Debatte im ParlamentDer Nationalrat will keine 13. AHV-Rente – die Linke unterliegt klar
Nach über fünf Stunden Beratung ist der Entscheid gefallen. Die wichtigsten Aussagen zum Nachlesen.
Das Wichtigste in Kürze
Der Nationalrat hat heute die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente beraten.
Mit 123 zu 67 Stimmen empfiehlt er diese zur Ablehnung. Die Linke stimmte geschlossen für eine Ja-Parole, Die Bürgerlichen setzten sich mit der Nein-Parole durch.
Die Abstimmung über das vom Gewerkschaftsbund eingereichte Volksbegehren erfolgte früher als erwartet bereits am Mittwoch.
Zusammenfassung
13. AHV-Rente im Nationalrat chancenlos
Der Nationalrat hat am Mittwoch die Initiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente mit 123 zu 67 Stimmen abgelehnt. Auf einen Gegenvorschlag hat die grosse Kammer verzichtet.
In der fast sechsstündigen Debatte sprachen sich die Bürgerlichen geschlossen gegen die Rentenforderung der Linken aus. Die Erhöhung der Renten um umgerechnet 8,3 Prozent würde die finanzielle Situation der AHV noch weiter verschlechtern, da dies Mehrausgaben von jährlich rund 5 Milliarden Franken verursache. Die Bürgerlichen anerkannten zwar, dass die Altersarmut auch heute noch ein Problem sei. Doch wem die Renteneinnahmen zum Leben nicht reichten, der habe Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL). Diese seien zielgerichtet, sicherten die Existenz, wogegen die 13. AHV-Rente eine Sozialleistung mit der Giesskanne sei. Zudem müsse der Bundesrat bereits 2026 eine weitere AHV-Reform vorlegen, um die Renten über 2030 hinaus zu sichern. Eine gute Vorlage biete dazu die Renteninitiative der Jungfreisinnigen, sagte Regine Sauter (FDP). Diese Initiative verlangt Rentenalter 66 und danach die Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung.
SP und Grüne warfen den Bürgerlichen vor, den verfassungsmässigen Anspruch auf existenzsichernde AHV-Renten zu missachten. Es sei unwürdig, wenn Rentnerinnen und Rentner nach ihrem Arbeitsleben Ergänzungsleistungen beantragen müssten. Viele Bedürftige schämten sich, EL zu beanspruchen. «Dieses ‹Bitti-Bätti› ist schwierig», sagte Sibel Arslan (Grüne). Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard (SP) rief den Nationalrat dazu auf, das Solidaritätsversprechen der AHV zu deren 75. Geburtstag zu erneuern. 2023 wird die Sozialversicherung 75 Jahre alt.
Während sich für die Bürgerlichen das Drei-Säulen-System in der Altersvorsorge bewährt hat, ist es für SP und Grüne aus der Balance geraten. Denn die Renten der Pensionskassen seien seit Jahren im Sinkflug und das private Alterssparen in der 3. Säule könnten sich viele gar nicht leisten.
Das Geschäft geht nun an den Ständerat.
Nationalrat lehnt die Initiative für eine 13. AHV-Rente ab
Der Nationalrat empfiehlt dem Volk die Initiative für eine 13. AHV- Rente mit 123 zu 67 Stimmen zur Ablehnung. Die Linke stimmte geschlossen für eine Ja-Parole, die Bürgerlichen setzten sich mit der Nein-Parole durch. Der Nationalrat beschliesst damit die Debatte früher als erwartet. Ursprünglich sah der Rat vor, die Debatte erst am Donnerstagmorgen zu beenden. Das Geschäft geht nun an den Ständerat.
Ruth Humbel beschliesst Redemarathon
Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel (Mitte) beschliesst den Rede-Marathon der Eintretensdebatte zur Initiative für eine 13. AHV-Rente. Sie spricht nach 19 Jahren auch zum letzten Mal im Nationalrat, da sie auf Ende Februar zurücktritt. Laut Humbel kann über ein Drittel der Senioren sogar noch Geld zur Seite legen. Würde die Initiative angenommen, würde die Mehrheit der mit ihrer finanziellen Situation zufriedenen Rentnerinnen und Rentner noch zufriedener. Die Minderheit der bedürftigen Rentenbeziehenden wäre hingegen weiterhin auf Ergänzungsleistungen angewiesen, so Humbel.
Der Nationalrat macht Mittagspause
Der Nationalrat unterbricht nach 4,5 Stunden Debatte über die Intiative für eine 13. AHV-Rente die Debatte bis 15 Uhr.
