Durchbruch in der GentechnikForscher erschaffen Wolfsmischlinge – keine echten Schattenwölfe
Die Firma Colossal Biosciences verkündet, dass sie eine ausgestorbene Wolfsgattung wieder auferstehen liess. Was sagen Experten? Und ist das ethisch vertretbar? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

- Forschende veränderten zwanzig Gene eines Grauwolfs mittels Crispr/Cas-Methode. Entstanden sind genetisch modifizierte Grauwölfe mit weissem Fell. Sie ähneln ausgestorbenen Schattenwölfen.
- Drei gentechnisch erschaffene Wolfswelpen leben unter ständiger Beobachtung.
- Fachleute äussern grundsätzliche Bedenken, ob man ausgestorbene Tiere wieder beleben soll.
Die Start-up-Firma Colossal Biosciences hat am Montag nach eigenen Worten einen «wissenschaftlichen Durchbruch» erzielt. Erstmals sei es gelungen, die Nachkommen eines seit 13’000 Jahren ausgestorbenen Tieres zu züchten. Dass es sich dabei um Schattenwölfe handelt, die aus der Serie «Game of Thrones» bekannt sind, gibt dem Projekt noch mehr Aufmerksamkeit – und dann natürlich die Bilder von niedlichen weissen Welpen. Was genau hat die Firma gemacht und wozu dienen diese «wieder auferstandenen Tiere»? Antworten auf einige Fragen.
Was ist ein Schattenwolf?
Der Wolf mit dem wissenschaftlichen Namen Canis dirus – was wörtlich Schrecklicher Hund bedeutet – ist vor etwa 13’000 Jahren ausgestorben. Er war in der Eiszeit im Pleistozän vermutlich der am weitesten verbreitete Räuber von grossen Tieren. Die ältesten Fossilien vom Schattenwolf sind 250’000 Jahre alt. Die Wölfe durchstreiften weite Teile Amerikas und jagten Beutetiere der Megafauna wie Urzeit-Pferde oder Bisons. Der Schattenwolf muss beeindruckend gewesen sein: Er war etwa 70 Kilo schwer und um ein Viertel grösser als der heutige Grauwolf. Andere heute lebende Wolfsarten erreichen nur in Ausnahmen solche Ausmasse.

Wie viele Schattenwölfe gibt es jetzt?
Colossal Biosciences hat Filme und Bilder von drei gesunden weissen Wölfen präsentiert. Die Jungtiere leben an einem geheim gehaltenen Ort, wo zehn Tierpfleger sie rund um die Uhr versorgen und Kameras und Drohnen sie permanent überwachen. Die beiden sechs Monate alten männlichen Jungtiere heissen Romulus und Remus und der zwei Monate alte weibliche Welpe Khaleesi.
Ist der Schattenwolf nun auferstanden?
Nein, um tatsächlich ein ausgestorbenes Tier wieder zum Leben zu erwecken, müsste man das Tier klonen, sagt Nic Rawlence von der neuseeländischen Universität Otago gegenüber dem neuseeländischen Science Media Center (SMC). Klone haben das identische Erbmaterial. Diese Wölfe seien jedoch keine Klone, betont der Paläogenetiker, der nicht an dem Projekt beteiligt ist. Zum Klonen werde vollständige gut erhaltene DNA benötigt, sagt Rawlence. Das ist bei vor Jahrtausenden ausgestorbenen Tieren nicht mehr möglich.
Wie hat die Firma stattdessen die Schattenwölfe gezüchtet?
Die Firma hat zunächst die DNA eines 13’000 Jahre alten Zahns und eines 72’000 Jahre alten Gehörknochens analysiert und mit dem Erbgut von heutigen Wölfen sowie verwandten Arten wie Schakal, Fuchs und Rothund verglichen. So hat das Team mehrere Genvarianten gefunden, die charakteristisch für den Schattenwolf sind. Demnach hatten die Schattenwölfe weisses, dichtes, langhaariges Fell, was aufgrund der Fossilienfunde nicht bekannt war. Das beschreibt die Firma in der Pressemitteilung. Eine wissenschaftliche Studie, die von unabhängigen Forschenden begutachtet wurde, gibt es noch nicht. Mit dem Wissen veränderten die Firmenforscher dann das Erbgut des nächsten noch lebenden Verwandten, eines Grauwolfs, an 20 Stellen in 14 Genen. Dazu verwendeten sie die sogenannte Crispr/Cas-Methode, mit der sie gezielt die DNA in den Zellen des Grauwolfs verändert haben. Die Forscher fokussierten sich auf die Unterschiede, die den Schattenwolf einzigartig machen: die Grösse, die ausgeprägte Muskulatur und das besondere Fell. Als Leihmütter dienten Hunde.
