Sabotage in der Ostsee Ein Ex-Geheimdienstler soll hinter der Nord-Stream-Sprengung stecken
Wer gab die Angriffe auf die Gasleitungen in der Ostsee in Auftrag? Recherchen von «Spiegel» und «Washington Post» führen zu einem Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes, der beim Regime in Ungnade gefallen ist. Dieser dementiert.
Eine internationale Recherche hat neue Details über die Sprengungen der Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 am 26. September 2022 erbracht: Ihr zufolge soll der frühere ukrainische Geheimdienstoffizier Roman Tscherwinski als Oberst des ukrainischen Militärgeheimdienstes GUR die Sprengungen der Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 durch ein sechsköpfiges Kommando koordiniert haben. So berichten es «Washington Post» und «Spiegel», die sich auf ukrainische und westliche Offizielle berufen. Tscherwinski nannte derlei Informationen «russische Propaganda». Auch die ukrainische Führung hat dementiert, die Sprengungen befohlen zu haben.
Früheren Recherchen zufolge soll der holländische Geheimdienst schon im Juni 2022 erfahren haben, dass Kiew die Nord-Stream-Sprengung plane – und darüber auch Partnergeheimdienste wie den US-Geheimdienst CIA informiert haben. Der «Washington Post» zufolge liess der US-Geheimdienst dem ukrainischen Oberbefehlshaber Waleri Saluschni ausrichten, Washington sei gegen eine solche Aktion.
Die ukrainische Regierung will nichts gewusst haben
Den neuen Recherchen zufolge unterstand Tscherwinski beim Militärgeheimdienst Generalmajor Wiktor Hanuschtschak. Dieser wiederum berichtete an General Saluschni, nach Präsident Wolodimir Selenski Oberkommandant aller ukrainischen Streitkräfte. Saluschni bestritt im Juni 2023 in der «Washington Post», mit der Sprengung etwas zu tun gehabt zu haben. Auch Präsident Selenski bestritt dies in einem «Politico»-Interview.
Oberst Tscherwinski, heute 48, war Spezialist für Kommandounternehmen auf russisch kontrolliertem Gebiet. 2019 soll er für die erfolgreiche Entführung des Separatisten Wladimir Zemach gesorgt haben, der 2014 nach der Annexion der Krim und dem Beginn von Moskaus Krieg in der Ostukraine am Abschuss des malaysischen Passagierflugzeuges MH-17 beteiligt war.
Er schwärzte einen Selenski-Vertrauten an
In der ukrainischen Führung aber machte sich Tscherwinski trotzdem keine Freunde. 2020 misslang ein Unternehmen, unter einem Vorwand Dutzende Söldner der Wagner-Gruppe erst nach Weissrussland und dann in die Ukraine zu locken und festzunehmen. Tscherwinski beschuldigte den Stabschef von Präsident Selenski, Andri Jermak, ein russischer Spion zu sein und die Aktion verraten zu haben.
Im April 2023 kritisierte Tscherwinski in einem Videointerview, Selenski und seine Führung hätten die Ukraine kaum auf die russische Invasion vorbereitet, und behauptete, sowohl in der Südukraine wie vor Kiew seien Verteidigungsmassnahmen offenbar sabotiert worden. Noch im gleichen Monat wurde er vom Geheimdienst SBU verhaftet: Der SBU beschuldigte Tscherwinski, er habe im Sommer 2022 eigenmächtig versucht, einen russischen Piloten zum Überlaufen zu bewegen und mit seinem Flugzeug in die Ukraine zu kommen.
Wegen dieser Vorwürfe steht Tscherwinski nun in Kiew vor Gericht. Indizien zufolge wurde die Anklage möglicherweise fabriziert, um sich an Tscherwinski für seine Kritik zu rächen oder ihn zu hindern, öffentlich Fragen über seine angebliche Rolle bei den Nord-Stream-Sprengungen zu beantworten: Dass Tscherwinski den russischen Piloten eigenmächtig zum Flug in die Ukraine bewegt haben soll, erscheint schon deshalb absurd, weil der ukrainische Luftraum gesperrt ist und streng überwacht wird.
Tscherwinski zufolge waren an der missglückten Überlaufaktion «Einheiten des SBU, der Luftwaffe und der Spezialeinheiten» beteiligt. Auch Oberkommandant Saluschni habe die Aktion gebilligt, so Tscherwinski gegenüber «Washington Post» und «Spiegel».
Der ukrainische Militärjournalist Juri Butusow schrieb, die Anklage gegen Tscherwinski sei «offen gefälscht» worden und vom Geheimdienst und der Generalstaatsanwaltschaft auf «politischen Befehl» erstellt worden. Sowohl Geheimdienst wie Generalstaatsanwaltschaft werden in der Ukraine faktisch vom Präsidialapparat kontrolliert.
Fehler gefunden?Jetzt melden.