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Streit um Wahlrecht in USA
«Schämt ihr euch nicht?»

«Die USA sind mit dem grössten Test ihrer Demokratie seit dem Bürgerkrieg konfrontiert»: Joe Biden bei seiner Rede in Philadelphia über den Streit um das Wahlrecht.
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Verzweiflung klingt mit in der Stimme von US-Präsident Joe Biden, als er seine «republikanischen Freunde» auffordert, sich zu wehren gegen die immer grössere Zahl von Gesetzen, die das Recht zu wählen limitieren. «Stand up, for god’s sake»: «Steht auf um Gottes willen», ruft er ihnen von Philadelphia aus zu, dem Geburtsort der US-Verfassung. Und an jene Republikaner gerichtet, die diesen «Angriff auf die Demokratie» führen, sagt Biden: «Schämt ihr euch nicht?»

Was in den USA gerade passiert, ist bemerkenswert. In der Präsidentschaftswahl 2020 war es für die Bürgerinnen und Bürger so leicht wie wohl nie zuvor, ihre Stimme abzugeben. Das Ergebnis: 155 Millionen abgegebene Stimmen. Eine Rekordwahlbeteiligung, mitten in der Pandemie. Möglich machte diesen Erfolg vor allem der umfassende Zugang zur Briefwahl. Allerdings verloren die Republikaner die Wahl. Seitdem verbreitet der unterlegene Ex-Präsident Donald Trump die «big lie», die «grosse Lüge», wie es Kritiker nennen, dass ihm die Wahl gestohlen worden sei.

In 17 Bundesstaaten sind bereits 28 restriktive Wahlgesetze verabschiedet worden.

Landauf, landab nehmen die Republikaner die unbewiesenen Behauptungen Trumps über angeblichen Wahlbetrug zum Anlass, künftige Wahlen mit einer Welle neuer Gesetze angeblich «sicherer» und zugleich «einfacher» zu machen. Tatsächlich zielen die Gesetze darauf ab, die Wahl für jene Bevölkerungsgruppen schwerer zu machen, die traditionell eher demokratisch wählen.

Seit letztem Januar sind nach Daten des Brennan Center for Justice in 17 Bundesstaaten bereits 28 restriktive Wahlgesetze verabschiedet worden. 400 weitere solcher Gesetze liegen als Vorlagen zur Abstimmung bereit. Es geht in den Gesetzen vor allem darum, die Briefwahl wieder einzuschränken. Die Wahl 2020 hat gezeigt, dass vor allem Demokraten per Post abstimmten, während die meisten Republikaner es geradezu als ihre patriotische Pflicht ansahen, den Wahlzettel persönlich im Wahllokal in die Urne zu stecken. Die Rechnung ist schlicht: weniger Briefwähler gleich bessere Chancen für die Republikaner.

«Wir müssen handeln, und wir werden handeln»

Dieses Vorgehen «bedroht die Fundamente unserer Nation», sagt Biden bei seinem Auftritt in dieser Woche im National Constitution Center von Philadelphia. Er sage das nicht, um zu alarmieren. Er sage das, weil die Leute «alarmiert sein sollten». Die USA seien mit dem «grössten Test» ihrer Demokratie seit dem Bürgerkrieg konfrontiert. Dann verspricht er: «Wir müssen handeln, und wir werden handeln.»

In der Rede fehlt allerdings jeder Hinweis, wie Biden gedenkt, die Entwicklung aufhalten zu wollen. Die Trump-Republikaner werden sich von seinen Worten kaum beeindrucken lassen. Biden mag noch von überparteilicher Zusammenarbeit träumen, wie er sie einst als Senator erlebte. Aber diese Zeiten sind vorbei. Einer zunehmenden Zahl von Demokraten fehlt inzwischen die Fantasie, wie mit Kolleginnen und Kollegen im Kongress die Demokratie geschützt werden soll, die sich von Trump ihre politische Agenda diktieren lassen.

Ein neues Bundeswahlgesetz liegt seit 2019 im Kongress vor, scheitert aber regelmässig am Veto der Republikaner.

Ihr Mittel der Wahl wäre, die Filibuster-Regel im Senat aufzuheben, nach der die allermeisten Gesetze im Senat de facto nur mit mindestens 60 zu 40 Stimmen verabschiedet werden können. Die Demokraten brauchen regelmässig die Unterstützung von mindestens zehn Republikanern, um Gesetze beschliessen zu können. Diese Regel könnten die Demokraten mit ihrer knappen Mehrheit aus 50 plus einer Stimme kippen, um danach im Alleingang ihr Bundeswahlgesetz zu beschliessen, das Mindestanforderungen an eine gleiche und faire Wahl formuliert. Dieses Gesetz liegt dem Kongress seit 2019 vor, scheitert aber regelmässig am Veto der Republikaner. (Lesen Sie dazu den Artikel «Republikaner blockieren Debatte über Wahlrechtsreform».)

Zwei demokratische Senatoren sperren sich

Allerdings sperren sich zwei demokratische Senatoren dagegen, die Filibuster-Regeln abzuschaffen: Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona. Sie kommen aus eher konservativen Bundesstaaten und befürchten, ihre Senatssitze zu verlieren, wenn sie mithelfen, den Republikanern ihr wichtigstes Mitbestimmungsrecht wegzunehmen. Auch Präsident Biden scheint nicht überzeugt zu sein, dass das der richtige Weg ist. Bisher jedenfalls hat er sich in der Frage nicht eindeutig positioniert. Und er macht das auch in Philadelphia nicht.

Solange das so bleibt, sind die Gegner restriktiver Wahlgesetze in den Bundesstaaten auf sich allein gestellt. Am letzten Dienstag verliessen in einer heimlichen Aktion 50 demokratische Mitglieder des Senats von Texas den Bundesstaat und machten auf diese Weise ihre republikanischen Kolleginnen und Kollegen beschlussunfähig. Es ist bereits die zweite Aktion dieser Art, mit der sie eine Abstimmung über eine umstrittene Wahlrechtsreform in Texas verhindern wollen. Sie können sich der Solidarität des Präsidenten sicher sein. Viel mehr Hilfe aber dürfte aus Washington derzeit nicht zu erwarten sein.

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