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Schriftsteller Salman Rushdie
«Ich bin aus unerklärlichen Gründen optimistisch, was die Welt betrifft»

FRANKFURT AM MAIN, GERMANY - OCTOBER 20: Salman Rushdie, who is scheduled to receive the 2023 Peace Prize of the German Book Trade Association on Sunday, arrives for a press conference at the 2023 Frankfurt Book Fair on October 20, 2023 in Frankfurt, Germany. This year's book fair has been overshadowed by the ongoing conflict between Hamas and Israel, with several countries, including Indonesia and Malaysia, canceling their participation at the fair after book fair organizers announced they would postpone an award to Palestinian writer Adania Shibli. (Photo by Thomas Lohnes/Getty Images)
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Der britisch-indische Schriftsteller und Verfechter der Freiheit des Denkens betritt den Saal. Fünf Meter Abstand zwischen ihm und dem Publikum. Drumherum Polizei. Es ist einer der raren Auftritte nach dem Attentat auf ihn im August 2022.

Damals wurde Salman Rushdie mit einem Messer an Leber, Hand und Auge verletzt – heute ist er auf dem rechten Auge blind. Aber seinen Humor und Schalk hat er nicht verloren. Auf die Frage, was ihm Kraft gegeben habe, dies zu überleben, wird er später sagen: «Ich habe eine geheime Quelle, die ich Ihnen aber nicht verrate.»

«Ich bin entsetzt, was die Hamas tut, und ich bin genauso entsetzt, wie Netanyahu darauf reagiert.»

Er will weder Politiker noch Aktivist sein – er ist international bekannter Schriftsteller, Booker-Prize-Träger, und die Queen hat ihn zum Ritter geschlagen. Diesen Sonntag wird er an der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichere, wie die Jury bekannt gab.

Schnell will man ein Statement von ihm zum Krieg im Nahen Osten. «Ich bin gegen Krieg in der Welt. Es sterben dabei immer unschuldige Menschen. Ich bin entsetzt, was die Hamas tut, und ich bin genauso entsetzt, wie Netanyahu darauf reagiert.»

Es sei leicht, in diesen Tagen einem tragischen Lebensgefühl zu erliegen. «Aber ich bin aus unerklärlichen Gründen optimistisch, was die Welt betrifft.» Schreiben sei für ihn immer auch eine Form von Optimismus, sagt Rushdie. «Autoren werden davon angetrieben, trotz der Wirklichkeit, die sehr dunkel ist.»

British-US author Salman Rushdie waves as he arrives to address a press conference at The Frankfurt Book Fair in Frankfurt am Main, western Germany on October 20, 2023. (Photo by Kirill KUDRYAVTSEV / AFP)

Für Journalistinnen und Fotografen, die sich vor Wochen rechtzeitig für das Pressegespräch hatten akkreditieren lassen, hat die Sicherheitskontrolle eine Stunde vor dem offiziellen Termin begonnen. Nur das Wichtigste darf in den Saal, und im Foyer sind Metalldetektoren wie am Flughafen aufgebaut worden. Das hat weniger mit der aktuellen Lage zu tun als vielmehr damit, dass Salman Rushdie seit Jahrzehnten unter Polizeischutz und teils an wechselnden Orten leben muss.

Als sein Roman «Die satanischen Verse» erschienen ist, sprach 1989 der geistliche Führer der Islamischen Revolution, Ayatollah Khomeini, eine Fatwa aus. Er befand, dass Salman Rushdie den Propheten Mohammed verunglimpfe. Von Fanatikern wurde der Hass geschürt und dazu aufgerufen, Rushdie hinzurichten.

Er entkam schon zwei Dutzend Mordanschlägen

Auf den Strassen wurden Bücher und Bilder von ihm verbrannt. Über fünfzigmal musste er seinen Wohnort wechseln und entkam zwei Dutzend Mordanschlägen. Als 1998 die Fatwa aufgehoben wurde, begann für den heute 76-jährigen Schriftsteller ein Leben in etwas mehr Sicherheit. Eine vermeintliche Sicherheit, wie sich zeigte, als er im August letzten Jahres in New York mit einem Messer angegriffen und dabei lebensbedrohlich verletzt wurde.

Der Mann mit dieser schier zu grossen Biografie für ein einziges Menschenleben sitzt guten Mutes und mit andächtiger Ausstrahlung vorne am Tisch. Das eine Brillenglas ist schwarz abgeklebt.

Was die Literatur jetzt ausrichten könne, warum es so wichtig sei, Geschichten zu erzählen gegen Gewalt und Terror, wird er gefragt. «Stellen Sie sich eine Welt ohne Kunst vor, unmöglich!» Dann lächelt er schelmisch und sagt: «Und was soll ich bitte tun mit meiner Zeit? Ich habe kein anderes Talent.»

Diese 45 Minuten sind von beinahe einstudierter Dramaturgie. Von absoluter Stille, in der Rushdies glasklare Worte schon fast ein Echo erzeugen, bis zu lautem Lachen, wenn er an Selbstironie nicht spart.

Dass Bücher aber eine direkte soziale Funktion haben sollten, sei polemisch, sagt er. «Ich mag keine Bücher, die mir sagen, was ich denken soll, ich mag solche, die mich nachdenken lassen.»

Genau das mache Bücher auch so gefährlich für Diktaturen und autoritäre Regimes. «Literatur zeigt, wie reich und komplex die Welt ist. Das ist das Gegenteil der engstirnigen oder bigotten Weltsicht des Autokraten.»

Dass der autoritäre Geist grosse Angst vor dem freien Geist hat, erlebte Salman Rushdie wortwörtlich am eigenen Leib. Für ihn war die Freiheit, zu veröffentlichen, schon immer auch die Freiheit, zu lesen und zu schreiben.

«Vor Chat-GPT habe ich keine Angst. Wenn man ihr sagt, sie soll 300 Worte Rushdie schreiben, kommt dabei absoluter Müll raus.»

Salman Rushdie

Vor zehn Tagen habe er jetzt sein neues Buch fertig geschrieben. «KNIFE. Gedanken nach einem Mordversuch» erscheint am 16. April 2024 auf Deutsch im Penguin-Verlag. Ob es ihm schwergefallen sei, über das Attentat von 2022 zu schreiben, möchte jemand wissen. Für ihn ist die Kunst nicht nur eine Antwort auf Gewalt, er entgegnet der Frage selbstironisch: «Es war offenbar ein wichtiges Thema für mich.» Nein, es sei schlicht unmöglich gewesen, über etwas anderes zu schreiben. Sein eigenes Erstaunen darüber, heute hier zu sein und immer noch am Leben, spürt man bis in die hintersten Reihen im Saal.

Etwas aus dem Zusammenhang fiel die Frage, welche Gefahren seiner Ansicht nach von künstlicher Intelligenz ausgehen. «Vor Chat-GPT habe ich keine Angst. Wenn man ihr sagt, sie soll 300 Worte Rushdie schreiben, kommt dabei nur absoluter Müll raus. Die Maschine hat eben keinen Sinn für Humor.»

Am Sonntag um 10 Uhr erhält Salman Rushdie in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2023. «Ich freue mich auf die Kirche am Sonntag. So einen Satz haben Sie von mir auch noch nicht gehört.»