Kolumne «Miniatur des Alltags»Schuehmächerli, Schuehmächerli
Gibt es etwas Traurigeres, als wenn heiss geliebte Schuhe durchgelaufen sind? Doch zum Glück gibt es da doch diesen Beruf...
Wenn die Nacht den Tag zu überholen beginnt, der Wind morgens um die Ohren pfeift und es geheimnisvoll raschelt unter den Füssen, kann das nur eines bedeuten: Der halbjährliche Gang auf den Dachboden steht an. Dort werden Shorts gegen Strumpfhose, Jeansjacke gegen Mantel und Flipflops gegen Stiefel getauscht.
Besonders auf meine Doc Martens, rotledrig, freute ich mich diesen Herbst. Ich zerrte sie also eifrig aus dem verstaubten Karton und zog sie sogleich an. Doch was war das? Der Reissverschluss auf der Seite klemmte. Ich riss und riss am Schlitten, bis er nachgab – und durch den Dachboden flog.
Frustriert kramte ich den Laptop hervor und hoffte, dass meine geliebten Schuhe noch irgendwo im Angebot waren. Waren sie nicht. Betrübt schaute ich den Bildschirm an. Doch dann kam mir eine Idee. Gab es nicht genau für solche Fälle einen Schuhmacher?
Natürlich wusste ich von der Existenz des Berufes. Und doch schien es mir, ich hätte noch nie einen aktiv wahrgenommen, geschweige denn in Anbetracht gezogen. Auf alle Fälle lieferte mir das Gerät, welches mir zuvor keine neuen Schuhe liefern wollte, in Windeseile diverse Schuhmacheradressen.
So stand ich wenig später schon in einem vollgestopften Atelier, der Duft von Wachs und Leder in der Luft. Vor mir stand das Klischee eines Schuhmachers schlechthin: kleine Statur, ein runzliges Lächeln und einen italienischen Akzent.
Die Hände wischte er an seiner Lederschürze ab und meine Schuhe nahm er ohne weiteres entgegen. Ich solle bereits in ein paar Tagen wiederkommen, sagte er. «Ich habe viel Zeit.» Traurig eigentlich, dachte ich. Doch stärker noch als meine Nachdenklichkeit war die Vorfreude – auf meine alten neuen Schuhe.
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