Corona im KlassenzimmerSchulen offen halten – dank CO₂-Messung?
Weil das Ansteckungsrisiko in Innenräumen besonders hoch ist, empfiehlt die Taskforce den Einsatz von CO2-Sensoren in Klassenzimmern. Doch die haben ihre Tücken.
Wie lüftet man optimal, um Coronaviren aus einem Raum zu verbannen? Die in Klassenzimmern häufig angewandte Regel, alle 20 Minuten für 5 Minuten und in den Pausen die Fenster aufzureissen, ist sicher nicht falsch, aber auch nur eine grobe Pi-mal-Daumen-Regel.
Für optimiertes Lüften hat die Science-Taskforce des Bundes nun eine Empfehlung für den Einsatz von Kohlendioxidmessgeräten herausgegeben, insbesondere für Klassenzimmer. «CO2-Sensoren stellen ein einfaches, kostengünstiges und bisher viel zu wenig genutztes zusätzliches Mittel zur Reduzierung der Übertragung von Sars-CoV-2 dar», heisst es in der Empfehlung. Ihr Einsatz könnte dabei helfen, Schulen auch im Fall einer sich verschlechternden epidemiologischen Situation offen zu halten. «Es wäre wünschenswert, jedes Klassenzimmer und die Gemeinschaftsräume in Schulen (Pausenraum, Bibliothek etc.) mit einem CO2-Sensor auszustatten.» Der Preis für ein Gerät mit ausreichender Qualität liege zwischen 100 und 200 Franken.
Die Überlegung hinter dieser Empfehlung ist simpel: Beim Atmen, Reden und Singen erzeugt jeder Mensch einen «Atemnebel», bestehend aus feinsten Schwebepartikeln, den Aerosolen. Via Aerosole breiten sich Viren ähnlich aus wie das zugleich ausgeatmete Kohlendioxid. Wird ein erhöhter CO2-Wert gemessen, weil viele Menschen in einem Raum ein- und ausatmen, dann ist es bei Anwesenheit einer infizierten Person wahrscheinlich, dass auch viele Viren durch die Luft schwirren. Daher gilt die CO2-Konzentration als guter Richtwert für die Luftqualität.
Teil der Luft war zuvor in der Lunge einer anderen Person
Im Fall einer Pandemie sollte gemäss Science-Taskforce eine CO2-Konzentration von 800 bis 1000 CO2-Molekülen pro Million Luftmoleküle (parts per million, kurz ppm) nicht überschritten werden. «Eine CO2-Konzentration von 1000 ppm bedeutet, dass 1,5 Prozent der von den Raumnutzenden eingeatmeten Luft zuvor in der Lunge einer anderen Person gewesen ist», schreibt die Science-Taskforce. «Bei einer Konzentration von 2000 ppm erhöht sich dieser Wert auf 4 Prozent.»
Urs Baltensperger, Leiter des Labors für Atmosphärenchemie am Paul-Scherrer-Institut in Villigen AG, würde den Einsatz von CO2-Messgeräten an Schulen und in anderen Innenräumen sehr begrüssen. «Allerdings muss man betonen, dass bei keiner CO2-Konzentration ein Nullrisiko besteht – es sei denn, diese liegt sehr nahe bei der CO2-Konzentration der Aussenluft von circa 410 ppm.» Eine erhöhte CO2-Konzentration sei aber eine Art Warnsignal: Sie sei ein Indikator für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, die notwendige Dosis an Sars-CoV-2-Viren einzuatmen, um an Covid-19 zu erkranken – falls sich eine infizierte Person im gleichen Raum befindet.
Generell ist der Zusammenhang zwischen Viruskonzentration und CO2-Gehalt der Raumluft laut Baltensperger aus verschiedensten Gründen jedoch nicht trivial. «Zum Beispiel hängt die Viruskonzentration bei Anwesenheit einer infizierten Person davon ab, ob die Aerosol-Emission etwa durch körperliche Aktivität oder lautes Reden erhöht ist.» Umgekehrt würde zum Beispiel ein Raumluftfilter die Virenkonzentration reduzieren, nicht aber die CO2-Werte. Das bedeutet: Bei ein und derselben CO2-Konzentration in einem Raum kann das Risiko einer Infektion sehr unterschiedlich sein.
Weitere Schwierigkeiten mit CO₂-Messgeräten
Michael Riediker, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Arbeits- und Umweltgesundheit (SCOEH), sieht in den CO2-Messgeräten ebenfalls Vor- und Nachteile. «CO2-Sensoren sind eine sehr einfache Lösung, um die Luftqualität in einem Raum zu bestimmen.» Als Marker für das Infektionsrisiko hätten die Sensoren aber ihre Tücken.
