Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Russland-Sanktionen
Schweiz gab Millionen für Helikopter und Anwesen frei

Alisher Usmanov bei einer Pressekonferenz im Ritz-Carlton, Moskau, zum Kongress und den Präsidentschaftswahlen der Internationalen Fechtföderation (FIE) im Jahr 2016.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kann in Ausnahmefällen Gelder von sanktionierten Personen freigeben.
  • Ein Dokument zeigt erstmals konkret, wie eine solche Ausnahme in der Praxis aussieht.

Wann genau darf ein sanktionierter russischer Oligarch Geld von Schweizer Bankkonten brauchen, obwohl dieses eigentlich eingefroren ist? Das ist eines der grossen Geheimnisse des Schweizer Sanktionsregimes. Diese Redaktion versuchte letztes Jahr vergeblich, mittels Öffentlichkeitsgesetz an entsprechende Informationen zu kommen.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kann Gelder in bestimmten Ausnahmefällen freigeben. Beispielsweise dann, wenn sanktionierte Personen einen Härtefall geltend machen oder nachweisen, dass die Gelder zur Erfüllung alter Verträge nötig sind. Doch was heisst das konkret?

Bekannt ist bislang lediglich, dass beim Seco bis Frühjahr 2024 über 300 Gesuche zur so begründeten Freigabe von Geldern eingegangen sind. Und dass das Seco die grosse Mehrheit davon bewilligt hat. Insgesamt konnten sanktionierte Russinnen und Russen so laut Seco 70 bis 80 Millionen Franken von blockierten Schweizer Konten loseisen. Neuere Zahlen dazu gibt das Seco auf Nachfrage nicht bekannt.

Nun kann diese Redaktion erstmals am Beispiel von Firmen aus dem Umfeld von einem der reichsten Russen aufzeigen, wie das Seco die Ausnahmeregelung in der Praxis anwendet. Es geht um den laut Forbes vierzehnfachen Milliardär Alischer Usmanow. Er kam kurz nach Beginn von Putins Krieg in der Ukraine auf die Sanktionslisten der Schweiz und der EU. Usmanow habe «besonders enge Beziehungen» zu Präsident Putin und habe dessen Ukraine-Politik «aktiv unterstützt», so die Begründung der Behörden. Ein Anwalt von Usmanow weist diese Darstellung auf Anfrage als «politisch motiviert» zurück. Sie habe «keine faktische oder rechtliche Basis».

Gefahr von Wertzerfall und Enteignung

In der Schweiz betreut ein Genfer Treuhandunternehmen mehrere Firmen, die von‬ verschiedenen Trusts gehalten werden, die Usmanov schon lange vor Kriegsbeginn gegründet‬ hatte. Im Sommer und Herbst 2022 reichten die Genfer Treuhänder beim Seco mehrere Gesuche ein, die alle das Ziel hatten, Gelder der Firmen auf Konten der Credit Suisse freizubekommen. Und zwar nicht für lebensnotwendige Dinge wie Nahrung oder eine warme Stube – sondern für den Unterhalt von zwei Helikoptern und einem 50-Millionen-Anwesen.

Die Mega-Yacht ’Dilbar’, im Besitz des russischen Geschäftsmagnaten Alisher Usmanov, wird in Mugla, Türkei, von einem Tanker betankt. Eine Hubschrauberplattform ist an Bord zu sehen.

Die beiden Helikopter, je rund 12 respektive 15 Millionen Franken wert, sind auf dem Flugplatz Le Castelet in Südfrankreich stationiert. Es gebe viele offene Rechnungen für den Unterhalt und die Miete des Hangars, argumentierten die Genfer Treuhänder. Eine lokale Firma habe bereits ein juristisches Verfahren eingeleitet, um einen der Helikopter zu beschlagnahmen. Um das zu verhindern und die Rechnungen zu bezahlen, müssten unbedingt Gelder in der Höhe von mehreren Millionen freigegeben werden.

Auch beim Landsitz in Surrey nahe London gebe es offene Rechnungen für Unterhaltsarbeiten. Mehreren Baufirmen drohe der Konkurs, wenn sie nicht schnellstmöglich bezahlt werden könnten, so die Genfer Treuhänder. Zudem seien weitere Arbeiten nötig, um das herrschaftliche Anwesen aus dem 16. Jahrhundert in Schuss zu halten.