Wenn die Tiere keine Schattenwölfe sind, was dann?
«Eigentlich hat Colossal Biosciences einen Grauwolf mit Schattenwolf-ähnlichen Eigenschaften produziert», sagt Nic Rawlence. Das sei kein wiederauferstandener Schattenwolf, sondern eher ein Hybrid, ein Mischwesen. Oder wie Philip Seddon, sein Kollege von der Universität Otago, sagt: «Auch wenn dafür zweifellos einige erstaunliche technologische Durchbrüche nötig waren, sind die süssen Welpen Romulus, Remus und Khaleesi keine Schattenwölfe – sondern genetisch veränderte Grauwölfe», also GVO-Wölfe.
Was ist von Colossal Biosciences zu halten?
Die Firma hat wissenschaftlich ein grosses Know-how – und grosszügige Geldgeber. Einer der Mitbegründer von Colossal Biosciences ist der renommierte Molekularbiologe George Church von der Harvard Medical School. Church ist unter anderem bekannt geworden, weil er die Sequenzierung der DNA vorangetrieben und das Personal Genom Projekt ins Leben gerufen hat – auch sein Erbgut ist komplett sequenziert. Mit den weissen Wölfen ist es der Firma erstmals gelungen, gesunde Tiere zu züchten mit derart vielen genetischen Veränderungen. Zuvor hatte die Firma Aufmerksamkeit erregt, als sie Mäuse präsentierte, die das zottige Fell von Mammuts haben. Dazu waren sieben genetische Veränderungen im Erbgut nötig, bei den Wölfen zwanzig.
Was ist das Ziel von Colossal Biosciences?
Der Plan ist, ausgestorbene Tiere wieder zu beleben. Weit oben auf der Liste steht das Mammut, das die Firma in fünf Jahren zurück auf die Welt bringen will. An dem Projekt, ein Mammut wieder auferstehen zu lassen, arbeitet Georg Church indes seit mehr als 25 Jahren. Inzwischen gibt es jedoch neue Techniken wie die Crispr/Cas-Methode, mit der – wie bei den Wölfen – künftig auch das Erbgut eines indischen Elefanten gezielt an einigen Stellen verändert werden soll. Dadurch soll der Schädel des Elefanten wie beim Mammut mehr gewölbt, das Fell wollig und die Stosszähne länger werden.
Gibt es ethische Bedenken?
Ja, die Kritik ist gross. «Die Technologie hat auch ihre Grenzen», sagt etwa Michael Knapp von der Universität von Otago gegenüber dem Science Media Center. «Gene, die eingeführt werden, damit einer Art mehr Fell wächst, könnten auch unerwünschte Funktionen haben.» Ausserdem seien oft nicht nur die Arten, sondern auch die Ökosysteme, in denen sie früher gelebt haben, ausgestorben. Dies gelte beispielsweise für Mammuts, die in einer Steppe mit prähistorischem Bewuchs lebten, die heute nirgendwo mehr existiert. Im Fall der weissen Wölfe stellt sich die Frage, ob sie artgerecht aufwachsen können als die drei einzigen ihrer Art. Generelle Kritik ist, ob es sinnvoll ist, Tiere wieder zu beleben. Schliesslich sind sie in der Vergangenheit aus einem bestimmten Grund ausgestorben, den man heute nicht kennt: Haben zum Beispiel Krankheiten von anderen Wölfen den Schattenwölfen den Garaus gemacht? Und eine weitere zentrale Frage ist, ob man das Geld für die teuren Techniken nicht lieber für den Naturschutz und damit für das Überleben heutiger gefährdeter Arten verwenden sollte. «Ungeachtet aller berechtigten ethischen Bedenken ist es jedoch unbestreitbar, dass die Geburt dieser Wölfe ein grosser Durchbruch in der Genetik ist», fügt Knapp an. Ob dies ein Weg ist, der weiterverfolgt werden sollte, sei eine sehr komplexe Frage.
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