweiz aber nicht sämtliche Hilfe ein. Die humanitären Partner blieben vor Ort, sagte Patricia Danzi, die Leiterin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Man werde mit ihnen prüfen, welche Unterstützung die Schweiz leisten könne.

Die internationale Gemeinschaft steht vor der Frage, wie Hilfe zur Bevölkerung gelangen kann, ohne dass damit auch Menschenrechtsverletzungen der Taliban finanziert werden. Während des ersten Taliban-Regimes war ein mit EU-Geldern finanziertes Stadion als Hinrichtungsstätte genutzt worden.

«Wir sind sehr besorgt»

Die Schweiz verurteile Verstösse gegen das Völkerrecht und rufe alle Seiten zu einem sofortigen Stopp der Kampfhandlungen auf, sagte Staatssekretärin Livia Leu vor den Medien. Die Gewalt führe zu immer mehr Binnenvertriebenen. «Wir sind sehr besorgt.»

EDA-Staatssekretärin Livia Leu äussert sich in Bern zu der sich zuspitzenden Lage in Afghanistan – und den Konsequenzen für die Schweiz.

Ausschaffungen nach Afghanistan hat das Staatssekretariat für Migration schon länger nicht mehr durchgeführt. Mitte der Woche gab es bekannt, dass bis auf weiteres auch keine durchgeführt werden sollen. Als mögliche Ausnahme wurden Straftäter genannt. Gattiker präzisierte am Freitag, dass derzeit keine Rückführungen möglich seien, da diese stets die Kooperation der Behörden vor Ort voraussetzen. Bei straffällig gewordenen Asylsuchenden würden aber die Vorbereitungen für eine Wegweisung fortgesetzt.

Während des Syrienkriegs hatte die Schliessung der Schweizer Vertretung in Damaskus für lange und kontroverse Diskussionen gesorgt. Mitarbeitende vor Ort wollten in Krisensituationen oft ausharren, sagt ein Diplomat, der die Situation in Kabul kennt. Bei der Frage, ob eine Vertretung geschlossen werde, orientiere sich die Schweiz stets am Vorgehen von gleichgesinnten Staaten.