Ist zum Beispiel ein laut redender Superspreader mit wenigen anderen Personen in einem Raum, kann die Viruskonzentration rasch ansteigen, während sich die CO2-Konzentration nur langsam erhöht. «Ein hoher CO2-Wert ist meistens ein Zeichen für ein erhöhtes Infektionsrisiko», sagt Riediker, «doch ein tiefer CO2-Wert sagt nicht, dass das Risiko tief ist.» Daher sollte auch bei tiefen CO2-Werten gelüftet werden. Das gilt nicht nur für Klassenzimmer. Auch in einem Grossraumbüro kann das Ansteckungsrisiko erhöht sein, selbst wenn die Klimaanlage die CO2-Konzentration unter 800 ppm hält. Riediker nennt als Beispiel die Infektion vieler Beschäftigter in einem Callcenter in Südkorea im März 2020.
In einer Richtlinie zur Lüftung von Klassenräumen haben zehn europäische Wissenschaftler des Indoor Air Pollution Network (Indairpollnet), darunter Riediker, verschiedene Lüftungskonzepte für Klassenzimmer präsentiert und diskutiert. Zu den Konzepten gehört die «natürliche» Lüftung über Fenster und Türen sowie der Einsatz von Lüftungsanlagen oder Luftfiltern. Vor allem aber werden Methoden präsentiert, wie sich mithilfe von CO2-Messgeräten die Qualität dieser Lüftungsmethoden in einem Raum testen lässt. Um zum Beispiel den Luftaustausch pro Stunde zu quantifizieren, wird mit einem CO2-Sensor die Zunahme- und Abnahmegeschwindigkeit der CO2-Werte vor und während des Lüftens erfasst und mit einer Formel ausgewertet.
Neben den bereits erwähnten Limiten der CO2-Sensoren sind in der Indairpollnet-Richtlinie noch weitere Kriterien aufgelistet. So ist zu beachten, dass die Luft im Zentrum von Klassenzimmern oder anderen Räumen besser durchmischt sein kann als in den Randbereichen. Daher sollten CO2-Messungen in verschiedenen Bereichen eines Raums durchgeführt werden, um jene Bereiche zu identifizieren, die eine besonders gute Durchlüftung benötigen. Eine Abweichung zwischen CO2-Werten und Viruskonzentration ergibt sich auch dadurch, dass ein Virus im Gegensatz zum CO2 im Lauf der Zeit zerfällt. Daher sinkt die Konzentration lebender Viren in der Luft schneller als die CO2-Konzentration.
Lüftungskonzepte an die Infrastruktur anpassen
«Bezüglich Luftqualität in den Schulzimmern hält sich der Kanton Zürich an die Empfehlungen des BAG», sagt Myriam Ziegler, Chefin des Volksschulamts im Kanton Zürich. «Lüften ist immer noch die beste Art, Raumluft zu reinigen.» Bestünden Zweifel, ob ein Schulzimmer ausreichend gelüftet werden kann, könnten CO2-Messgeräte zum Beispiel bei Lunge Zürich ausgeliehen oder gekauft werden. «Damit kann überprüft werden, ob der Einsatz eines Lüftungsgeräts allenfalls sinnvoll ist.»
Es gebe aber nicht nur eine Lösung. «Es gibt im Kanton Zürich sowohl Schulhäuser, die weit über 100 Jahre alt sind, sowie modernste Bauten nach Minergiestandard und mit leistungsfähigen Lüftungssystemen», sagt Ziegler. «Es ist wichtig, dass je nach Infrastruktur vor Ort die angepasste Lösung gesucht wird. CO2-Messgeräte können bei der Lösungssuche hilfreich sein. Das Volksschulamt hat die Schulpflegen und Schulleitungen bereits mehrfach darauf hingewiesen, sich der Fragestellung anzunehmen.»
Eine weitere Komplikation beim Lüften ergibt sich durch die nun steigenden Temperaturen. Denn bei geringerer Temperaturdifferenz zwischen innen und aussen wird die Fensterlüftung weniger effizient. «Daher macht es Sinn», sagt Riediker, «die Wirksamkeit der Lüftungsmassnahmen bei wechselnden Wetterbedingungen erneut mit CO2-Sensoren zu testen. Wenn die Lüftung nicht genügt, sollte man andere Methoden prüfen, etwa mit zusätzlicher Ventilation oder Luftreinigung.»
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