Russland und baltische Staaten Spione aus Moskau im Baltikum – Estland verhindert Angriff
In Estland und Lettland wurden Personen festgenommen, die im Auftrag von Russland Denkmäler geschändet haben sollen. Auch das Auto eines Innenministers geriet ins Visier der Täter.
Die estnischen Behörden haben offenbar einen hybriden Angriff russischer Geheimdienste erfolgreich vereitelt. Bei der Operation seien die Privatautos des Innenministers und eines Journalisten demoliert worden. Im Zusammenhang mit diesem Fall wurden laut dem estnischen Inlandsgeheimdienst zehn Personen festgenommen. Ziel der Randalierer sei es gewesen, Angst und Spannungen in der estnischen Gesellschaft zu schüren. Sie sollen zudem Gedenkstätten geschändet haben, hiess es zu Wochenbeginn in der Hauptstadt Tallinn.
Die meisten Verdächtigen seien vorbestraft, sagte der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Margo Palloson. Einige wurden demnach in Russland rekrutiert, andere in den baltischen Staaten. Der russische Geheimdienst habe die mutmasslichen Täter über soziale Medien kontaktiert. Für ihre schmutzige Arbeit gegen Estland hätten sie eine finanzielle Belohnung erhalten.
Gezielte Aufträge
«Es ist heute ein allgemeiner Trend, dass sowohl russische als auch chinesische Geheimdienste über soziale Medien auf Menschen zugehen», so Palloson. Die Festgenommenen hätten gezielte Aufträge bekommen, um bestimmte Objekte anzugreifen. Im benachbarten Lettland konnten die Behörden eine Person dingfest machen, die auf Geheiss russischer Dienste Denkmäler verunstaltet haben soll.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine, der vor zwei Jahren begann, haben sich die Beziehungen zwischen den baltischen Staaten und Russland deutlich angespannt. In Estland, Lettland und Litauen leben grosse russischsprachige Minderheiten. Die Nato- und EU-Mitgliedsländer sind geostrategisch exponiert und grenzen teilweise an Russland und Weissrussland.
Im vergangenen Sommer nahmen die Sicherheitsbehörden in Lettland vier Personen fest. Sie wurden beschuldigt, im Auftrag des russischen Geheimdienstes FSB gehandelt zu haben. Die Polizei beschlagnahmte auch Datenträger, Dokumente und Geräte.
Anfang Februar musste das orthodoxe Kirchenoberhaupt, Metropolit Jewgeni, Estland verlassen, nachdem seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert worden war. Russland hatte Jewgeni 2018 nach Estland entsandt. Die Behörden werfen ihm vor, in öffentlichen Reden die russische Aggression gegen die Ukraine rechtfertigt zu haben.
Laut dem estnischen Auslandsgeheimdienst versucht Russland wie einst die Sowjetunion, Religionsgemeinschaften mit moskautreuen orthodoxen Priestern und Bischöfen zu infiltrieren. «Eine bewährte, im Ausland eingesetzte Tarnorganisation ist die russisch-orthodoxe Kirche, die der Kreml auch als Einflussmittel gegen die Ukraine und den Westen einsetzt», hiess es im Jahresbericht des Dienstes für 2023.
Russischer Politologe verhaftet
Kein Land in Europa hat in den vergangenen knapp 15 Jahren so viele russische Spione verurteilt wie Estland. Anfang Januar liess der Inlandsgeheimdienst den russischen Politologen Wjatscheslaw Morosow verhaften. Er unterrichtete an der Universität in Tartu, der zweitgrössten Stadt Estlands, und genoss auch international einen guten Ruf.
Nach Angaben der Behörden in Tallinn wurde Morosow vor Jahren von russischen Diensten angeworben. Er habe Russland oft besucht und dort seine Kontaktleute getroffen. Einige westliche Kollegen Morosows fühlen sich von ihm verraten, andere halten die Vorwürfe gegen ihn als unbegründet. Die Universität in Tartu beendete Mitte Januar das Arbeitsverhältnis mit dem russischen Akademiker.
«Mein Volk und ich beobachten mit einer gewissen Sorge, wie wenig wahrgenommen wird, was sich derzeit in den Weiten Russlands zusammenbraut», sagte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas am Dienstag an einer Veranstaltung in Hamburg. Sie forderte den Westen auf, der Ukraine zu helfen, um den Krieg zu gewinnen. «Wir haben die Ressourcen, die wirtschaftliche Macht, den Sachverstand», so Kallas. «Lasst uns keine Angst haben vor unserer eigenen Macht.»
Wortmächtige Kritikerin Putins
Seit vergangener Woche steht Kallas auf einer Fahndungsliste Russlands. Sie regiert Estland seit 2021 und gehört zu den wortmächtigsten Kritikerinnen Wladimir Putins in Europa. Weil sie die Naivität des Westens im Umgang mit Russland anprangert, wird sie in westlichen Medien als «Kassandra des Nordens» bezeichnet.
Kallas hat die Wut des Kreml auf sich gezogen nach ihrer Ankündigung, die sowjetischen Kriegerdenkmäler zu demontieren. Sie seien Symbole von Repression und sowjetischer Besatzung sowie eine Quelle zunehmender sozialer Spannungen, schrieb die Ministerpräsidentin im August 2022 auf Twitter.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Dienstag, ohne Kallas namentlich zu erwähnen: «Diese Leute sind für Entscheidungen verantwortlich, die im Wesentlichen die historische Erinnerung verhöhnen.» Kürzlich hatte ein Beamter der russischen Strafverfolgungsbehörde laut «Financial Times» eine Untersuchung gegen estnische Pläne angeordnet, die Kriegsrelikte zu entfernen.
Die britische Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI) geht in einem diese Woche veröffentlichten Bericht davon aus, dass Russland nicht nur das Baltikum destabilisieren will. Demnach beabsichtigt der Militärgeheimdienst GRU, ein Spionagenetzwerk in mehreren Staaten in Europa und Afrika zu aktivieren. Seit Beginn der Aggression gegen die Ukraine sind viele russische Geheimdienstler aus den Botschaften in den westlichen Hauptstädten ausgewiesen worden. Um die Lücke zu füllen, versucht Moskau, Angehörige der russischen Diaspora, ausländische Studenten und Personen aus dem kriminellen Milieu als Agenten zu rekrutieren.
Eine höchst dubiose Rolle spielt laut litauischen Behörden eine Organisation, die sich European Muslim Forum (EMF) nennt und in vielen Hauptstädten Europas tätig ist. Das radikale Netzwerk ist kremlfreundlich, wird mutmasslich aus Moskau gesteuert und verbreitet antiwestliche Propaganda.
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