Zuerst Ungerechtigkeit bei Ehepaaren beseitigen
Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy will zuerst Ungerechtigkeiten in der AHV beseitigen. Dazu zählt für die Mitte, dass Ehepaare heute höchstens die 1,5-fache maximale Einzelrente erhalten. Die Mitte sammelt Unterschriften für eine Initiative mit der Forderung, dass die Renten verheirateter Paare nicht mehr gekürzt werden dürfen.
«Das BVG ist ein Finanzierungsflop»
SP-Nationalrätin Jacqueline Badran hält das 3-Säulen-System für unausgewogen. Jährlich würden insgesamt 100 Milliarden in die AHV und die Pensionskassen einbezahlt, davon flössen zwei Drittel in die zweite Säule. Doch obwohl an die Zweite Säule 66 Milliarden gingen und an die AHV nur halb soviel, sei die durchschnittliche AHV-Rente mit 1800 Franken höher als die durchschnittliche Pensionskassenrente mit rund 1700 Franken. Für Badran ist das Fazit klar: «Das BVG ist ein Finanzierungsflop.»
«Das ist kein Alter in Würde»
Viele AHV-Rentnerinnen und Rentner vereinsamten, weil sie nicht genug Geld hätten, am sozialen Leben teilzunehmen, beklagte SP-Nationalrätin Tamara Funiciello. Wer Ausflüge machen, mit den Enkelkindern den Zoo besuchen wolle, brauche Geld. Namentlich für viele Frauen stelle sich die Frage, wie sie mit ihrer Rente überleben sollten. Denn die Medianrente der Frauen betrage bloss 3000 Franken. «Das ist kein Alter in Würde.»
«Faktisch haben wir nur ein 2-Säulen-System»
Für SP-Fraktionschef Roger Nordmann erweist sich das schweizerische 3-Säulen-System als Fiktion. Viele Haushalte könnten sich gar keine 3. Säule leisten. «Faktisch haben wir nur ein Zwei-Säulen-System.» Da jedoch die Pensionskassenrenten laufend sänken und die AHV-Renten stagnierten, litten viele Rentnerinnen und Rentner unter den steigenden Lebenskosten. Das effizienteste Mittel, die Kaufkraft zu steigern, sei die Erhöhung der AHV.
«Das ist keine Armutsbekämpfung»
GLP-Nationalrätin Judith Bellaiche verweist darauf, dass die Finanzierung dieser Initiative die Erwerbstätigen belastet. Bezahlen müssten vor allem die Jüngeren. «Das ist eine Umverteilung von Jung zu Alt. Das ist keine Armutsbekämpfung, sondern eine Ausbauvorlage.»
Warum wollen die Bürgerlichen keinen Gegenvorschlag?
Die grüne Sibel Arslan kritisiert die Weigerung der Bürgerlichen, einen Gegenvorschlag zur Initiative zu machen. Wenn die Mehrheit schon beklage, dass viele Pensionierte nicht auf eine 13. AHV-Rente angewiesen seien, hätte sie eine Lösung für die 40 Prozent Ärmeren finden können.
Den Reichen eine höhere AHV finanzieren?
GLP-Nationalrätin Melanie Mettler verweist darauf, dass nicht alle Rentnerhaushalte arm sind. Die reichsten Haushalte in der Schweiz seien Rentnerhaushalte. Die reichsten 20 Prozent dieser Haushalte hätten nach Bezahlung aller Fixkosten pro Monat durchschnittlich 9100 Franken übrig. Bei den nächsten 20 Prozent seien es immer noch durchschnittlich 5200 Franken pro Monat. «Für diese privilegierten Haushalte sollen nun die Erwerbstätigen zusätzliche Lohnprozente abgeben?», fragt Mettler.
«Ist das wirklich sozial?»
SVP-Nationalrat Thomas de Courten wirft die Frage auf, ob die Ausrichtung einer 13. AHV-Rente «wirklich sozial ist». Denn diese Rente würde auch an all jene ausgerichtet, die es nicht nötig hätten. Wenn dazu die Mehrwertsteuer um 1,1 Prozentpunkte erhöht werden müsse, sei das ebenfalls nicht sozial.
«Quer in der Landschaft»
Laut FDP-Nationalrätin Regine Sauter liegt die Forderung nach einer 13. AHV-Rente «quer in der Landschaft». Obwohl das Volk im September der AHV-Reform zugestimmt habe, sei schon 2026 eine weitere Reform nötig. Denn bereits nach 2030 schreibe die AHV wieder rote Zahlen. Zur Finanzierung der 13. AHV-Rente müsste die Mehrwertsteuer um 1,1 Prozentpunkte erhöht werden.
