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Putin provoziert den Westen
Russland testet die Grenzen aus

Drohende Eskalation oder Säbelrasseln? Ein ukrainischer Soldat in Luhansk. 
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Die letzten ukrainischen Soldaten starben kurz vor dem Besuch des Präsidenten. Der 23 Jahre alte Maxim Stebljanko verlor sein Leben am Dienstag, als der von ihm gesteuerte Lastwagen an der Front bei Stepne südwestlich von Donezk auf eine Mine fuhr. Am gleichen Tag starb auch Oberleutnant Wolodimir Schpak beim Dorf Newelske durch Granatenbeschuss prorussischer Einheiten.

Und wenige Stunden bevor am Donnerstag Präsident Wolodimir Selenski zum Frontbesuch in die Ostukraine flog, starb der nächste Soldat, so die ukrainische Armee. Selenski selbst stieg am Donnerstag mit Helm und schusssicherer Weste an der Front in ukrainische Schützengräben und zeichnete verdiente Soldaten mit Orden aus. Abseits hoher Besuche und abseits der Schlagzeilen ist das Sterben aber seit Jahren Alltag an der gut 400 Kilometer langen Front.

Mehr noch als der Stellungskrieg beunruhigt Militärführer in Kiew und im Westen der russische Aufmarsch auf der von Moskau besetzten Krim und entlang der Grenze zur Ukraine. Dort zog Moskau dem ukrainischen Kommandeur Ruslan Chomtschak zufolge schon bis Ende März 20’000 bis 25’000 Soldaten zusammen. Fast ebenso viele russische Soldaten würden noch verlegt, schätzte Chomtschak am 31. März im Parlament.

Besuch im Donbass (8. April): Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski begrüsst seine Truppen. 

Lokale Einwohner lieferten unterdessen dem russischen Conflict Intelligence Team (CIT) Berichte und Aufnahmen eines neuen russischen Truppenlagers in der Nähe von Woronesch, eine Tagesfahrt von der ukrainischen Grenze entfernt. Dem CIT zufolge ist allein dieses Lager bis zu vier Kilometer lang und mit Hunderten Armeefahrzeugen gefüllt.

Mithilfe von Eisenbahndatenbanken stellten die CIT-Analysten fest, dass in diesen Tagen aus ganz Russland Einheiten auf die Krim und an die Grenze zur Ukraine verlegt werden. «Eine solche Konzentration von Kräften an der Grenze zur Ukraine ist seit 2014/15 ohne Beispiel», stellten die CIT-Spezialisten fest.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel forderte Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag in einem Telefonat auf, die russische Militärpräsenz im Umfeld der Ostukraine abzubauen. Putin dagegen wiederholte die Kreml-Darstellung, der zufolge Kiew «mit provozierenden Handlungen» versuche, die Lage an der Front in der Ostukraine «absichtlich zuzuspitzen». Belege für diese Behauptung fehlen. Auch Behauptungen Moskaus, die Truppenverlagerungen ständen im Zusammenhang mit Manövern und Übungen, überzeugen Analysten nicht. Schliesslich seien die russischen Bewegungen teils schon seit Februar in Gang, stellt etwa das CIT fest.

Test für Joe Biden

Doch die CIT-Analysten werten den Aufmarsch auch nicht als Vorbereitung zu einem neuen Krieg, sondern als Drohgebärden gegenüber der Ukraine und als Test des neuen US-Präsidenten Joe Biden. «Das Ziel der Verlagerungen ist, die ukrainische Führung einzuschüchtern (...) und die neue US-Administration (...) zu prüfen». Allerdings sei der russische Aufmarsch nicht beendet. «Wir finden praktisch jeden Tag Informationen über neue Einheiten und Aufmarschorte.»

Auch in der Ukraine sehen Offizielle die Lage bisher gelassen. Kommandeur Chomtschak sagte im ukrainischen Fernsehen am 31. März, der Generalstab glaube nicht an einen bevorstehenden Krieg. An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert. Sergei Rachmanin, Mitglied des Verteidigungsausschusses im ukrainischen Parlament, sagte im Radio, bisher gebe es «minimalen Anlass» anzunehmen, dass Russland die Ukraine in nächster Zeit angreife.

Moskau hat Hunderttausende russische Pässe ausgegeben

Stuart Peach, Vorsitzender des Militärkomitees der Nato, sprach in Kiew mit Präsident Selenski und Streitkräfte-Kommandeur Chomtschak. «Wir rufen Russland auf, seine Unterstützung für die Militanten in der Ostukraine zu beenden und seine Kräfte von ukrainischem Territorium zurückzuziehen», sagte der Nato-Offizier. Chomtschak schätzt die Zahl der Soldaten im von Moskau kontrollierten Donbass auf 28’000, dazu kämen noch mehr als 2000 russische Offiziere und Militärberater. Auf der Krim habe Moskau mittlerweile 33’000 Soldaten stationiert.

Im Telefonat mit Merkel wiederholte Putin die Forderung, Kiew müsse direkt mit den Führern der «Volksrepubliken» in Donezk und Lugansk verhandeln – Kiew lehnt dies ab. Und auch ohne einen offenen Einmarsch weiterer russischer Streitkräfte als «Friedenstruppen» geht Moskaus illegale, schleichende Annexion von «DNR» und «LNR» weiter. Schon seit April 2019 lässt Putin rechtswidrig russische Pässe an die Bewohner des Donbass ausgeben – der Östlichen Menschenrechtsgruppe zufolge waren es schon bis Januar gut 442’000 russische Pässe.

Flüchtende werden enteignet

Das Moskauer Carnegie-Zentrum berichtete, 2025 sollten ukrainische Pässe im besetzten Donbass nicht mehr anerkannt werden. Ukrainischen Offiziellen zufolge plant die «DNR», ihren Bürgern den Übergang auf von Kiew kontrolliertes Gebiet jenseits der Front nur noch nach Ausgabe von Passierscheinen nach einer aufwendigen Prozedur zu erlauben.

Schon am 1. Februar ordnete «DNR»-Führer Dennis Puschilin die Verstaatlichung «herrenloser Immobilien» an – im Klartext: die Enteignung des Eigentums von Ukrainern, die aus Donezk oder Lugansk auf von Kiew kontrolliertes Gebiet geflüchtet sind. Zumindest auf dem Papier ist seit dem Sommer 2020 Russisch die einzige zugelassene Sprache in «DNR» und «LNR», Ukrainisch ist offiziell nicht mehr gestattet. Die Universität von Donezk und mehrere Schulen nehmen in diesem Jahr erstmals russische Examina ab – bis 2023 sollen alle Schulen im besetzten Donbass auf russische Prüfungen umstellen, sagte die «DNR»-Funktionärin Ljubow Wolkowa.