Seco gab 6,5 Millionen Euro frei

Beim Staatssekretariat für Wirtschaft stiessen die Genfer Treuhänder damit auf offene Ohren. Die Rechnungen für die Helikopter in Frankreich und das Anwesen in England stammten aus Verträgen, die schon vor der Sanktionierung abgeschlossen worden seien, konstatierte das Seco in einer Verfügung vom 22. Dezember 2022, die dieser Zeitung vorliegt. Zudem sei zu befürchten, dass die Vermögenswerte an Wert verlören, wenn die Rechnungen nicht bezahlt werden könnten. Damit sei die Voraussetzung für die Härtefall-Ausnahmeregelung ebenfalls gegeben, so das Seco.

Historisches Herrenhaus auf dem Anwesen Sutton Place, Surrey, England, umgeben von weitem Rasen und alter Eiche im Vordergrund.

Weiter entschied die Bundesstelle: Unter diesen Umständen könnten auch Gelder für künftige Anwaltskosten freigegeben werden, sofern diese Gelder zur «Verteidigung gegen Sanktionen» oder «Vertretung in Gerichtsverfahren» genutzt würden.

Für das Anwesen in England bewilligte das Seco in der Verfügung von Ende 2022 Zahlungen von Credit-Suisse-Konten in der Höhe von rund 4,2 Millionen Euro. Für die Helikopter gab es knapp 2,4 Millionen Euro frei, total also mehr als 6,5 Millionen Euro. Zusätzlich bewilligte es monatliche Zahlungen von rund 54’000 Euro für die laufenden Kosten der Helikopter.

Usmanows Anwalt hält auf Anfrage fest, die beiden Helikopter und das Anwesen gehörten nicht Usmanow, sondern Trusts, die Usmanow schon vor Jahren aufgesetzt habe. Das Seco schreibt in seiner Verfügung, diese Trusts würden «direkt oder indirekt» von Usmanow oder dessen Schwester kontrolliert.

Experten stützen das Vorgehen des Seco

Das Vorgehen des Seco ist laut Einschätzung von mehreren Experten rechtlich korrekt. Der deutsche Rechtsprofessor Viktor Winkler gehört zu den führenden Sanktionsexperten Europas. Er sagt: «Die Freigabe der Mittel durch das Seco entspricht den gesetzlichen Vorgaben.» Man könne sich das so vorstellen: Wenn ein Staat jemanden sanktioniere und dessen Eigentum einfriere, dann werde eine Mauer darum herum gezogen, damit die sanktionierte Person vorläufig keinen Zugriff mehr auf ihr Eigentum habe. Hinter der Mauer laufe aber alles weiter wie bisher. Das bedeute, dass auch der Werterhalt des eingefrorenen Eigentums sichergestellt werden müsse. «Die Rechtslage ist eindeutig: Wenn für den Werterhalt Kosten anfallen, dann müssen die Mittel dafür auf Antrag enteist werden», sagt Winkler.

Der Schweizer Anwalt und Experte für Sanktionsrecht, Dimitrios Karathanassis, beurteilt den Fall gleich und zieht eine Parallele zu Strafverfahren. «Auch in solchen Verfahren können auf Antrag hin beschlagnahmte Gelder freigegeben werden», erklärt Karathanassis. «Zum Beispiel für Anwalts- oder Arztkosten, aber auch für den Unterhalt von beschlagnahmten Gütern.» Bei staatlichen Zwangsmassnahmen solle sich jeder wehren können, auch Oligarchen, meint der Anwalt.

Indem eigentlich eingefrorene Gelder von Oligarchen für den Unterhalt von Gütern genutzt werden, können unter Umständen auch Kosten für die Steuerzahler verhindert werden. In den USA machte beispielsweise ein Fall um eine blockierte Oligarchen-Jacht Schlagzeilen, deren laufende Kosten der Staat übernahm – fast eine Million Dollar pro Monat.

Anpassung vom 31. Januar 2025: In einer früheren Version dieses Artikels stand, es handle sich um Firmen, Güter und Gelder von Alischer Usmanow. Nun wurde der Artikel angepasst, um kenntlich zu machen, dass es sich um Firmen, Güter und Gelder handelt, die von Trusts gehalten werden, die Usmanow gegründet hat, an denen er aber aktuell nicht begünstigt ist.