Analyse zu neuer CO₂-VorlageSchmerzloser Klimaschutz – doch das Absturzrisiko bleibt
Simonetta Sommaruga zieht die Lehren aus der verlorenen CO₂-Abstimmung und setzt vermehrt auf Anreize statt Bestrafung.
Es wäre nicht ohne Ironie, sollte just eine SP-Magistratin als gescheiterte Klimaschützerin in die Geschichtsbücher eingehen. Eine böse Niederlage steckt Simonetta Sommaruga bereits in den Knochen: das Volks-Nein zum CO2-Gesetz am 13. Juni.
Nun also wagt die Bundesrätin einen neuen Anlauf. Ob fliegen, Auto fahren oder heizen: Neue Abgaben kommen für sie nicht mehr infrage. Bestehende sollen nur so weit erhöht werden, wie es das geltende CO2-Gesetz zulässt. Das ist die zentrale Lehre, die Sommaruga aus dem Abstimmungsdebakel gezogen hat. Sie will die Menschen beim Klimaschutz stärker unterstützen, statt ihnen das Leben zu erschweren.
Faktisch bleibt nichts anderes als dieser Weg übrig, eine Neuauflage des CO2-Gesetzes mit den alten Rezepten wäre ein Affront gegenüber den Siegern vom 13. Juni – und damit ein denkbar schlechter Auftakt. Nur, auch so hat Sommaruga keine Garantie, dass sie diesmal ins Ziel kommt. Verschärft das Parlament die Vorlage, wird ein Referendum von rechts wahrscheinlich, gerät sie zahnlos, droht ein Fiasko wie 2018. Damals versenkte eine unheilige Allianz im Nationalrat den zuvor verwässerten Entwurf: die Linke, weil er ihr zu wenig weit ging, die SVP aus dem gegenteiligen Grund.
Sommaruga muss es gelingen, aller politischen Ausbalancierung zum Trotz eine möglichst ambitionierte Vorlage durchzubringen.
Erschwerend hinzu kommt eine kaum antizipierbare Dynamik: Wird der Freisinn seine lindengrüne Klimapolitik unter dem designierten Präsidenten Thierry Burkart beibehalten? Wird das Stimmvolk die grünen Kräfte nach deren Sieg vor zwei Jahren bei den Wahlen 2023 zurückbinden? Welche politische Grosswetterlage wird vorherrschen, wenn das Parlament und allenfalls das Volk über das neue CO2-Gesetz befinden werden?
Viele Fragezeichen also. Und viele Risiken. Die Schweiz muss ihre CO2-Emissionen bis 2030 halbieren. Von diesem Ziel ist sie noch weit entfernt. Sommaruga muss es also gelingen, aller politischen Ausbalancierung zum Trotz eine möglichst ambitionierte Vorlage durchzubringen. Unmöglich ist das nicht, die Gefahr eines Scheiterns aber ist beträchtlich.
Einen weiteren Scherbenhaufen kann sich die Schweiz nicht leisten. Das weiss auch Sommaruga. Indes: Die Bernerin ist seit 2010 im Amt, ein Rücktritt in zwei Jahren wäre keine Überraschung. Das neue Klimagesetz könnte erst nach den Wahlen 2023 durch alle Instanzen gegangen sein. Es ist also durchaus denkbar, dass nicht Sommaruga dafür geradestehen muss, was sie heute auf den Weg gebracht hat, sondern ihre Nachfolge.
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