Gastbeitrag von «Kyiv Independent»Sanktioniert Russland jetzt!
Wladimir Putin greift nicht nur die Ukraine an, sondern auch die freie Welt. Der Westen darf nicht länger wegschauen.
Es war ein ausserordentlicher Tag in der Geschichte der modernen Welt: 40 Millionen Menschen haben live am Fernsehen gelernt, dass ihr Land nicht existieren dürfe. Das ist das Urteil, das der russische Präsident Wladimir Putin, einer der mächtigsten Menschen der Welt, über die Ukraine gefällt hat.
Am 21. Februar verlas Wladimir Putin am Fernsehen eine lange Rede, die einer perversen Vorlesung in Geschichte glich. Seine Hauptbotschaft: Die Ukraine ist ein künstlicher Staat, der aus einem Versehen entstanden ist, weil die Regierungen Russlands und der Sowjetunion nachlässig waren.
Um seine wahnwitzige These zu untermauern, bot Putin ein Spinnennetz an falschen Narrativen an, die jedem und jeder vertraut sind, die sich mit russischer Staatspropaganda auseinandersetzen. Deren völliger Wahnsinn lässt sich nur vergleichen mit der Selbstsicherheit Putins, als er seine Worte vorgetragen hat.
«Natürlich wissen alle, die die Ukraine beobachten, dass Russland Teile der ostukrainischen Region Donbass seit 2014 de facto besetzt hat.»
Diese Vorlesung in alternativer Geschichte erreichte dann ihren Höhepunkt. Nachdem er dargelegt hatte, warum die Existenz der Ukraine ein Fehler ist, unterzeichnete Putin Dekrete, mit denen die von Russland besetzten Teile der Ostukraine als unabhängige Staaten anerkannt wurden. Natürlich wissen alle, die die Ukraine beobachten, dass Russland Teile der ostukrainischen Region Donbass seit 2014 de facto besetzt hat.
Damals nutzte der Kreml die Verwirrung, die in der Ukraine nach der Maidanrevolution und der Absetzung eines prorussischen Präsidenten herrschte. Er erfand eine falsche «Separatistenbewegung» in der Ostukraine, installierte ihre Anführer dort und schickte heimlich Truppen, um sie zu unterstützen und die ukrainischen Regierungstruppen abzuwehren.
Nach seiner Rede wies Putin russische Truppen an, zur «Friedenssicherung» in die besetzten Gebiete einzudringen.
Sie haben das richtig gelesen: Russland hat offen und offiziell sein Militär in das Gebiet der Ukraine entsandt – zum zweiten Mal seit 2014, als es die Krim annektierte und sein Militär dauerhaft dort stationierte.
Am nächsten Tag erhöhte Putin den Einsatz noch weiter. Er kündigte an, Russland würde die Gebietsansprüche der vom Kreml gegründeten militanten Gruppen unterstützen. Diese wollen die gesamten Regionen Luhansk und Donezk kontrollieren. Derzeit besetzen die von Russland unterstützten Kämpfer nur etwa ein Drittel dieses Gebiets.
Jetzt kommt der entscheidende Moment.
Seit Wochen verspricht der Westen, Russland im Fall einer weiteren Invasion mit sofortigen Sanktionen von «noch nie gesehenem Ausmass» zu belegen.
Jetzt könnten die schwachen, beschwichtigenden Politiker versuchen, zu behaupten, dass das, was Putin angeordnet hat, keine «weitere Invasion» darstellt. Sie könnten fordern, die versprochenen Sanktionen aufzuheben oder auf eine symbolische Aktion zu reduzieren.
Das wäre der schlimmste Fehler, den der Westen machen kann.
Die USA, Grossbritannien und die Europäische Union müssen Russland sofort mit Sanktionen belegen. Die Rede ist nicht von symbolischen Sanktionen, wie das Verbot, in den besetzten Gebieten zu investieren (wer will das überhaupt?), das das Weisse Haus am 21. Februar ankündigte.
Deutschland hat die Zertifizierung für die Pipeline Nord Stream 2 gestoppt und Grossbritannien mehrere russische Oligarchen und Banken mit Sanktionen belegt. Das ist ein willkommener Anfang – doch dabei darf es nicht bleiben.
«Putin ist besessen von der Mission, die Ukraine als unabhängigen Staat zu beenden. Wird ihm die Welt dabei einfach zusehen?»
Nur wenn Russland jetzt mit unbarmherzigen Sanktionen getroffen wird, kann es abgeschreckt werden. Sollte er nicht gestoppt werden, wird Putin den Rest der Ukraine mit einem Krieg überziehen. Seine wahnhafte Rede liess keinen Zweifel zu: Er ist besessen von der Mission, die Ukraine als unabhängigen Staat zu beenden. Wird ihm die Welt dabei einfach zusehen?
Indem er die vom Kreml kontrollierten Kämpfer in der Ostukraine anerkennt, schaut Putin, wie weit er gehen kann. Wie wird die Welt darauf reagieren?
An der Sitzung des russischen Sicherheitsrats am 21. Februar gab Dmitri Medwedew, ehemaliger Präsident und jetzt stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats, einen Einblick in die Denkweise des Kremls. Wenn Russland die ukrainischen Gebiete als unabhängige Staaten anerkenne, werde die Welt dies zunächst verurteilen, so Medwedew. Doch schliesslich, so Medwedew, werde sich der Protest legen.
«Wir wissen das aus Erfahrung», fügte Medwedew hinzu. Er bezog sich dabei auf die Anerkennung der illegitimen Staaten Abchasien und Südossetien in Georgiens nördlichen Gebieten durch Russland im Jahr 2008.
Freie Welt, hörst du zu? Hört ihr zu, in Washington, London und Brüssel? Es ist jetzt eure Entscheidung.
Werdet ihr Russland seinen Willen gewähren, jetzt und für immer? Werdet ihr euch auf feurige Reden und symbolische Sanktionen beschränken? Oder werdet ihr mit voller Kraft reagieren und den wahnhaften Diktator jetzt stoppen, bevor er der Welt noch mehr Leid und Chaos zufügt?
«Wenn Putin gewinnt, verliert eure Welt.»
Es geht hier nicht nur um die Ukraine. Es ist ein Kampf zwischen zwei Welten, zweier polarer Wertesysteme. Wenn Putin gewinnt, verliert eure Welt. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen – aber bald, und das ohne Zweifel.
Werdet ihr dieses Mal etwas unternehmen? Oder werdet ihr es wieder einmal auf sich beruhen lassen?
Copyright: «The Kyiv Independent». Übersetzung: Simon Widmer
Fehler gefunden?Jetzt melden.