«Die AHV muss existenzsichernd sein»
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer verweist auf den verfassungsmässigen Auftrag der AHV, die Existenz zu sichern. «Davon sind wir heute weit entfernt», sagte Meyer. Die maximale AHV-Rente für Alleinstehende betrage heute 2390 Franken, für Ehepaare 3585 Franken.
«Die AHV wird verteufelt»
Katharina Prelicz-Huber (Grüne) wirft den Bürgerlichen vor, die AHV schlecht zu reden. «Seit deren Gründungsväter aus dem Parlament zurückgetreten sind, wird die AHV verteufelt.» Der Grund liege im sozialen Finanzierungssystem. Auch auf Millionengehälter würden AHV-Beiträge erhoben. Dies führe dazu, dass 92 Prozent der Versicherten am Schluss mehr von der AHV zurückerhielten, als sie einbezahlt hätten.
13. AHV-Rente zum 75. Geburtstag der AHV
Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard (SP) ruft den Nationalrat dazu auf, das Solidaritätsversprechen der AHV zu erneuern. 2023 wird die Sozialversicherung 75 Jahre alt. Bei der Gründung der AHV sei das Ziel gewesen, die Altersarmut zu bekämpfen. Heute wüssten Tausende Rentnerinnen und Rentner nicht, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollten, wie sie ihren Kühlschrank füllen könnten. Denn die Inflation, die sinkenden Pensionskassenrenten und steigenden Krankenkassenprämien belasteten das Budget schwer.
«Dieses ‹Bitti-Bätti› ist schwierig»
Mehrere Fragstellerinnen weisen Silberschmidt auf die Altersarmut hin. Laut Franziska Roth (SP) leben 300'000 Menschen in Altersarmut. Sibel Arslan (Grüne) weist darauf hin, dass sich viele Bedürftige schämen, EL zu beanspruchen. «Dieses ‹Bitti-Bätti› ist schwierig.» Silberschmidt wendet sich gegen die Stigmatisierung der EL. Diese seien ein geniales System, das allen Rentnerinnen und Rentnern die Existenz sichere.
«An Weihnachten macht man sich gerne Geschenke»
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt verweist auf die Ergänzungsleistungen (EL). Wer im Alter zuwenig Geld zum Leben habe, der bekomme EL. Nur 12,5 Prozent der Rentnerinnen und Rentner beanspruchten heute EL. Die Initiative wolle hingegen allen eine 13. AHV-Rente auszahlen und funktioniere nach dem Giesskannenprinzip. Die Initiative verursache Kosten, die dem 16-fachen des Gotthardbasistunnels entsprächen. Das Defizit der AHV würde sich im Jahr 2032 auf 7 Milliarden Franken erhöhen und im Jahr 2050 auf 14 bis 18 Milliarden. «Es ist bald Weihnachten, und da macht man einander gern Geschenke, aber im Privaten weiss man: Jedes Geschenk muss auch refinanziert werden.»
Die Debatte im Nationalrat beginnt
Nun beginnt die Debatte im Nationalrat. Die Kommissionssprecherin, SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz und danach Kommissionssprecher Andri Silberschmidt (FDP), erläutern das Geschäft und den Entscheid der vorberatenden Sozialkommission.
Worum es geht
Der Nationalrat berät heute die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente. Das Volksbegehren wurde 2021 vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) eingereicht und verlangt, dass Rentnerinnen und -Rentner eine 13. Rente in der Höhe ihrer ordentlichen AHV-Rente erhalten. Das entspricht auf eine monatliche Auszahlung gerechnet einer Rentenerhöhung um 8,33 Prozent. Die Linke und die Gewerkschaften sehen die Initiative als Antwort auf sinkende Pensionskassenrenten und die ungenügende Absicherung der Frauen in der Zweiten Säule.
Die Bürgerlichen bekämpfen die Initiative, weil sie der AHV Zusatzkosten von jährlich 5 Milliarden Franken verursacht. Eine solche Mehrbelastung sei mit Blick auf die demografische Entwicklung und die steigenden Rentenkosten nicht tragbar, warnen der Bundesrat und die bürgerliche Mehrheit. Auch einen Gegenvorschlag lehnen der Bundesrat und die Bürgerlichen ab. Diese erwarten vom Bundesrat vielmehr eine weitere AHV-Reform, um die Rentenfinanzierung über 2030 hinaus zu sichern.
Die Debatte dauert am Mittwoch bis am Mittag und wird am Donnerstagmorgen fortgesetzt.
Einen Vorgeschmack auf die Debatte gibt es in diesen beiden Streitgesprächen:
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